Kumi-kata: Handlungsbausteine

Hier geht es um Techniken, deren Ausführung und Beschreibung
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Peter el Gaucho
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Kumi-kata: Handlungsbausteine

Beitrag von Peter el Gaucho »

Auf dem ersten Blick könnte es so aussehen, als ob Kumi-kata ein übersichtliches Gebiet ist, bei dem es um wenige Techniken zum Greifen, Umgreifen und Griffelösen geht. Wenn man konkrete Handlungsketten, z.B. „Angriffs- und Gegenangriffsstrategien“ in einzelne elementare Handlungsbausteine zerlegt, kommt man zu einer recht umfangreichen Sammlung einzelner Aktionen. Damit wird deutlich, dass nicht nur die Gebiete der Wurftechniken, Hebeltechniken, u.a. umfangreich sind, sondern auch die Handlungstechniken im Fachgebiet Kumi-kata. Nachfolgend habe ich einige Handlungsbausteine zusammengefasst und würde mich freuen, wenn jemand weitere Handlungsbausteine kennt, um diese Liste umfangreicher zu machen. Ich denke, da muss es noch mehr geben .... jenachdem wie eng oder weit jederman das Thema Kumi-kata für sich selbst persönlich interpretiert.

Griff anbringen: Art und Weise, wie man an einem bestimmten Ort der
Judokleidung einen Griff anbringt.

Griffe setzen: Handlungskette, um zum eigenen Griff/-en zu kommen,
bevor Uke selbst vollständig gegriffen hat.

Griff verhindern: Den greifenden Arm des Gegners abfangen und dann
selbst den eigenen Griff setzen.

Griff lösen: Den störenden Griff des Gegners von der eigenen Jacke
entfernen und dann den eigenen Wurfeingang beginnen
oder den eigenen gewünschte Griff anbringen.

Griff umgehen: Den störenden Griff des Gegners nicht lösen, sondern sich
um ihn herum bewegen zum Setzen des eigenen neuen Griffs,
mit dem Tori seinen eigenen Wurf beginnt.

Griff nutzen: Den vermeintlich störenden Griff des Gegners akzeptieren
und ihn integrieren in die Handlungsfolge zum neuen eigenen Griff für den
folgenden Wurfeingang, z.B. Ukes Nackengriff einbinden in Toris Griff für
Ippon-seoi-nage.

Griff wechseln: Mit dem eigenen Griff kommt man nicht zum Werfen. Tori
wechselt darum seinen Griff, um somit zum Wurf zu kommen.

Griff neutralisieren: Man wechselt einen eigenen Griff so, dass nach dem Wechsel
die Wirksamkeit des störenden Griffs des Gegners minimiert bzw. aufgehoben
wird, z.B. Anbringen eines Obergriffs.

Griff als Finte setzen: Tori wechselt seinen Griff, um Uke eine Falschinformation zu
geben. Beispielsweise bringt er einen Griff an, der typisch für
einen Vorwärtswurf ist und dann wirft er Uke aber rückwärts.

Griff einklemmen: Tori klemmt Ukes Greifarm oder Greifhand so ein, dass
dessen Handlungsfreiheit reduziert oder aufgehoben wird.
Dann wirft er den sich nicht wehrenden Uke.

Griff fortsetzen: Bei einer Technikfolge, z.B. vom Wurf zum Haltegriff, wird ein
Griff der ersten Technik beibehalten, damit dieser unmittelbar
zum ersten Griff der zweiten Technik werden kann. Ein
risikoreiches Umgreifen wird somit vermieden.
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Peter el Gaucho
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Re: Kumi-kata: Handlungsbausteine

Beitrag von Peter el Gaucho »

O.k. jetzt wurde meine Frage 104mal gelesen. Da niemand mehr zum Thema Kumi-kata eingefallen ist, gehe ich davon aus, dass die vorgestellte Sammlung doch ziemlich alles abdeckt, was man machen kann im Randori und im Wettkampf.

