Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Hier geht es um Techniken, deren Ausführung und Beschreibung
Antworten
tutor!
Moderator
Moderator
Beiträge: 3884
Registriert: 08.08.2008, 10:41

Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von tutor! »

kastow hat geschrieben:Irgendwie geht jetzt einiges Durcheinander.
Alle Teile des von Dir gewünschten Puzzles sind in diesem Faden enthalten. Du musst sie nur zusammensetzen. Verstehen musst Du selbst, das kann Dir keiner abnehmen. Sollte Dir eine konkrete Information fehlen, frag nach, aber lies bitte vorher die Beiträge von Reaktivator, Jupp oder von mir.
kastow hat geschrieben:Ich wollte mit meiner Äußerung zur PO eigentlich keine Diskussion "PO gegen Gokyo" entfachen.
Sind ja auch zwei völlig verschiedene Paar Stiefel, wenngleich die Diskussion fast immer verknüpft wird.
kastow hat geschrieben:Mich interessiert, warum die Wurfreihenfolge geändert wurde.
Von welcher Änderung sprichst Du genau?
Über die 1920er Änderung der Gokyo sind keine Unterlagen bekannt, was hier schon x-mal geschrieben wurde (s.o.).
Über die Entwicklung der PO hatte ich einiges geschrieben
kastow hat geschrieben:Nicht, um Gokyo und PO gegeneinander zu stellen, sondern um mein Verständnis der Gokyo (auch mit evtl. Schwachpunkten) und der PO zu vertiefen. Wenn Leute etwas ändern, denken sie sich doch etwas dabei.
Schwachpunkte kann etwas nur in Bezug auf eine zugedachte Funktion haben und damit drehen wir uns im Kreis. In Bezug auf welche Funktion willst Du "Stärken und Schwächen" der Gokyo erfahren?

Für die Veränderungen der PO sind die Gründe weitgehend bekannt bzw. veröffentlicht, für die Änderung der Gokyo 1920 leider nicht.
kastow hat geschrieben:Ich habe darauf hingewiesen, dass
a) jede Theorie zur Gokyo logisch überprüfbar ist
Jupp und auch ich haben geschrieben, dass jede bekannte Theorie bisher widerlegt wurde. Niemand hat bisher eine durchgehende Sinnstruktur gefunden. Ich hatte mich vorsichtiger ausgedrückt und formuliert, dass ich keiner Theorie traue. Eine habe ich dagegen als Unsinn bezeichnet und auch widerlegt. Es steht doch alles x-mal dort oben.
kastow hat geschrieben:b) dass einige Diskussionen überflüssig sind, wenn die damals Beteiligten / Beobachtenden kurz die Diskussion der 70er zusammenfassen. (Wieso wird uns Jüngeren eigentlich das Ergebnis der damaligen Diskussion verweigert?)
Ulrich Klocke hat es doch ganz hervorragend zusammengefasst. Niemandem wird das Ergebnis dieser Diskussion verweigert oder vorenthalten. Es steht doch dort oben!
kastow hat geschrieben:Vielleicht können wir ja doch - bitte - auf dieser sachlichen Ebene weiter arbeiten.
Das wird schwer, solange Du an ein mysteriöses Geheimnis hinter der Gokyo glaubst. Wir werden Dich und andere nicht von der Nicht-Existenz dieser Geheimnisse überzeugen können.

Wie schrieb Reaktivator noch:
Reaktivator hat geschrieben:Auf die Frage seines Meisters, was er da sehe, antwortet der vor einem Berg stehende Anfänger: »Nun - einen Berg«. Der Fortgeschrittene (...) erkennt hingegen, daß es eigentlich doch viel mehr ist als bloß ein Berg, und liefert auch direkt zahlreiche geistreiche Interpretationen, die den Anfänger zutiefst beeindrucken - und doch zugleich verwirren.
Am Ende dann wenden sich beide gespannt an den Meister und fragen ihn, was es denn nun in Wirklichkeit ist. Der Meister antwortet: »Nur ein Berg«
Also lass Dich nicht beeindrucken und verwirren. Ulrichs Zusammenfassung ist doch wirklich nicht so schwer zu verstehen. Und JA: er war damals maßgeblich an der Diskussion beteiligt.
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
HBt

Positionen und persönliche Unzufriedenheiten

Beitrag von HBt »

TUTOR! hat geschrieben: (..) Judo von einem anderen Stern und zerstören dieses Gerüst. Was eben noch der eigenen (sozialen) Position Sicherheit gab, worauf man eben noch die eigene Position als "Experte" gründen konnte, wird in Frage gestellt. Rhetorisch kommt man gegen die "Studierten" auch nicht an. Das starre, aber vertraute Gerüst der Gokyo wird in seine Elemente zerlegt, mit denen man plötzlich kreativ umgehen soll (Zusammenstellung anderer Reihenfolgen und Bezüge zwischen den Techniken). Andere schaffen das, und man selbst?
Lieber unbekannter Tutor und lieber Ulrich,
Ihr konstruiert einen Rundumschlag und wollt nicht wahrhaben, dass die angezettelte Diskussion zur GoKyo, (eben) besonders ein Ausdruck der Kreativität und der (nennen wir es) Liebe zum Judo ist, nicht ein dümmliches Stänkern. Seht es als Qualitätsmanagement, als Suche nach neuen (hoffentlich besseren Wegen und Vermittlungsmethoden) Wegen an.
Und bedenkt, die beteiligten Delinquenten sind zwar noch relativ jung, aber auch schon einige Zeit lizensierte ÜL/TR und (noch) aktiv.
Ein Beweis für die Nichtexistenz div. Aufzeichnungen zum Thema fehlt weiterhin, auch wenn eine mögliche Schlußfolgerung, der noch nicht aufgetauchten Dokumente, diesen nahelegen könnte. Mit glauben oder dem Glauben, hat das alles recht wenig zu tun, vielmehr mit ...

