Jûdô und Waffen

Hier geht es um Techniken, deren Ausführung und Beschreibung
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katana
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von katana »

Da wir nun ein wenig vom Thema Waffen abgeschweift sind möchte ich nochmal die
meiner Meinung nach wichtige Textstelle zur Diskussion stellen:
"In the future I believe judo will incorporate some of the kata from kendo into ordinary training, but I believe
the current kendo, as it stands now, is less than satisfactory."
......"Without knowledge of judo, even those who use swords will be unable to wield them with any great skill or confidence."

Daraus geht scheinbar hervor.
+ Kano stellt in Aussicht, dass zukünftig Kendo ins Training nach seinen Vorstellungen aufgenommen
werden wird.
+ Er deutet wohl in diesem Zusammenhang an, dass er dies, im gewünschten Umfang, nicht unbedingt noch selbst
erreichen wird. (Es gab auch früher schon festgemauerte Traditionsmeinungen die blockierten)
+ Er deutet weiter an, daß er mit dem "Kendo", wie es damals praktiziert wurde ähnlich unzufrieden wie mit anderen
Kampfkünsten war, die er ja in seinem Judo mit einem neuen Dach versehen wollte.
+ Weiterhin sah er die Kenntnisse der Judoprinzipien und deren zukünftige Anwendung auf die Schwertkunst
scheinbar als unumgänglich, um das Schwert mit "great skill or confidence" zu führen.

Insofern erscheint es mir indiskutabel, immer wiederholt zu erörtern, ob und in welcher Gewichtung z.B. das Schwert ins Judo finden sollte. Tatsache ist, daß Kano dem Schwert durch Judo neuen Geist einhauchen wollte und dies als zukünftige Aufgabe auch formulierte. Zumindest für sein "Leitbild" des idealen Judolehrers.

Bitte Meinungen zu meiner Auslegung
Gruß KK
tutor!
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von tutor! »

Nur aus Kenntnis der kurzen Textstelle ist es schwierig für mich - hast du noch wenigstens eine Jahreszahl?
katana hat geschrieben:+ Kano stellt in Aussicht, dass zukünftig Kendo ins Training nach seinen Vorstellungen aufgenommen werden wird.
Nicht Kendo in Gänze oder als "Kampfkunst in der Kampfkunst", sondern einige Kata des Kendo. Auch spricht er von Integration ins Training - nicht von Integration ins Judo (im engeren Sinn).
katana hat geschrieben:+ Er deutet weiter an, daß er mit dem "Kendo", wie es damals praktiziert wurde ähnlich unzufrieden wie mit anderen Kampfkünsten war, die er ja in seinem Judo mit einem neuen Dach versehen wollte.
Zumindest, dass er mit Kendo im damaligenZustand unzufrieden war. Jetzt kommt es aber auf die Jahreszahl an - und darauf unter welchem Aspekt er Kendo unbefriedigend fand. Normalerweise zielte er auf Leibeserziehung ab, auch in diesem Text?
katana hat geschrieben:+ Weiterhin sah er die Kenntnisse der Judoprinzipien und deren zukünftige Anwendung auf die Schwertkunst scheinbar als unumgänglich, um das Schwert mit "great skill or confidence" zu führen.
Auch hier ist wieder die Jahreszahl wichtig. Was meint Kano hier mit Jûdô? Meint er die Kampfkunst oder das allgemeine Prinzip?

Ich bin grundsätzlich eher konservativ in der Deutung von Quellentexten, was ich auch weiter vorne schon geschrieben habe. Kano hat unbestreitbar alle Formen von Budo gefördert und unterstützt - und er hat versucht, den Kodokan als Zentrum des Budo zu entwickeln, genauso wie er mit seinem Leitbild des Jodan-Judo ("Judo im weiten Sinn") Judo als Oberbegriff, oder genauer als Oberphilosiophie für alle Disziplinen etablieren wollte.

Wir wissen nicht, ob er dabei auch die technisch-inhaltlichen Abgrenzungen der Disziplinen aufweichen wollte oder im Kopf bereits hatte.
katana hat geschrieben:Insofern erscheint es mir indiskutabel, immer wiederholt zu erörtern, ob und in welcher Gewichtung z.B. das Schwert ins Judo finden sollte. Tatsache ist, daß Kano dem Schwert durch Judo neuen Geist einhauchen wollte und dies als zukünftige Aufgabe auch formulierte. Zumindest für sein "Leitbild" des idealen Judolehrers.
Dies aus dem Leitbild des idealen Judo-Lehrers heraus interpretieren zu wollen, halte ich für gewagt. Dieses Zitat sehe ich in erster Linie in einem anderen Kontext (Betonung der Bedeutung der didaktischen und pädagogischen Qualitäten). Allein schon um Kime-no-Kata vermitteln zu können, muss man mit dem Schwert umgehen können, so dass die Aufzählung der technischen Fertigkeiten Selbstverständlichkeiten sind.

Will er - wie Du sagst - dem Schwert "neuen Geist einhauchen" oder will er Kendoka animieren, sich dem Judo zuzuwenden? Wenn ja: was meint er mit Judo? Meint er, dass man das Schwert durch technische Fertigkeiten im Judo besser beherrscht oder meint er im Sinne des "Judo im weiten Sinn", dass die Anwendung der Judo-Prinzipien die technische Seite des Kendo verbessern kann? Ich tendiere eindeutig zu letzterem, wobei wieder automatisch das Begriffsverständnis von Judo, das in diesem Aufsatz zum tragen kommt, entscheidend für (m)eine Interpretation wird.