Dieses Jahr hatte ich mir das Thema Kumi-kata vorgenommen und will es gründlichst studieren an praktischen Beispielen aus der ganzen Welt. Diese Handlungsbausteine sind eines meiner etlichen Suchergebnissen.

Also, es geht voran.

Vielen, vielen Dank an alle.
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Deshi
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Re: Kumi-kata: Handlungsbausteine

Beitrag von Deshi »

Ich habe zu dem Thema nicht geantwortet, weil ich es mit gemischten Gefühlen betrachte. Einige hier im Forum haben ja auch schon angedeutet, dass Kumi Kata etwas ist, dem heutzutage im Wettkampf viel zu viel Aufmerksamkeit beigemessen wird (und nebenbei bemerkt Wettkämpfe oft ziemlich langweilig werden lässt). Einige Randoris, die ich neulich hatte, haben mich aber daran erinnert, dass greifen und gegriffen werden, aber nun mal einen großen Einfluss auf unsere Handlungsmöglichkeiten nehmen. Egal ob nun notwendiges Übel oder nicht, ich persönlich mag eine systematische Betrachtung der Dinge (andere lernen besser durch Instinkt, aber mir persönlich liegt das einfach nicht).

Dein Ansatz über den Anwendungszweck finde ich nicht schlecht, der Vollständigkeit halber würde ich noch "Griff justieren" mit aufnehmen, was bedeuten soll, dass die Hand nicht ihre Position wechselt, aber ihre Ausrichtung oder Arbeitsweise ändert (z.B. verdrehen, lockern, festigen, raffen, etc.). Grundsätzlich sehe ich aber in der weiten Aufteilung ein didaktisches Problem. Zu viele Fallunterscheidungen erschweren das Lernen und Vermitteln. Eventuell könnte man Griff neutralisieren, Griff umgehen und Griff einklemmen zusammenfassen. Ebenso könnte man die Option als Finte beim Griff wechseln mit einordnen.

Ich würde immer versuchen, bei einer solchen Systematisierung im Blick zu behalten, wie man denn das ganze konkret üben kann. Denn sonst landen wir in der Theoretiker-Ecke, die sich schnell als Sackgasse erweist.
Jupp
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Re: Kumi-kata: Handlungsbausteine

Beitrag von Jupp »

In "Judo anwenden" findet man auf S. 13 folgende "Systematik" zum Thema "Wie man Griffe lösen und Griffe aufbauen kann..."
"In der Ausbildung der Fortgeschrittenen geht es vor allem darum, zu erkennen, welchen eigenen Griff man benötigt, um sein persönliches Judo aufzubauen." Dazu sollen die folgenden Kenntnisse und sich daraus entwickelnden Griffarten beitragen.

Der fortgeschrittene Judoka sollte folgende Kenntnisse und Fertigkeiten erwerben:
1. Optimale Griffe kennen
Griffarten kennen und gegen gegnerischen Widerstand durchsetzen, mit denen er seine Spezialtechniken am wirksamsten ausführen kann
2. ungünstige Griffe kennen
Wissen, mit welchen Griffarten die eigenen Spezialtechniken erschwert oder unmöglich gemacht werden können
3. destruktive Griffe kennen
Möglichkeiten kennen und anwenden können, wie man ungünstige bzw. unangenehme Griffe lösen und zerstören kann
4. variable Griffe kennen
Bewegungsabläufe üben und anwenden, wie man aus dem "Aufbrechen des gegnerischen Griffs" zu eigenen vorteilhaften Griffarten kommen kann.

Diese Systematik erscheint mir zugleich übersichtlich und an den Bedürfnissen der Praxis orientiert.
Durch die relativ offenen Bereiche lassen sich die konkreten Grifformen auch mit den neuen Wettkampfregeln zum Griffkampf in Übereinstimmung bringen.
Ein großes Kapitel über Kumi-kata findet man auch im offiziellen DJB-Lehrbuch für die Danprüfungen "Judo meistern".