Grüße
Helge
tutor!
Moderator
Moderator
Beiträge: 3884
Registriert: 08.08.2008, 10:41

Re: Positionen und persönliche Unzufriedenheiten

Beitrag von tutor! »

HBt hat geschrieben: Lieber unbekannter Tutor und lieber Ulrich,
Ihr konstruiert einen Rundumschlag und wollt nicht wahrhaben, dass die angezettelte Diskussion zur GoKyo, (eben) besonders ein Ausdruck der Kreativität und der (nennen wir es) Liebe zum Judo ist, nicht ein dümmliches Stänkern.
Dann sei doch endlich mal kreativ!
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
Benutzeravatar
kastow
3. Dan Träger
3. Dan Träger
Beiträge: 1190
Registriert: 24.06.2007, 10:46

Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von kastow »

Also gut, dann ausführlicher ;)
Um im Vorfeld Missverständnisse zu Vermeiden: Wenn ich von den PO spreche, geht es mir um die Wurfreihenfolge im Vergleich zur Gokyo. An anderer Stelle in einem anderen Forum habe ich viele der Argumente, die ich hier für die Gokyo nutze, auch für die 2005er PO genutzt. Mir geht es darum, sowohl Gokyo als auch PO von möglichst vielen Standtpunkten zu betrachten, um mein Verständnis des Judo zu erweitern.
Das wird schwer, solange Du an ein mysteriöses Geheimnis hinter der Gokyo glaubst. Wir werden Dich und andere nicht von der Nicht-Existenz dieser Geheimnisse überzeugen können.
An welcher Stelle habe ich denn von einem mysteriösen Geheimnis gesprochen?
Wieso wird mir von dir und Jupp solch ein Quatsch unterstellt? Ich frage - ergebnissoffen - nach einer Struktur innerhalb der Gokyo und nach möglichen Theorien. Dazu interessieren mich Fakten - kein Meinungen.
Jupp und auch ich haben geschrieben, dass jede bekannte Theorie bisher widerlegt wurde. Niemand hat bisher eine durchgehende Sinnstruktur gefunden. Ich hatte mich vorsichtiger ausgedrückt und formuliert, dass ich keiner Theorie traue. Eine habe ich dagegen als Unsinn bezeichnet und auch widerlegt. Es steht doch alles x-mal dort oben.
[...]
Ulrich Klocke hat es doch ganz hervorragend zusammengefasst. Niemandem wird das Ergebnis dieser Diskussion verweigert oder vorenthalten. Es steht doch dort oben!
[...]
Das ist aber alles Spekulation und bringt nicht einen Schritt weiter! In den 1970ern sind genau diese Dinge umfassend diskutiert worden und schon damals hat man kein einheitliches System hinter der Gokyo gefunden - so sehr man sich auch bemüht hat. Letztlich fanden sich für alle Argumente sofort die entsprechenden Gegenargumente.
Genau. Dort steht, was ihr meint. Argumente tauchen fast nicht auf. Es wird erwähnt, dass in den 70ern diese Theorien widerlegt worden wären. Aber nicht, mit welchen Argumenten. In den 70ern glaubte man auch, dass bis zur Jahrhundertwende eine bemannte Raumstation auf dem Mond stünde. Und, wo ist sie heute? Warum soll ich jetzt also einer solch pauschalen Aussage glauben, wenn sie nicht belegt wird. Durch deine Anonymität (die ich hiermit ausdrücklich nicht Frage stelle) weiß ich ja nicht einmal, wer du bist. Vielleicht hast du ja gerade vor einem Monat mit dem Judo begonnen. Darum ist deine Meinung kein Argument. Also noch einmal: Wieso führt ihr nicht - bitte - kurz einmal Gegenargumente zu den Theorien auf?
kastow hat geschrieben:
Mich interessiert, warum die Wurfreihenfolge geändert wurde.
Von welcher Änderung sprichst Du genau?
Von der Änderung in den 90ern. Und noch etwas konkreter: Welche dieser Änderungen hätten nicht auch mit der Gokyo erreicht werden können. Anwendungsaufgaben (oder damals Komplexaufgaben) könnten auch der Gokyo angefügt werden. Wie schon erwähnt: Außer der späteren Einführung der einbeinigen Techiken erkenne ich keinen Vorteil in der Änderung der Wurfreihenfolge.
Für die Veränderungen der PO sind die Gründe weitgehend bekannt bzw. veröffentlicht, für die Änderung der Gokyo 1920 leider nicht.
Für die Einführung / Trennung der Prüfungsfächer ja, nicht für die Änderunge der Wurfreihenfolge (zumindest mir nicht). Was erreiche ich durch diese Änderungen, was die Gokyo nicht erreicht?
Ich möchte keine Rangliste nach Glaubwürdigkeit aufstellen, aber auf die Schnelle ein paar Gedanken, für die ich aber in der Regel keine schriftlichen Quellen habe.
1. Die "Lieblingswurf-Geschichte" (die ich für Unsinn halte)
5. Die Wurfachsen-Geschichte hat mir auch mal jemand erzählt (ich halte sie aber ebenfalls für Unsinn)
6. Anordnung nach der historischen Entstehung der Techniken
zu 1. hat meines Wissens Kudo schon widerlegt

zu 5. kann erst weiter geklärt werden, wenn jemand sich dazu äußert, was außer Raumachsen (hat tutor ja widerlegt) mit Bögen gemeint ist.