Und damit sind wir bei der Jahreszahl 8)

Wer sich mal was anschauen will, kann sich ein nettes Video anschauen (ab etwa 4:20 bewegt sich was ;) )
http://judoforum.com/index.php?showtopic=33777
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von katana »

tutor schrieb:
Auch spricht er von Integration ins Training - nicht von Integration ins Judo (im engeren Sinn).
Text aus MoM The 3 Levels of Judo.
Es geht hier um das Kapitel, das auch Tom Herold zu früherer Zeit hier schon ausgiebig zitiert hat.
Ich spare mir deshalb hier die Wiederholung.
Im Vorfeld erwähnt Kano auch andere Waffen, wobei die markante Aussage auch hier ist:.....and kendo
is one of the essential elements of judo.
, was heisst , Kano sah Kendo nicht nur als Bestandteil des
Judo, sondern als "essentiellen" Bestandteil.
Wohlgemerkt geht es in dieser Passage um lower level Judo, also die Praxis (physical education).
Was impliziert, dass er mit den praktischen Fertigkeiten/Anwendungen (die fehlenden "great skills") nicht
zufrieden war. Näheres ist hier leider nicht beschrieben.
Die Jahreszahl kann ich hierzu nicht angeben, da kennen sich vielleicht andere besser aus, aber da Kano von
gegenwärtigen Zuständen der Praxis sprach, spielt dies keine so große Rolle (oder?).

Für mich hört sich das so an, daß Kendo (neben anderen aufgelisteten Waffen) essentieller Bestandteil der Judopraxis war, aber die Anwendungen den Judoprinzipien, mit denen sich die damaligen Praktikanten auch erst
vertraut machen mussten, noch nicht entsprachen.
Dass er auch Kendo Kata zu integrieren plante, kommt noch ergänzend dazu.
Im Übrigen wird auch in anderen Kampfkünsten erwähnt, dass die unbewaffneten Techniken erst durch die Waffenanwendungen (vornehmlich Schwert) vollends begriffen und verinnerlicht werden können.
So z.B. auch im Aikido, woran mich das Video spontan erinnerte.
HBt

Exponenten

Beitrag von HBt »

@Tutor!, Katana, ...
Oh, das Video ist mir schon länger bekannt - ich halte es (und die anderen dazugehörigen) für wichtig. Leider kann man nur deuten, außer man ist Muttersprachler.

Zu den Jahreszahlen: "the early history" 1892 bis 1928, mehr gibt Watson hier nicht an, eine konkrete Referenzierung fehlt leider gänzlich.

"Go no kata or go ju no kata" ist richtig, siehe S. 81. Das Kano ein "übermächtiges Kodokan" schaffen wollte, geht aus JMem nicht hervor, im Gegenteil, siehe hierzu S. 77 bis 82.

Ich muß mich korrigieren, den Begriff (eher das Wort, die Bezeichnung) Judo gab es (ebenso wie Kendo) schon, bevor Jigoro Kano ihn übernahm, prägte und mit Leben erfüllte.
Allein schon um Kime-no-Kata vermitteln zu können, muss man mit dem Schwert umgehen können, so dass die Aufzählung der technischen Fertigkeiten Selbstverständlichkeiten sind.
Eine gewagte These, wer kann denn mit dem Schwert (Katana) umgehen? Ich wage zu behaupten keiner, d.h. niemand kann Kime no kata vermitteln.
Will er - wie Du sagst - dem Schwert "neuen Geist einhauchen" oder will er Kendoka animieren, sich dem Judo zuzuwenden? Wenn ja: was meint er mit Judo? Meint er, dass man das Schwert durch technische Fertigkeiten im Judo besser beherrscht oder meint er im Sinne des "Judo im weiten Sinn", dass die Anwendung der Judo-Prinzipien die technische Seite des Kendo verbessern kann? Ich tendiere eindeutig zu letzterem, wobei wieder automatisch das Begriffsverständnis von Judo, das in diesem Aufsatz zum tragen kommt, entscheidend für (m)eine Interpretation wird.
... erinnert an den gordischen Knoten - was meinst Du jetzt genau?

Langsam kann ich mich Thomas Aussage: "Wer Kanos Texte nicht gelesen hat ..." nur noch massiv anschließen. Nach ein paar Stunden JMem verändert sich mein Bild von der Person und Leistung J. Kanos dramatisch. Wir sollten dringend unsere Standpunkte, Sichtweisen, ... überdenken - reflektieren.
Feldenkrais drastische Aussage zur Misere kann ich nach der Lektüre* 100% nachvollziehen, weil ich sie jetzt verstehe und er hat recht.

Gruß
Helge

*ISBN 978-1-4251-8771-2
Lin Chung
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von Lin Chung »

Hat lange gedauert, bis man an dieser Stelle ist. Langsam wird uns ein anderes Bild vom Judo vermittelt und die Grenzen überschritten.
Hoffe, das Tom mitliest.
Grüße
Norbert Bosse
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von tutor! »

katana hat geschrieben:Die Jahreszahl kann ich hierzu nicht angeben, da kennen sich vielleicht andere besser aus, aber da Kano von gegenwärtigen Zuständen der Praxis sprach, spielt dies keine so große Rolle (oder?).
Wenn Kano von "gegenwärtig" spricht oder darauf Bezug nimmt, dann ist die Zeit, in der er schreibt und auf die er sich bezieht sehr entscheidend für das Verständnis des Textes.