Jupp
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Peter el Gaucho
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Re: Kumi-kata: Handlungsbausteine

Beitrag von Peter el Gaucho »

Vielen Dank Deshi für deine Ausführungen, mit denen ich meine Überlegungen auf ihre praktische Tauglichkeit überprüfen kann.

Du hast vollkommen Recht! Es gibt häufig die Situationen zu sehen, in denen Kumi-kata im Randori und im Wettkampf negativ auffällt: z.B. wenn der Griffkampf ein reiner „Kraft-gegen-Kraft-Kampf“ ist oder wenn Kraft eingesetzt wird, um einen Griff zu lösen oder einen Griffe zu verhindern, aber anschließend, unmittelbar keinerlei Angriffs- oder Verteidigungstechnik (= Judowurf) als finales Ziel folgt. All diese Handlungen widersprechen dem grundsätzlichen Judoprinzip „Sei-ryoku-zen-yo“ (= Grundsatz des möglichst wirksamen Gebrauchs von Geist und Körper). Das ist nicht nur „negatives Kumi-kata“, sondern eigentlich überhaupt nicht das, was nach Jigoro Kano mit Judo gemeint ist. Soll man sich deshalb mit Kumi-kata im Training und im Wettkampf weniger beschäftigen? Ich denke nicht. Das Gegenteil ist der Fall.

Das ist vielmehr genau der Grund und die Notwendigkeit zu zeigen, was Kumi-kata-Handlungen sind, die dem Judoprinzip „Sei-ryoku-zen-yo“ entsprechend.

Du hast auch vollkommen Recht, das man einige der aufgezählten Handlungsbausteine nachträglich wieder zusammenfassen oder wenigsten gruppieren könnte, wenn sie sich sehr ähnlich sind oder dies der besseren Übersicht dient. Wer will sich das schon alles so merken auf der Judomatte? In diesem Fall war meine Arbeitsmethodik so, dass ich zuerst eine sehr weite Aufgliederung mache. Danach frage ich mich, mit welchen Handlungsbausteinen man das Judoprinzip „Sei-ryoku-zen-yo“ wie konkret umsetzen kann. Alles, was diesem Prinzip nicht entspricht, fliegt wieder heraus und damit will ich mich auch nicht weiter beschäftigen. Alles was übrig bleibt, kann dann gruppiert oder auch wieder zusammengefasst werden, so wie du das vorgeschlagen hast.

Vielen Dank auch für den Hinweis, dass das Ganze nicht in der „Theorieecke“ landen sollte. Das ist wirklich eine wesentliche Gefahr. In diesem Fall achte ich darauf, dass es zu jedem konkreten Handlungsbaustein immer auch eine anschließende Auswahl an Angriffs- oder Verteidigungstechniken gibt. Zeige ich den Schülern eine konkrete Form, wie man z.B. einen „Griff umgehen“ kann, folgt unmittelbar darauf auch ein konkreter Wurfeingang und eine Wurftechnik. So wird das „Griffe umgehen“ immer mit einem praktischen Ziel (z.B. Harai-goshi, u.s.w.) verbunden und abgeschlossen. So hat beispielsweise das „Griffe umgehen“ keinen Selbstzweck, sondern ist immer ein Mittel, ein konkretes Ziel (z.B. Harai-goshi) zu erreichen unter Beachtung von „Sei-ryoku-zen-yo“, weil ohne diesen Handlungsbaustein der Judoka wegen der starken Armarbeit von Uke einfach nicht in den Wurfeingang von z.B. Harai-goshi hinein kommt. Klar, dass die Judoschüler sich nicht unbedingt für Analyse, Theorie, Begriffsbildungen etc. interessieren. Aber wenn ich ihnen einen ziemlich „coolen“ Weg zeige, wie ihnen trotz Ukes „stressender“ Armarbeit ihr Lieblingswurf trotzdem gelingt, dann ist das doch wieder interessant für sie. Wenn das auch ein konkretes, anschauliches Beispiel für „Sei-ryoku-zen-yo“ ist, dann verstehen alle auch noch, was Judo eigentlich ist.
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