zu 6. Unwahrscheinlich, da Kano dann auch hätte wissen müssen, wann die Techiken in welchem Ryu entstanden sind.
2. Anordnung nach Schwierigkeit der Fallschule
3. Anordnung nach abnehmender Verletzungsgefahr beim Randori
4. Anordnung nach Schwierigkeit innerhalb verwandter Techniken (vom "Leichten zum Schweren")
[...]
zu 2) Jede Stufe der Gokyo deckt mehr oder weniger alle Wurfrichtungen ab, wobei in den höheren Stufen, das Fallen schwieriger wird
zu 3) Techniken mit hohen Anforderungen an Gleichgewicht kommen erst später, genauso die sutemi
zu 4) z.B. de-ashi-barai --> okuri-ashi-barai --> harai-tsuri-komi-ashi (jede Technik eine Stufe weiter)
Hier bestätigst du drei Theorien, anstatt sie, wie oben behauptet, zu widerlegen ;)
Herzliche Grüße,

kastow

Since the establishment of Kôdôkan jûdô, jûdô has become something that should be studied not only as a method of self-defence but also as a way of training the body and cultivating the mind. (Jigorô Kanô: MIND OVER MUSCLE)
tutor!
Moderator
Moderator
Beiträge: 3884
Registriert: 08.08.2008, 10:41

Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von tutor! »

kastow hat geschrieben:
2. Anordnung nach Schwierigkeit der Fallschule
3. Anordnung nach abnehmender Verletzungsgefahr beim Randori
4. Anordnung nach Schwierigkeit innerhalb verwandter Techniken (vom "Leichten zum Schweren")
[...]
zu 2) Jede Stufe der Gokyo deckt mehr oder weniger alle Wurfrichtungen ab, wobei in den höheren Stufen, das Fallen schwieriger wird
zu 3) Techniken mit hohen Anforderungen an Gleichgewicht kommen erst später, genauso die sutemi
zu 4) z.B. de-ashi-barai --> okuri-ashi-barai --> harai-tsuri-komi-ashi (jede Technik eine Stufe weiter)
Hier bestätigst du drei Theorien, anstatt sie, wie oben behauptet, zu widerlegen ;)
In Kürze, weil ich auch mal meine Brötchen verdienen muss. Es geht um durchgängige Sinnstränge. Ich schrieb, dass man sich aus vielen Gedanken, seine eigene Interpretation zusammenstricken kann, aber letztlich immer was selbst Gestricktes dabei herauskommt. Dieses selbst Gestrickte kann dann durchaus in der Summe durchaus die Gokyo in Gänze abbilden. Aber es ist und bleibt dann immer eine Eigeninterpretation.

Ich dachte eigentlich, dass jedem Gegenbeispiele zu diesen "Theorien" einfallen würden, die zeigen, dass diese Gedanken die Gokyo nur partiell beschreiben können.

Gegenbespiel zu 2): Kata-guruma ist sicher schwieriger zu fallen als so manche Technik aus den höheren Graden wie z.B. O-guruma. Dasselbe gilt auch für Tomoe-nage, der wohl schieriger zu fallen ist als Uki-waza. Letztlich ist die Frage der Schwierigkeit natürlich immer subjektiv, aber ich fände es abenteuerlich, daraus ein durchgängiges Ordnungsprinzip herleiten zu wollen.

Gegenbeispiel zu 3) Tsuri-goshi passt dann z.B. überhaupt nicht in die Reihe der Koshi-waza, weil er erst nach dem Harai-goshi kommt.

Gegenbeispiel zu 4) wieder passt Tsuri-goshi überhaupt nicht.

Bitte ergänze diese Gegenbeispiele nach Deinem Belieben. Ich bin sicher, Du wirst welche finden.

Noch einmal: es geht nicht um einzelne Teilaspekte, die sich finden lassen (ich habe ja Beispiele für solche gegeben). Es geht darum, dass bislang keine Quelle für ein durchgängiges Prinzip gefunden wurde. Und zwar nirgendwo in der Welt und auch nicht in den gesammelten veröffentlichten Werken Kanos.
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
HBt

Autsch

Beitrag von HBt »


Nachtrag II:
Fritz hat die Einleitung gelöscht, die nicht mehr als eine Tatsache sprachlich korrekt zum Ausdruck brachte. Eine
verbale Entgleisung oder Beleidigung ist etwas anderes, leider wird mit der "Deletefunction" auch der Sinn entstellt.
Noch einmal: es geht nicht um einzelne Teilaspekte, die sich finden lassen (ich habe ja Beispiele für solche gegeben). Es geht darum, dass bislang keine Quelle für ein durchgängiges Prinzip gefunden wurde. Und zwar nirgendwo in der Welt und auch nicht in den gesammelten veröffentlichten Werken Kanos.
Damit ist nicht ausgeschlossen, das es sie nicht gibt. Wir sollten sie suchen oder wiedererkennen, mehr nicht. Eigene Recherchen, Gedanken und Interpretationen bleiben jedem doch selbst überlassen und davon unberührt. Mir drängt sich der Eindruck auf, diese Vorgehensweise (freie Handlungskompetenz) ist nicht erwünscht, salonfähig. Zutreffend?

Gruß
Helge

Nachtrag:
Ulrich hat geschrieben: Man kann ein guter Judoka, ein guter Mensch und eine sozial verantwortliche Persönlichkeit sein, ohne die Gokyo zu kennen oder zu können.
Nein.
1) Ein Judoka ist per se eine verantwortliche Persönlichkeit, ergo ein sozialkompetenter, guter Mensch.
2) Die GoKyo (die Nagewaza) ist kein belangloser Quatsch, sondern ein Herzstück des Kodokan Judo.
3) Wäre sie unwichtig, hätte es keiner Reform (1920) bedurft.