So schrieb Kano 1930: "Die Bezeichnung Jûdô meint nicht länger nur die Kampfkunst, sondern bezeichnet ein Prinzip, das sich auf alle Bereiche des menschlichen Seins anwenden lässt" (Niehaus S. 216). Hält man sich dies nicht immer wieder vor Augen, wird man Kanos Spätwerke fast automatisch falsch verstehen.

Kano hat aus einer Schaffensperiode von rund 50 Jahren mehrere hundert Aufsätze hinterlassen. In dieser Zeit wechselten sowohl die gesellschaftlichen Verhältnisse in Japan, als auch seine Arbeitsschwerpunkte mehrfach. Darüber hinaus hat er die Philosophie des Judo nach dem ersten Weltkrieg neu ausgerichtet, bzw. umfassender gestaltet. Es gibt zwar einige Gedanken, die sich durch sein Werk über Jahrzehnte hindurch mit relativer Konstanz durchziehen, andere jedoch nicht. Aus wissenschaftlicher Sicht ist "Mind over Muscle" nicht ganz unproblematisch, weil die Originalquellen Kanos nicht benannt sind und daher leider die Textpassagen nicht auf den historischen Kontext hin untersucht und angewendet werden können.

Kendo und Judo waren (und sind immer noch) die zwei wichtigsten Kampfkünste Japans - sowohl bei Polizei, Militär als auch in Schule/Universität. Sie wurden oft parallel betrieben, waren aber getrennte Künste mit getrennten Zuständigkeiten in der Butokukei, getrennten Graduierungen usw.

In der Spätphase seines Wirkens (ca. 1930) - also fast 50 Jahre nach Gründung des Kodokan - versuchte Kano Judo als Oberbegriff für alle Budo-Disziplinen zu etablieren, was aber scheiterte (vgl. dazu Niehaus, S. 216). In diesem Jahr schrieb er auch (Niehaus S. 215): "unter Budo verstehe ich Schwertkunst, Speerkunst, die Langstockkunst (bojutsu) und mutejutsu." (mutejutsu=waffenlose Künste). Dieses Zitat schließt unmittelbar an den oben von mir (sinngemäß) zitierten Satz "Judo ist keine Art des Budo, sondern Budo ist eine Anwendung des Judo" an. So betrachtet ergibt sich ein Sinn, wenn Kano gesagt haben sollte, dass Kendo ein essentieller Teil des Jûdô wäre, aber nur wenn man davon ausgeht, dass es aus der Showa-Zeit stammt und man auch verstanden hat, dass für Kano in dieser Zeit (ab ca. 1928/30) Jûdô als Begriff bereits eine umfassendere Bedeutung hatte (s.o.). Sollte das Zitat jedoch wesentlich jünger sein, würde mich das sehr überraschen.

Ob Kendo in die Trainingspraxis am Kodokan eingeflossen ist und ggfls in welcher Form und mit welchem Status weiß ich nicht. Belegt ist es für bojutsu in einer eigens eingerichteten Abteilung. Jedoch ist eindeutig, dass 1942 - also bevor es westliche Einflüsse auf die japanischen Kampfkünste in Folge der Kriegsniederlage gab - in der Butokukei weiterhin getrennte Abteilungen für Judo und Kendo (neben Kyudo, Bajonett und Schießen) gab.
HBt hat geschrieben:Zu den Jahreszahlen: "the early history" 1892 bis 1928, mehr gibt Watson hier nicht an, eine konkrete Referenzierung fehlt leider gänzlich.
Heißt das etwa, dass die ganzen Aufsätze nicht sauber mit Erst-Erscheinungsdatum und -quelle referenziert sind? Das würde ja bedeuten, dass kein Mensch die Originale mit den Übersetzungen vergleichen könnte! :(

Die gesammelten Aufsätze Kanos sind auf japanisch längst erschienen (ca. 5.000 Seiten). Was dort nicht enthalten ist, befindet sich unter Kontrolle der Familie. Es gibt reichlich Leute, die diese Texte lesen können und wenn dort etwas Dramatisches zu finden wäre, wäre es schon länger (international) bekannt.

70 Jahre nach dem Tod des Verfassers erlöschen die Urheberrechte, so dass sich nun jeder daran machen kann, nach Belieben Kanos Texte zu übersetzen und zu veröffentlichen. Wir werden also in Zukunft noch viele weitere Übersetzungen bekommen - hoffentlich mit sauberen Quellenangaben.
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von judoka50 »

(Niehaus S. 215): "unter Budo verstehe ich Schwertkunst, Speerkunst, die Langstockkunst (bojutsu) und mutejutsu." (mutejutsu=waffenlose Künste).
Wenn er all dies unter einem Dach haben wollte, dann sind wir doch in NRW nicht einmal auf dem falschen Weg mit unserem Dachverband für Budotechniken.
:dontknow http://www.budo-nrw.de/
Viele Grüße
U d o
Lin Chung
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von Lin Chung »

Wenn er all dies unter einem Dach haben wollte, dann sind wir doch in NRW nicht einmal auf dem falschen Weg mit unserem Dachverband für Budotechniken.
...da hast du recht. :D
Wenn wir Judo jetzt noch als das Dach der Budokünste sehen, haben wir das, was Kano wollte. Meine Meinung.
Grüße
Norbert Bosse
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von Jupp »

Bezugnehmend auf die Aussagen Tutors möchte ich auch noch einige Hinweise zum Thema "Waffen und Judo" geben.

Häufiger ist hier im Forum Kenji Tomiki zitiert worden, der gegen Ende seines Lebens sowohl im Judo als auch im Aikido 8. Dan war.

Ich habe mir die Mühe gemacht und seinen 1956 geschriebenen Artikel "On Jujutsu and its Modernization" ins Deutsche übersetzt.

Vor allem die Passagen, die sich auf "Randori" beziehen erscheinen mir sehr interessant, weil in ihnen auch deutlich wird, wie Kano Randori und sein Judo verstanden hat.

Tomiki wurde 1900 geboren, begann Judo mit 10 Jahren und trainierte ab 1923 - damals schon 4. Dan - im Kodokan, wo er auch in engem Kontakt mit Jigoro Kano war. Als "Zeitzeuge" ist seinen Aussagen daher ein hohes Gewicht beizumessen, wie es hier im Forum bei auszugsweisen - oft aus dem Zusammenhang gerissenen - Zitate schon häufiger geschehen ist. Für eine wirklich "wertende" Beurteilung solcher Aussagen ist jedoch der inhaltliche und zeitliche Zusammenhang mit anderen Ereignissen, die gleichzeitig oder vorher bzw. nachher stattfanden sehr wichtig. Ohne diese Zusammenhänge bleiben Satzteile, ganze Sätze, Absätze oder gar ganze Aufsätze nur schwer "wertend" einzuordnen. Ihre Interpretationen sind dann nur Meinungen, denen man folgen kann oder nicht.

Also:
Tomiki schreibt u.a. in diesem Artikel über Jujutsu und Judo:
"Wenn wir ganz allgemein die Art der Techniken (Waza) in den alten Jujutsu Schulen unterscheiden, so gibt es vier Kategorien:
1. Nage-waza (Wurftechniken)
2. Katame-waza (Haltetechniken)
3. Atemi-waza (Schlag- oder Tritttechniken)
4. Kansetsu-waza (Hebeltechniken)"

Genau wie in allen Büchern oder Videos über Judo finden wir nichts über Waffen.

Warum auch?

Denn Kano (lt. Tomiki) verstand ja unter Jujutsu: "Von den Anfängen an gab es im Juj-jutsu auch „Midare-geiko“ (nicht strukturiertes Üben) um die Nage-waza (Würfe) und Katame-waza (Griffe) zu trainieren, die in den finalen Momenten des Nahkampfes bei waffenlosen Auseinandersetzungen (sic!) auftauchten. Auf der Basis dieser Art von Üben vervollständigte Meister Kano sein System des Randoritrainings während und nach der Meiji-Periode (1868-1912). Dieses System ist das moderne Wettkampfjudo." (wörtlich: "competition judo /judo kyogi)

Und dieser Tomiki war derjenige, der damals -auf dem Hintergrund seiner Aikido-Erfahrungen - erkannte: "Die zusammengestellten Kampfkunsttechniken der der alten Jujutsu Schulen waren ihrerseits sehr unterschiedlich und hatten für den waffenlosen Zweikampf eine Vielzahl von Stilen. Daher ist es unmöglich all diese Techniken in ein System von Randoritraining einzubinden. Dies berücksichtigend habe ich die wichtigen Teile der Atemiwaza (Schlag- und Tritttechniken) und die Kansetsuwaza (Gelenktechniken) zusammengebracht und die Organisation eines anderen Systems von Randoritraining ist der Gegenstand, der in Angriff genommen werden muss."

Tomiki beabsichtigte, neben dem von Kano entwickelten Randori ohne Atemi ein anderes, zweites Randori zu entwickeln, in das auch Atemi und Kansetsuwaza eingebunden waren, wobei letztere im "Kano-Randori" zwar auch vorkamen, aber "auch wenn eine Gruppe der Kansetsuwaza dem Wettkampf-Judo zugefügt wurde, so sollten doch die zahlreichen Hebelvarianten mit den Atemiwaza verbunden in ein Trainingssystem gebracht werden, so dass diese beiden Technikgruppen grundlegend wieder belebt werden können"

Welche Art das Randori von Kano zu diesem Zeitpunkt (um ca. 1928) war, geht deutlich aus den Zitaten Tomikis hervor, der die Randori-Realität seiner Zeit als praktisch Übender im Kodokan genau kannte.

Tomiki unterschied zwei "Systeme des randori" für unterschiedliche Abwehr von Angriffen:
Wenn wir die Angriffe grundsätzlich analysieren, dann lassen sich zwei generelle Kategorien unterscheiden:
1. Bei einem Nahangriff versucht der Gegner dich hinzuwerfen (Taosu) oder festzulegen (Osaeru) indem er Beine und Hüfte einsetzt
2. Bei einem Distanzangriff versucht der Gegner zu schlagen, sich auf dich zu stürzen, Dich zu treten oder mit einer Waffe zu schneiden oder zu stoßen."

Kurz danach schreibt er: "Das System der Randoripraxis, das Meister Kano entwickelte, ist für die Situationen, wie sie unter Punkt 1. oben beschrieben werden. Es umfasst die Kategorien der Wurf- und Grifftechniken, wobei man mit engem Körperkontakt versucht eine Technik an Kragen und Ärmel einer Jacke im japanischen Stil anzuwenden.
Das System der Randoripraxis, wo man versucht den Angriffen eines Gegners aus der Distanz auszuweichen (wie in Punkt 2. beschrieben) und dann eine Technik anzuwenden, umfasst die Atemiwaza und Kansetsuwaza.
Für beide Kategorien besteht die Notwendigkeit, ein Randori-Trainingssystem zu entwickeln."