Einwurf; in Frage stellst Du das (wahrscheinlich) selber. Nicht die Suchenden.
Zuletzt geändert von HBt am 04.09.2008, 21:20, insgesamt 3-mal geändert.
Lin Chung
3. Dan Träger
3. Dan Träger
Beiträge: 2161
Registriert: 20.05.2006, 14:54
Bundesland: Nordrhein-Westfalen

Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von Lin Chung »

Jupp schrieb:
Man kann ein guter Judoka, ein guter Mensch und eine sozial verantwortliche Persönlichkeit sein, ohne die Gokyo zu kennen oder zu können.
...das meinst du doch nicht im Ernst? Wer die Gokyo kann (auch teilweise), ist demnach ein schlechter oder kein Judoka?
Oder interpretiere ich das falsch?
Die Antwort ist "Jain!". Sie hat weltweit jahrelang als solches gedient, bis sich in fast allen Ländern der Welt ausgebildete Sportlehrer oder Sportwissenschaftler Gedanken darüber machten, in welcher Reihenfolge die Judotechniken den Zielgruppen entsprechend anders anzuordnen seien.
Auch wenn viele die Gokyo immer noch als eine methodische Reihung mißverstehen, zeigen zahllose Bücher in allen Judonationen, dass sich die Fachleute in der Praxis anderer Kriterien für ihren Unterricht bedienen, als sie aus der Go-kyo heraus zu interpretieren sind.
...das heisst nun, dass man Kanos Anordnung nicht verstanden hat oder verstehen wollte und sich statt dessen was eigenes zusammen stellte. Meine Meinung.
Grüße
Norbert Bosse
ボッセ・ノルベルト

Wissen stirbt, wenn es bewahrt wird, und lebt, wenn es geteilt wird.
Non scholae sed vitae discimus (Nicht für die Schule - für das Leben lernen wir)
You're only as old as you date. Keep em young boys!
tutor!
Moderator
Moderator
Beiträge: 3884
Registriert: 08.08.2008, 10:41

Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von tutor! »

Mal anders herum gefragt:

Was sind denn unahängig von jeder Prüfungsordnung die ersten drei Wurftechniken, die Kinder Eurer Meinung nach lernen sollten?
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
Benutzeravatar
Syniad
2. Dan Träger
2. Dan Träger
Beiträge: 650
Registriert: 28.07.2006, 16:45
Bundesland: Nordrhein-Westfalen
Kontaktdaten:

Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von Syniad »

Lin Chung hat geschrieben: ...das meinst du doch nicht im Ernst? Wer die Gokyo kann (auch teilweise), ist demnach ein schlechter oder kein Judoka?
Oder interpretiere ich das falsch?
Äh - ja, tust Du wohl. Das lässt sich da jedenfalls nicht rauslesen.
"Begriffe - Fehlschlüssel"
(E. Benyoëtz)
Benutzeravatar
Fritz
Moderator
Moderator
Beiträge: 5176
Registriert: 14.11.2003, 11:06

Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von Fritz »

Ich glaube es ist müßig, ein "durchgehendes" Grund-Prinzip in der Gokyo erkennen zu wollen zu müssen.
Für mich ist das Ding ein geschickter Kompromiss, in dem versucht wurde, relativ geschickt in der Breite
Judotechniken, Handwerkszeug zu vermitteln - damit ein Shodan dann mal anfangen kann, in Ruhe
Judo zu lernen ;-)
Was _könnten_ die Gesichtspunkte gewesen sein, die zur Gokyo geführt haben?
z.B.:
zweibeinig -> einbeinig,
Standtechnik -> Opfertechnik,
Einzeltechnik -> Kontertechnik,
Kombinationsfähigkeit,
Bewegungsverwandschaften,
Techniken prinzipiell aus normaler Kumi-Kata werfbar.

@tutor: Du listest sehr schön auf, was in der jetzigen PO sich im Vergleich zur Gokyo "verschoben" hat usw.
Das kannst Du, weil Du die Gokyo "beherrschst". Die nächsten Generation, also die welche ohne
eine Gokyo-PO ausgebildet werden, wird dies schon nicht mehr können... Aber irgendwann wieder an der
PO herumbasteln - und Dinge nach hinten verschieben...
Und das Argument, daß zur Dan-Prüfung
ja die Gokyo gekannt werden muß, zählt nicht, gegenwärtig wird da nur stichprobenmäßig geprüft, d.h. auf Zuruf.
Selbstverständlich kennen dann die Prüflinge die Würfe, haben sich ja schließlich damit vorher eine Weile befaßt,
aber nimm ihnen die Unterlagen weg und frag sie ein Jahr später mal nach 40 Würfen... :BangHead
Klar könnte man da was verbessern, in dem man in der Kyu-PO wieder konsequent die Techniken
der vorherigen Kyu wiederholen läßt, allerdings setzt dies voraus, daß sich die PO nicht allzu häufig ändert...
tutor! hat geschrieben:Was sind denn unahängig von jeder Prüfungsordnung die ersten drei Wurftechniken, die Kinder Eurer Meinung nach lernen sollten?
De-Ashi-Barai, O-Goshi, Seoi-Nage... Bei den letzten beiden wäre ich noch "flexibel"... ;-)

Zum Thema Zielgruppe: Das rangiert bei mir mittlerweile auf genau dem selben Niveau wie
"Mehr Medienwirksamkeit durch Veränderung der Wettkampfregeln&co" (was haben die Änderungen gebracht:
nichts - Judo ist immer noch wenig im TV zu sehen und in den Hallen sitzen immer noch die gleichen
Personengruppen: Judoka und deren Verwandte). Wenn sich Judo zum Kindersport entwickelt, heißt es
doch im Umkehrschluß, daß Erwachsene fehlen, insbesondere bei gleichbleibenden bzw. fallenden Mitgliederzahlen?
Ergo kann doch nicht die Konsequenz sein, alles immer mehr auf Kinder auszurichten (spielerisch, einfach,
viele Gürtel usw.) und damit zu hoffen, mehr Erwachsene zu erhalten... Das Ziel müßte doch eher sein,
im Kindesalter Grundlagen "einzuschleifen", von denen der Betreffende als Erwachsener (Wiedereinsteiger) noch
solide zehren kann... Und erwachsene Anfänger halt nicht durch "Kinderkram" zu langweilen ;-)

Zurück zur Gokyo: Hiermit gibt man dem Übling eine "Breitseite" an Techniken mit.
Er kann dann da daraus Verknüpfungen bilden. Das ist natürlich eine andere Herangehensweise als das typische,
ordentliche "Eins nach dem anderen" und alles baut mit kleinen Änderungen
auf bereits Bekanntem auf, wie es Geesink befürwortet.
Aber - bleiben wir mal beim "kindgerecht" - kann ein Kind das überhaupt würdigen? Oder besteht nicht eher die Gefahr,
daß es denkt - 'Hmm schon wieder "Hüftwurf", wie öde'? Sicherlich kann es Gründe geben, den Geesinkschen
Ansatz oder irgendeine andere Methodik zu wählen, aber jede Lehrmethode hat _immer_ Vor- und Nachteile -
und wenn man diese nicht gleich erkennen kann/soll, dann sollte man schon mal sehr wachsam werden...

Ich wäre sehr dafür, die Kyu-PO wieder an der Gokyo mit kompletter Technik-Wiederholung zu orientieren,
gute Ideen der letztens POs (Anwendungsaufgaben, Zwischengürtel, Kata als Prüfungsfach usw.) könnten
ja bleiben und die Habukareta Waza (d.h. Techniken der alten Gokyo) und Shinmeisho-No-Waza könnten auf die unteren Dangrade gelegt werden.
Mit freundlichem Gruß

Fritz
Benutzeravatar
kastow
3. Dan Träger
3. Dan Träger
Beiträge: 1190
Registriert: 24.06.2007, 10:46

Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von kastow »

Nach der mehrmaligen Aufforderung, den Berg zu betrachten und den Fragen Tutors zu den angeblichen Widersprüchen, erzähle ich jetzt, wie ich den Berg sehe:

An der Basis sehe ich zunächst, - wie von Fritz schon häufig erläutert - dass die Gokyo Wert auf Vielseitigkeit legt. Es werden nicht alle miteinander bewegungsverwandten Techniken in einem Kyo unterrichtet, sondern in einem Kyo tauchen verschiedene Bewegungsmuster auf.

Diese werden dann im Laufe der Gokyo mit verwandten Techniken erweitert. Die Erweiterungen erfolgen innerhalb der bewegungsverwandten Würfe sowohl für Tori als auch für Uke vom Einfachen zum Schwierigen.

Wichtig: Ich habe drei Kriterien:
1.) Bewegungsverwandtschaft,
2.) Schwierigkeit für Tori,
3.) Schwierigkeit für Uke.
Dadurch entsteht ein komplexes System. Beschränke ich mich auf ein Kriterium zu Beurteilung, reduziere ich das System und es macht keinen Sinn mehr. Das gleiche geschieht, wenn ich die Prioritäten falsch setze. Um bildlich zu bleiben: ich sehe dann den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr.

Ab dem dritten Kyo kommen die Sutemi-waza hinzu.

Ich persönlich sehe folgende Hauptbewegungsmuster in der Gokyo:
1.) auf De-ashi-batai aufbauende Würfe:
De-ashi-barai, Hiza-guruma, Sasae-tsuri-komi-ashi, Okuri-ashi-barai, Harai-tsuri-komi-ashi, Yoko-gake
2.) breite Eindrehtechniken:
Uki-goshi, Harai-goshi, Uchi-mata, Ashi-guruma, Hane-goshi, Hane-maki-komi, O-guruma
3.) auf den Sicheltechniken aufbauende Würfe:
O-soto-gari, O-uchi-gari, Ko-soto-gari, Ko-uchi-gari, Ko-soto-gake, O-soto-guruma
4.) Hüfttechniken (soweit nicht schon in 2. enthalten):
O-goshi, Koshi-guruma, Tsuri-komi-goshi, Tsuri-goshi, Utsuri-goshi, Ushiro-goshi
5.) Handwürfe:
Seoi-nage, Tai-otoshi, Kata-guruma, Sukui-nage, Soto-maki-komi, Uki-otoshi, Sumi-otoshi
6.) Yoko-sutemi-waza (soweit nicht schon in 1. -5. enthalten):
Yoko-otoshi, Tani-otoshi, Uki-waza, Yoko-wakare, Yoko-guruma
7.) Ma-sutemi-waza
Tomoe-nage, Sumi-gaeshi, Ura-nage

Damit beantworten sich auch Tutors Fragen.
tutor!, Verfasst: 03.09.2008, 10:57
Gegenbespiel zu 2): Kata-guruma ist sicher schwieriger zu fallen als so manche Technik aus den höheren Graden wie z.B. O-guruma. Dasselbe gilt auch für Tomoe-nage, der wohl schieriger zu fallen ist als Uki-waza. Letztlich ist die Frage der Schwierigkeit natürlich immer subjektiv, aber ich fände es abenteuerlich, daraus ein durchgängiges Ordnungsprinzip herleiten zu wollen.