Und erst ziemlich am Ende seines Aufsatzes schildert er, was hier im Forum ganz häufig als Kanos Zitat genannt wird: "Von einem praktischen Gesichtspunkt aus betrachtet ist es jedoch unmöglich für Jujutsu, ein ausreichendes Training in der praktischen Anwendung der Techniken mit nur einer Kampfform zu erhalten. Daher ist es unbedingt notwendig mindestens zwei Übungsformen für die beiden oben beschriebenen Situationen zu haben.
1926 diskutierte Meister Kano einmal in einer Radiosendung das Thema „Das alte Judo und das Judo der Zukunft” und im Jahr darauf bemerkte er seinen Schülern gegenüber das Folgende: “Ich denke, dass es eine Methode des Randori und Wettkampfes (Shiai) gegen muss, die die Atemiwaza mit einbezieht, vorausgesetzt, wir entwickeln es allmählich und nach sorgfältiger Untersuchung. Dieses System jedoch ist nicht so einfach wie das, in dem MobilNovadie entscheidenden Erfolge durch werfen (Nage) oder niederhalten eines Gegners (Osae) errungen werden." Das Randori– und Kampftraining, das die Atemiwaza einbeziehen würde, wurde von Meister Kano überdacht, wie wir aus dieser Anmerkung ersehen, aber es wurde Zeit seines Lebens nicht realisiert."

Wir sehen: Das angebliche Kano-Zitata ist zunächst einmal nichts weiter als eine (fiktive) wörtliche Rede, die Tomiki - wohl als rethorischen Trick - in seinem Aufsatz verwendet. Gesagt hat dies Kano wohl nur dem Sinn nach, nicht aber so wörtlich!
Wir sehen außerdem: kein Wort über Waffen, kein Wort darüber, das es Kano in über 50 Jahren Judo gelungen ist, Atemiwaza ins Randori einzubauen.

Wir halten fest:
Waffen im Judo gab es nicht! Jujutsu und Judo waren und sind waffenlose Kampfkünste (auch gegen die bewaffneten Angriffe!)
Kanos Randori fand ohne Atemiwaza statt!


Wer etwas anderes behauptet, hat dazu halt eine andere Meinung.
Aber nachweisbare Tatsachen oder gar Zitate Kanos, die belegen, daß Kano dies tatsächlich in seinem Judo praktiziert hat, lassen sich bisher nicht finden.

Oder verstehe ich das jetzt alles nur wieder falsch? Wenn ja, wo denn?

Jupp

P.S: der ganze Aufsatz ist nachzulesen auf http://www.judoinfo.com; wer meine - auszugsweise deutsche Übersetzung haben möchte, schreibt mir eine Nachricht; ich schicke diese dann zu.
katana
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von katana »

Jupp schrieb:
Wir sehen außerdem: kein Wort über Waffen, kein Wort darüber, das es Kano in über 50 Jahren Judo gelungen ist, Atemiwaza ins Randori einzubauen.
Wir halten fest:
Waffen im Judo gab es nicht! Jujutsu und Judo waren und sind waffenlose Kampfkünste (auch gegen die bewaffneten Angriffe!)
Kanos Randori fand ohne Atemiwaza statt!


Ich ergänze,
Wir sehen außerdem: kein Wort von Würgetechniken !!!
Halten wir nun auch fest ?:
Würgetechniken im Judo gab es nicht ?...........

Oder verstehe ich das jetzt alles nur wieder falsch?


Gruß KK
HBt

Referenzierung

Beitrag von HBt »

Tutor! hat geschrieben:Heißt das etwa, dass die ganzen Aufsätze nicht sauber mit Erst-Erscheinungsdatum und -quelle referenziert sind?
Leider; außer es gibt "die Judo Lebenserinnerungen" als Ganzes im Original, den diese hat Watson übersetzt und ergänzt - ein spannendes Lesebuch, keine wissenschaftliche Abhandlung. Watson trennt diese Teile aber deutlich (Kapitel). Trotz dieses kleinen Makels absolut empfehlenswert, vielleicht erscheint ja bald eine um diesen Punkt erweiterte Ausgabe.*

Watson wird sich schließlich die JMem nicht ausgedacht haben, sondern übersetzt. 8)
Jupp hat geschrieben:Wer etwas anderes behauptet, hat dazu halt eine andere Meinung. Aber nachweisbare Tatsachen oder gar Zitate Kanos, die belegen, daß Kano dies tatsächlich in seinem Judo praktiziert hat, lassen sich bisher nicht finden.
Das ist aber nicht gleichbedeutend mit: "er hätte nicht". Warum sollte er dann auf die Notwendigkeit, wenigstens erweiterte Fähigkeiten und Kenntnisse im Umgang mit Waffen zu haben, hinweisen?
In diesem Faden sollte man sich in der Diskussion und Frage klar vom Sportgedanken des heutigen Judo lösen und wertfrei über mögliche positive Aspekte nachdenken.
Was Kano in seiner Randoripraxis mit Meister Iikubo bis 1886 exakt praktizierte, findet sich auch nicht in JMem, wahrscheinlich Nagewaza (Kito Ryu) ... ;) Was sonst? Kata, wie Kano selber schreibt und die Frucht kennen wir: ohne Waffen. Doch das ändert nichts an seinem ausdrücklichen Wunsch; (..) sind doch Wurftechniken kein Selbstzweck.

Auch Tomiki war als Schüler von Ueshiba bestimmt im Umgang mit Waffen geschult, warum sollten wir nicht auch ... was spricht dagegen?