Gegenbeispiel zu 3) Tsuri-goshi passt dann z.B. überhaupt nicht in die Reihe der Koshi-waza, weil er erst nach dem Harai-goshi kommt.

Gegenbeispiel zu 4) wieder passt Tsuri-goshi überhaupt nicht.
[Anordnung nach Schwierigkeit innerhalb verwandter Techniken]
zu Kata-guruma:
Kata-guruma ist eine Handtechnik, gehört also zu Reihe 5:
Seoi-nage, Tai-otoshi, Kata-guruma, Sukui-nage, Soto-maki-komi, Uki-otoshi, Sumi-otoshi
>> Da nur Seoi-nage und Tai-otoshi leichter sind, macht Kata-guruma im dritten Kyo Sinn. Sukui-nage ist der erste Wurf, bei dem Uke direkt auf dem Rücken landet, also schwieriger zu fallen als Kata-guruma, bei dem Uke schon aufgrund der Wurfhöhe genügend Zeit für Ukemi hat. Dass Soto-maki-komi, Uki-otoshi und Sumi-otoshi schwieriger sind, steht wohl außer Zweifel.

zu Tomoe-nage:
Tomoe-nage gehört zu den Ma-sutemi-waza, also Reihe 7:
Tomoe-nage, Sumi-gaeshi, Ura-nage
Da diese Techniken für Anfänger zu schwierig wären, erscheinen sie rückwärts vom fünften zum dritten Kyo. Das Ura-nage als schwierigster Wurf dieser Reihe in den fünften Kyo gehört, wird wohl niemand bezweifeln. Tomoe-nage und Sumi-gaeshi sind ähnlich schwierig, einer von beiden Würfen musste also zuerst auftauchen.

Zu Tsuri-goshi:
Tsuri-goshi ist ein Hüftwurf, gehört also zur Reihe 4
O-goshi, Koshi-guruma, Tsuri-komi-goshi, Tsuri-goshi, Utsuri-goshi, Ushiro-goshi
Gehe ich von der Bewegungsverwandtschaft aus, ist Koshi-guruma dem O-goshi am nächsten. Tori greift um den Kopf statt um Ukes Hüfte. Greift die Hand als nächstes hoch in Ukes Revers, folgt Tsuri-komi-goshi. Greift die Hand tiefer in Ukes Gürtel, folgt Tsuri-goshi. Die Reihe ist also in sich schlüssig. Und da der zweite Kyo schon recht voll an ein- und zweibeinigen Hüfttechniken ist, greift das Hauptprinzip der Vielseitigkeit und Tsuri-goshi 'rutscht' in den dritten Kyo.

Ergo: der Berg ist ein Berg mit logischem Aufbau ;)
Herzliche Grüße,

kastow

Since the establishment of Kôdôkan jûdô, jûdô has become something that should be studied not only as a method of self-defence but also as a way of training the body and cultivating the mind. (Jigorô Kanô: MIND OVER MUSCLE)
Lin Chung
3. Dan Träger
3. Dan Träger
Beiträge: 2161
Registriert: 20.05.2006, 14:54
Bundesland: Nordrhein-Westfalen

Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von Lin Chung »

Was sind denn unahängig von jeder Prüfungsordnung die ersten drei Wurftechniken, die Kinder Eurer Meinung nach lernen sollten?
Mal anders herum gefragt:

Was sind denn unahängig von jeder Prüfungsordnung die ersten drei Wurftechniken, die Kinder Eurer Meinung nach lernen sollten?
...De-Ashi-Barai, O-Goshi, Seoi-Nage... auch meine Meinung.
Grüße
Norbert Bosse
ボッセ・ノルベルト

Wissen stirbt, wenn es bewahrt wird, und lebt, wenn es geteilt wird.
Non scholae sed vitae discimus (Nicht für die Schule - für das Leben lernen wir)
You're only as old as you date. Keep em young boys!
tutor!
Moderator
Moderator
Beiträge: 3884
Registriert: 08.08.2008, 10:41

Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von tutor! »

kastow hat geschrieben:... erzähle ich jetzt, wie ich den Berg sehe:
An der Basis sehe ich zunächst
(...)
Ergo: der Berg ist ein Berg mit logischem Aufbau ;)
Ganz wie ich sagte: Du nimmst Gedanken zur Anordnung der Techniken, die sich nirgendwo aus den Schriften Kanos oder Mifunes, der in der Arbeitsgruppe 1920 war, bestätigen lassen und machst Dir ein eigenes Bild, das für Dich einen logischen Aufbau hat.

Für mich allerdings nicht, denn ich sehe z.B. nicht unmittelbar ein, dass ein Sasae-tsuri-komi-ashi auf einem De-ashi-barai aufbaut. Ich kenne zumindest keine Quelle, die das beschreibt, obwohl ich selbst Spekulationen anstellen und einen Zusammenhang herstellen könnte. Das würde aber wieder nur ein selbst gestrickter sein.

Außerdem vertrittst Du z.B. die Ansicht, dass ein Tai-otoshi leichter, ein Uki-otoshi jedoch schwieriger zu fallen sei als ein Kata-gruruma. Dieser Meinung kann ich mich auch nicht anschließen.

Ein paar systematische Fehler (Soto-maki-komi als Te-waza) sehe ich jetzt gar nicht so schlimm.