*Kano Jigoro Chosakushu, Volume III, 1992
p189, Bibliography

Nachtrag:
Auf der Basis dieser Art von Üben vervollständigte Meister Kano sein System des Randoritrainings während und nach der Meiji-Periode (1868-1912). Dieses System ist das moderne Wettkampfjudo." (wörtlich: "competition judo /judo kyogi)
Eine Parallele hierzu findet sich im aktuellen Werk und in MoM nicht, wie kommt Tomiki darauf? Eine Interpretation?
Welche Art das Randori von Kano zu diesem Zeitpunkt (um ca. 1928) war, geht deutlich aus den Zitaten Tomikis hervor, der die Randori-Realität seiner Zeit als praktisch Übender im Kodokan genau kannte.
Ja - Kenji Tomiki müßte es genau kennen, daraus würde ich aber nicht ableiten. daß er auch Kanos Gedanken / Einschätzungen zur Situation kannte.
Hierzu ein Zitat aus JMem, wahrscheinlich auch um ca. 1928, Seite 38:
(..)
My teaching of randori was related to the above ideals and I believe that the randori practiced then was very much closer to my ideals than that I see commonly practiced today.
Jupp
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von Jupp »

ein Zitat aus Jupps-Beitrag:
"Welche Art das Randori von Kano zu diesem Zeitpunkt (um ca. 1928) war, geht deutlich aus den Zitaten Tomikis hervor, der die Randori-Realität seiner Zeit als praktisch Übender im Kodokan genau kannte."
kommentiert HBT mit:
"Ja - Kenji Tomiki müßte es genau kennen, daraus würde ich aber nicht ableiten das er auch Kanos Gedanken / Einschätzungen zur Situation kannte."

Nein, keiner konnte und kann Kanos Gedanken lesen - auch wenn derlei Schlußfolgerungen auch in diesem Faden recht häufig verwendet werden.

Daher sind wir alle darauf angewiesen, glaubwürdige Quellen von glaubwürdigen (möglichst) Zeitzeugen zu finden, die glaubhaft beschreiben, was wie gewesen ist.

Gibt es in dieser Hinsicht irgendeinen Grund, die von mir weiter oben angegebenen Quellen anzuzweifeln, ausser der Tatsache, dass sie nachweislich nicht von Kano persönlich ist?
Einfach, nur so, weil es einem nicht passt, was da steht, weil man eine andere Meinung hat, kann man eine Quelle nicht ignorieren, so lange sie für alle ohne großen Aufwand nachprüfbar ist. Eine ordentliche Quellenangabe habe ich ja nun gemacht. Den englischen Originaltext kann man nachlesen. Meine Übersetzung anfordern.

Und wo wir gerade dabei sind: wie weit können wir Quellen glauben, die - wie in "Mind over Muscel" nachweislich auch nicht original von Kano stammen, sondern von Naoki Murata zusammengestellt wurden, wobei bei allen Texten die Jahresangaben fehlen und deutlich gemacht wird, was woraus exakt übernommen wurde (Ja, ich weiß, auf S. 154 ff werden die verwendeten Texte mit Jahresangaben aufgeführt!). So ist nicht einzuordnen, was Kano wann, in welchem historischen Zusammenhang gesagt oder verfasst hat.

Wir alle, die wir nicht die Originalquellen lesen können, sind darauf angewiesen, zu glauben:
- an die Qualität der Übersetzungen ins Englische oder Deutsche
- an die Authenzität der Originalquellen, die übersetzt wurden
- an das, was glaubwürdige Quellen sagen...
- an...

Jupp
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Re: Referenzierung

Beitrag von Hofi »

HBt hat geschrieben:
Jupp hat geschrieben:Wer etwas anderes behauptet, hat dazu halt eine andere Meinung. Aber nachweisbare Tatsachen oder gar Zitate Kanos, die belegen, das Kano dies tatsächlich in seinem Judo praktiziert hat, lassen sich bisher nicht finden.
Das ist aber nicht gleichbedeutend mit: "er hätte nicht". Warum sollte er dann auf die Notwendigkeit, wenigstens erweiterte Fähigkeiten und Kenntnisse im Umgang mit Waffen zu haben, hinweisen?
Hi!
Und genau hier ist das Problem. Es steht auch nirgends, dass Kano nicht Wasserski gefahren wäre oder dies hätte tun können. Also könnte man auf Grund der Quellenlage mit der gleichen Rechtfertigung behaupten, ein Judotraining, das den Aspekt des Wasserski weglässt, ist genauso unvollständig wie eines, das Randori mit Atemi-waza weglässt.
Es geht hier um eine klare Analyse der Quellenlage und nicht um das, was sein könnte. Und diese sagt nach dem hier bekannten folgendes aus:
- Randori nach Kano wurde ohne Atemi-waza trainiert
- Waffen kamen in den Judotechniken im engen Sinne nur im Rahmen der Kata vor
- es gab auch Waffentraining im Kodokan, aber als eigene Sparten und diese sollten nach den Prinzipien des Judo im weiten Sinne ausgeübt werden
- Kenntnisse von Waffentechniken hielt Kano für zumindest sinnvoll (was ja auch logisch ist, wenn man die Abwehr von Waffen in den Kata sinnvoll trainieren will)

Und das lässt für mich letztlich folgenden Schluss zu:
Jemand der behauptet, dass Waffentechniken unverzichtbarer Teil des Judo-Lehrplanes sind, hat dafür keine ausreichende Quellenlage.
Jemand der behauptet, dass ein anderer, der keine Waffentechniken trainiert, kein Judo im Sinne Kanos macht, gibt im besten Fall eine nicht belegbare Behauptung ab, im schlimmsten Fall will er den Gegenüber bewusst herabsetzen.

Dass das Training von Waffentechniken für das Training der waffenlosen Techniken Vorteile haben kann, soll damit in keiner Weise bestritten werden.
Bis dann
Hofi
Wer die Wahrheit sagt, braucht ein verdammt schnelles Pferd.

Heimat ist dort, wo man von der Dorfbevölkerung, die einen duzt, gelyncht wird.
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von Lin Chung »

Habe ich nicht irgendwo den Satz gelesen:

Ein Judomeister muss mit dem Schwert umgehen können?

Wie soll das gehen ohne Training?
Grüße
Norbert Bosse
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von tutor! »

Lin Chung hat geschrieben:Habe ich nicht irgendwo den Satz gelesen:
Ein Judomeister muss mit dem Schwert umgehen können?
Wie soll das gehen ohne Training?
Ein idealer Judo-Lehrer muss auch die modernen wissenschaftlichen Methoden des Unterrichtens beherrschen. Das geht ebenfalls nicht ohne Training und Ausbildung, aber Didaktik und Methodik wird damit nicht automatisch zu einem Teilgebiet des Judo, oder?

Die Frage ist doch nicht ob Waffen zum Judo gehören, sondern in welchem Rahmen. Aus dem Kopf zusammenfassend über alle bisherigen Beiträge ist es unstrittig, dass Waffen in folgendem Rahmen mit Judo und dem Kodokan verbunden sind:
  • Beim Judo wird geübt, Angriffe bewaffneter Gegner abzuwehren. Das impliziert automatisch:
  • Uke muss mit einer ausreichend guten Technik/Fertigkeit mit einer Waffe angreifen können - dazu muss er üben.
  • Tori und Uke müssen beide wissen, wo die Spezifik und die besondere Gefahr einer Waffe liegt - sie brauchen neben praktischer Erfahrung auch theoretisches Wissen.
  • Ein Judo-Lehrer muss dieses vermitteln - daher braucht er ebenfalls diese praktischen und theoretischen Kompetenzen.
Daneben gab es am Kodokan:
  • eine Bojutsu-Abteilung
  • eine Annäherung an andere Budo-Disziplinen mit dem Versuch, diese im Sinne der Judo-Prinzipien technisch und moralisch weiter zu entwickeln und sie als "Anwendungen" (oder "Zugänge") zu den Judoprinzipien im Sinne einer umfassenden Lebensphilosophie zu betrachten.
  • Gast-Lehrer anderer Budo-Disziplinen
  • Sensei, die mehrere Disziplinen betrieben und unterrichteten, teilweise auf Geheiß von Kano sogar diese erst studierten.
Außerdem können wir aus didaktisch-methodischer Sicht festhalten, dass
  • man durch ein Training mit Waffen insgesamt für sein Judo-Verständnis profitieren kann.
Dies alles hat kein Mensch bestritten, und man würde Jupp falsch auslegen, wenn man seine Äußerung "im Judo gibt es keine Waffen" so auslegen würde, als würde er das oben stehende bestreiten.

Was es jedoch nicht gibt und zwar weder in den 5.000 Seiten Originalschriften von Kano noch in Veröffentlichungen vor dem WW2 oder danach ist:
  • eine Darstellung Kanos oder seiner Schüler - am besten in einem Publikationsorgan des Kodokan -, dass Tori einen Angriff Ukes mit Hilfe einer Waffe abwehrt, das heißt, die Handhabung einer Waffe um den Gegner zu überwältigen/besiegen/töten etc....
  • eine Liste von Techniken oder Übersichtsdarstellungen von Technikgruppen des Kodokan-Judo, in der Waffen auftauchen
  • eine Prüfungsordnung des Kodokan, in der der Gebrauch einer Waffe als Tori geprüft wird
  • eine Kata, in der Tori eine Waffe benutzt
Dies alles gibt es nicht. Auch die in der Bojutsu-Abteilung trainierten Techniken haben nie Aufnahme in die Liste der Judo-Techniken gefunden.

Wer der Ansicht ist: "Waffen gehören zum Judo" darf sich durch die Punkte oben bestätigt fühlen. Sie legitimieren auch jede Form des Umgangs und des Trainings mit Waffen im Judo.

Wer der Ansicht ist: "Im Judo gibt es keine Waffen", der darf sich gerne auf die unteren vier Punkte berufen und sich durch sie in seiner Meinung bestätigt fühlen, sollte vielleicht um Missverständnisse auszuschließen deutlich machen, dass er die Punkte der oberen Aufzählung nicht bestreitet.

Wer aber das Gefühl hat, über die oben von mir als unstrittig bezeichneten - und eigentlich selbstverständlichen - Punkte der oberen Aufzählung hinausgehend Waffentraining als Teil des von J. Kano entwickelten Judo (nicht irgendwelcher Derivate oder Hybride mit anderen Stilen) zu sehen, den bitte ich höflich, nicht immer gebetsmühlenartig die unstrittigen Punkte zu wiederholen - denn das hieße "dem Papst eine katholische Messe lesen", sondern in einem der weiter unten genannten vier Punkte entsprechendes Material vorzulegen.

Ich bin weit entfernt ein "idealer Judo-Lehrer" zu sein und werde es auch nie werden. Ich bin kein Träger eines 10. Dan und dieser ist für mich nicht erreichbar. Daher empfände ich es nicht als Schmach, ein niedrigerer Rang zu bleiben und zu meiner Unvollkommenheit zu stehen, so lange der Wunsch zu lernen in mir wach bleibt.

Ich möchte aber höflich und mit allem gebotenen Respekt alle anderen weiter als ich fortgeschrittenen Sensei bitten, sich dessen zu erinnern, was Kano "die große Kapazität" genannt hat. Nämlich:
  • Neuem nicht ablehnend gegenüber zu stehen, denn - so Kano (sinngemäß) "wer seine eigene Meinung allzu sehr beschützt, kann keine Fortschritte mehr machen",
  • Theorien und Gedanken - auch wenn sie widersprüchlich sein mögen - aufzunehmen, sie nicht zu vermengen, sorgfältig studieren und sie zum allgemein Wohl zu einer Synthese zu bringen.
Wer sich auf Kano beruft, sollte zeigen, dass er nicht nur selbst diese Lektion des Judo gelernt hat, sondern dass er auch in er Lage ist, diese Lektionen an seine Schüler weiterzugeben. Denn das macht den idealen Judolehrer auch aus.
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
HBt

Das Ideal - offtopic

Beitrag von HBt »

Tutor! hat geschrieben:Wer sich auf Kano beruft, sollte zeigen, dass er nicht nur selbst diese Lektion des Judo gelernt hat, sondern dass er auch in er Lage ist, diese Lektionen an seine Schüler weiterzugeben. Denn das macht den idealen Judolehrer auch aus.
Unbestreitbar - bedeutet und führt im Umkehrschluß aber auch zur absolut notwendigen, sorgfältigen Selektion der Schüler. Schließlich geht es im 'altruistischen Sinne' um den Schüler, praktisch aber auch um die Reputation des Lehrers (eines Ryu).
J. Kano hat sich persönlich um 'seine Studenten' gekümmert, sie waren es offensichtlich wert.

Ist ein typischer Mehrspartensportverein heute in der Lage zu derartigem, verstehen wir uns nicht gerne als Dienstleister? Impliziert Dienstleistung nicht auch Konsum?
Jeder muß sich selber fragen was er will.

@Tutor!,
in allen anderen Punkten stimme ich mit Dir überein. Wieder Konsens, doch das Argument Tori müsse das 'Schwert führen' sehe ich nicht so, ob Tori oder Uke ist irrelevant.
HBt

Massenkompatibel?

Beitrag von HBt »

Kawaishi / Harrison, p93, 7 katas of Judo
(..) Shinken shobu no kata, or Kata of Compat (..) to defence against a dagger and sword the judoka should at first use imitation weapons, then substitude real ones for them; the truth and quality of the Kata, the mastership of the performers will be improved thereby. (..) the understanding and execution of the Shinken shobu no kata suppose a good knowledge of all the techniques of Judo, especilly of Strangulations and Locks, and also of Selfdefence and Atemis.

Vergleicht man dieses Fragment mit Kanos eigenen Worten und versetzt sich in die Zeit zwischen 1860 - 1928 ist die Indizien und Beweislage eindeutig: "real ones". Bestimmt nicht für jeden geeignet, ich gehe aber davon aus, dass die ersten Schüler, bis hin zu Mifune noch ganz andere Dinge auf dem Kasten hatten, als nur "ein bißchen Werfen". Weiter könnte eben dieses der Grund für ihre exponierte Stellung, ihr Ansehen (gewesen) sein - Hypothese.

Reduziert man die Atemi-waza einmal nicht nur auf die im Kodokan Judo-Buch aufgezählten, sondern lässt die Tatsache zu, dass der ganze Körper (siehe Gozo Shioda) - man mit dem Körper eine Atemi-waza ausführen kann, dann müssen auch Hilfsmittel, sprich Waffen in der Technikliste angeführt werden.
Lin Chung
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von Lin Chung »

man mit dem Körper eine Atemi-waza ausführen kann, dann müssen auch Hilfsmittel, sprich Waffen in der Technikliste angeführt werden.
...Waffen sind auch deine Hände, Füße, Knie, usw.
Grüße
Norbert Bosse
ボッセ・ノルベルト

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Hofi
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von Hofi »

@ HBT: Dein englisches Zitat spricht ausdrücklich von "to defence against a dagger and sword". Damit ist nur belegt, was unstreitig ist, nämlich, dass Judo auch die (unbewaffnete) Verteidigung gegen Waffen enthält.
Es belegt nicht, dass dass aktive Führen der Waffe als die Aktion abschließende Technik zum Lehrplan des Judo im engen Sinn gehört. Es ist bisher nirgends belegt, dass der erfolgreiche Waffenangriff zum Lehrplan/Prüfungsstoff des Judo gehört. Was dazu gehört, und das ist eben unstreitig, ist der erfolglose, weil mit Judotechniken abgewehrte, Waffenangriff.

Wie also Dein Zitat die Beweislage verändern sollte, müsstest Du bitte erklären.
Bis dann
Hofi
Wer die Wahrheit sagt, braucht ein verdammt schnelles Pferd.

Heimat ist dort, wo man von der Dorfbevölkerung, die einen duzt, gelyncht wird.
HBt

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Beitrag von HBt »

Lieber Hofi,
in dem Zitat geht es nicht um eine derartige Beweisführung, sondern vielmehr um die Aussage mit welcher Art von Waffen
umgegangen werden sollte / kann. Schließlich unterstreicht ein 'herabsausendes echtes Schwert' die Ernsthaftigkeit und ermöglicht so ein gänzlich anderes lernen, als ohne.

Wozu sollte J. Kano in 'seiner PO' (gab es dergleichen überhaupt, war das notwendig - nein, meines Wissens nicht*) einen alleinigen Waffentechnikteil verankern? Nach welchen Kriterien hat er seine Dan-Grade verteilt? Darum geht es hier doch, oder? Der vollständige Judolehrplan enthielt in den Jahren von bis ... was? :dontknow


*vor der Massenbewegung

@all
BITTE SPIELT NICHT MIT ECHTEN WAFFEN.
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