Wichtig ist mir: aus nicht bestätigten Theorien, für die es keine Quellen gibt, entwickelst Du Dein persönliches Bild. Das ist vollkommen in Ordnung, solange Du immer dazu sagst: "Ich sehe das so.....". Ich habe übrigens auch mein persönliches Bild irgendwann zusammengesetzt. Aber das kann hier erstens nicht zur Diskussion stehen und ich würde immer darauf bestehen, dass es meine persönliche Sichtweise ist.

Nicht mehr in Ordnung ist es nämlich, wenn jemand sagt: "Die Gokyo ist....." denn dafür braucht es mehr als unbestätigte Theorien, Spekulationen und persönliche Meinung. Und weil genau das in der Vergangenheit immer wieder passiert ist, haben wir heute das Problem......
Fritz hat geschrieben: Für mich ist das Ding ein geschickter Kompromiss
(...)
Was _könnten_ die Gesichtspunkte gewesen sein, die zur Gokyo geführt haben?
Du spekulierst - und sagst auch, dass Du es tust.
Fritz hat geschrieben:@tutor: Du listest sehr schön auf, was in der jetzigen PO sich im Vergleich zur Gokyo "verschoben" hat usw.
Das kannst Du, weil Du die Gokyo "beherrschst". Die nächsten Generation, also die welche ohne
eine Gokyo-PO ausgebildet werden, wird dies schon nicht mehr können... Aber irgendwann wieder an der
PO herumbasteln - und Dinge nach hinten verschieben...
Die Auflistung kann ich machen, weil ich lesen kann ;) . Bei der letzten Änderung der PO wurden übrigens wieder mehr Techniken der Gokyo ins Programm aufgenommen.

Aber was verstehst Du unter "beherrschen der Gokyo". Meinst Du, dass ich alle Techniken der Gokyo beherrsche oder dass ich sie aufsagen kann? Das ist jetzt wirklich ernst gemeint (sei aber versichert, dass ich beides kann).
Fritz hat geschrieben:Und das Argument, daß zur Dan-Prüfung
ja die Gokyo (...)
Das ist eine andere Ebene. Wir müssen in der Diskussion strikt trennen:
  • Struktur und Aufbau der Gokyo: das ist Gegenstand historischer Forschung
  • Qualität der Beherrschung von Techniken: das ist eine Frage der Qualität der Trainer und des Trainingsfleißes
  • Prüfungsanforderungen und Prüfungspraxis.: das ist eine Frage des Graduierungssystems
Fritz hat geschrieben:
tutor! hat geschrieben:Was sind denn unahängig von jeder Prüfungsordnung die ersten drei Wurftechniken, die Kinder Eurer Meinung nach lernen sollten?
De-Ashi-Barai, O-Goshi, Seoi-Nage... Bei den letzten beiden wäre ich noch "flexibel"... ;-)
Also hältst Du Dich nicht (streng) an die Reihenfolge der Gokyo.
Fritz hat geschrieben:Zurück zur Gokyo: Hiermit gibt man dem Übling eine "Breitseite" an Techniken mit.
Er kann dann da daraus Verknüpfungen bilden.
Siehe Jupp! Eine überaus erfolgreiche Stoffsammlung. Der Lernende kann Verknüpfungen bilden oder der Trainer gibt Verknüpfungen als Anregung vor.
Fritz hat geschrieben:Das ist natürlich eine andere Herangehensweise als das typische,
ordentliche "Eins nach dem anderen" und alles baut mit kleinen Änderungen
auf bereits Bekanntem auf, wie es Geesink befürwortet.
Oder all jene, die streng nach der Reihenfolge der Gokyo vorgehen. ;)
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
Jupp
3. Dan Träger
3. Dan Träger
Beiträge: 829
Registriert: 31.01.2007, 15:53

Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von Jupp »

Lieber Kastrow, lieber hbt, liebe Befürworter der Gokyo als methodische Vorgabe für Judounterricht in allen Altersstufen und Zielgruppen!
Endlich hat wenigstens einer von Euch - ich bitte mir die unzulässige Verallgemeinerung nachzusehen - sich inhaltlich geäußert. Das ist nach der ganzen, geheimnisvollen Fragerei ein großer Fortschritt. Mein Kommentar dazu: Man kann so unterrichten, ohne dass irgendeinem Judoschüler damit Schaden an Leib und Seele zugefügt wird - aber man muß nicht so unterrichten. Ob man immer so unterrichten soll, das war Gegenstand der Diskussionen in den 70er Jahren. Man - d.h. irgend jemand, den ich in der Kopfzeile angesprochen habe - hat gefordert, man solle die "Jüngeren" doch über den Ergebnisstand der Diskussionen hinreichend aufklären.
Ich möchte hiermit meinen Beitrag zur Aufklärung über den Diskussions- und Kenntnisstand der 70-er Jahre "Methodikdiskussion" liefern. Für mein Examen als Diplompädagoge (mit den Schwerpunkten Didaktik und Curriculumforschung) habe ich 1980 eine ca. 360 Seiten umfassende Diplomarbeit geschrieben (Bewertung 1+) mit dem Titel "Ein Beitrag zur Didaktik des Judounterrichts - vom japanischen Weg zum europäischen Sport", die man sicherlich über Fernausleihe an der Deutschen Sporthochschule Köln erhalten bzw. einsehen kann.
In den Kapiteln 3.1 Sozio-kulturelle Voraussetzungen des Judounterrichts, 4.6 Inhalte des Judounterrichts (vor allem 4.6.1.1 Bisherige Systematisierungsversuche der Wurftechniken im Judo, speziell auch Systematisierungsprinzipien) und 5. Methodik und Vermittlungsproblematik im Judounterricht habe ich versucht, die damalige Diskussion sehr umfassend aufzuarbeiten.
Leider habe ich diese Arbeit 1980 auf Schreibmaschine geschrieben und es existiert keine digitale Fassung. Man muss sich also alles selbst besorgen oder an der SPOHO Köln nachlesen. Diese Mühe kann ich leider allen, die wirklich an diesen Ergebnissen interessiert sind, nicht ersparen. Im Ergebnis steht dann vielleicht eine differenziertere Kenntnis der Auswahl von Lerninhalten und deren methodische Umsetzung in Unterricht von bestimmten Zielgruppen, die - wie Fritz weiter oben zutreffend beschreibt - auch durch die derzeitige PO nicht immer in gleichem Maße angemessen "bedient" werden. Hier beginnt dann die Aufgabe des Judolehrers, sein "Klientel" den Wünschen und Möglichkeiten entsprechend zu unterrichten. Das heiß übrigens auch, dass wenn man Judoka hat, die sich einen sehr traditionellen Background wünschen, dass man diese in der Reihenfolge der Gokyo unterrichten und informieren kann.
Alles geht! Nicht immer und nicht überall - aber warum nicht, wenn alle Beteiligten damit zufrieden sind...
Ulrich Klocke
Benutzeravatar
kastow
3. Dan Träger
3. Dan Träger
Beiträge: 1190
Registriert: 24.06.2007, 10:46

Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von kastow »

tutor!
Wichtig ist mir: aus nicht bestätigten Theorien für die es keine Quellen gibt, entwickelst Du Dein persönliches Bild. Das ist vollkommen in Ordnung, solange Du immer dazu sagst: "Ich sehe das so.....". Ich habe übrigens auch mein persönliches Bild irgendwann zusammengesetzt. Aber das kann hier erstens nicht zur Diskussion stehen und ich würde immer darauf bestehen, dass es meine persönliche Sichtweise ist.
Das ist mir bewusst und das habe ich zu Beginn meines Beitrages deutlich geschrieben. ;)
tutor!
Ganz wie ich sagte: Du nimmst Gedanken zur Anordnung der Techniken, die sich nirgendwo aus den Schriften Kanos oder Mifunes, der in der Arbeitsgruppe 1920 war, bestätigen lassen und machst Dir ein eigenes Bild, das für Dich einen logischen Aufbau hat.
Wie zuvor gesagt: da, wie du selbst auch immer wieder betonst, bisher keine Quellen zur Verfügung stehen, versuche ich, die Goyko anhand eines logisch stichhaltigen Modells zu erklären. Dieses kann in Einzelheiten unscharf sein. Dann muss es entsprechend fortgeschrieben werden. Oder es taucht ein weiteres Modell auf, dass besser die Gokyo erklärt und deshalb das bisherige Modell ersetzt. Das ist m.E. auf jeden Fall pragmatischer, als der Gokyo von vorne herein jede Struktur abzusprechen. (Was daran eine mystische Suche sein soll, versteh ich übrigens immer noch nicht.)
Um das ganze an einem Beispiel aus der Physik zu verdeutlichen: Die Relativitätstheorie erklärt wunderbar den Makrokosmos, die Quantentheorie wunderbar den Mikrokosmos. Da es bisher keine Theorie gibt, die Mikro- und Makrokosmos zugleich erklärt, werden beide Denkmodelle weiter benutzt. Obwohl jedes Modell gleichzeitig durch seine bloße Existenz die Eingeschränktheit des anderen aufzeigt.

tutor!
Für mich allerdings nicht, denn ich sehe z.B. nicht unmittelbar ein, dass ein Sasae-tsuri-komi-ashi auf einem De-ashi-barai aufbaut. Ich kenne zumindest keine Quelle, die das beschreibt, obwohl ich selbst Spekulationen anstellen und einen Zusammenhang herstellen könnte. Das würde aber wieder nur ein selbst gestrickter sein.
Gehen wir von der Rechtsauslage aus: Beide Techniken werden mit Toris linkem Bein ausgeführt. Bei Techniken greifen Ukes rechtes Bein an der Vorderseite an (im Gegensatz zu Ko-soto-gari und Ko-soto-gake, die ich deshalb nicht in dieser Reihe aufgeführt habe). Beide Techniken erfolgen aus einer rückwärtigen Bewegung.

tutor!
Außerdem vertrittst Du z.B. die Ansicht, dass ein Tai-otoshi leichter, ein Uki-otoshi jedoch schwieriger zu fallen sei als ein Kata-gruruma. Dieser Meinung kann ich mich auch nicht anschließen.
Das hast du mich falsch verstanden. Uki-otoshi ist für Tori schwieriger auszuführen als Kata-guruma. (Ich gehe natürlch davon aus, das Uki-otoshi wirklich geworfen wird, und nicht eine Tanzeinlage mit freiwilliger Ukemi Ukes vorgeführt wird.) Die Fallschule Ukes ist in meinem Modell innerhalb einer Wurfreihe das Kriterium mit der geringeren Priorität. Die möglichen ProblemeToris sind vorrangig. (Hatte ich auch in dieser Reihefolge benannt)

Ein paar systematische Fehler (Soto-maki-komi als Te-waza) sehe ich jetzt gar nicht so schlimm.
Ups, da sind die Pferde mit mir durchgegangen. Entschuldigt bitte. Mir wurde ursprünglich Soto-maki-komi als Erweiterung zu Tai-otoshi gelehrt, ähnlich Hane-goshi und Hane-maki-komi aufeinander aufbauen. Selbstverständlich ist Soto-maki-komi keine Handtechnik. Und in meinem Modell müsste Soto-maki-komi zu den breiten Eindrehtechniken gehören.
@Tutor: An dieser Stelle präzisierst deine berechtigte Kritik mein Model. Danke. ;)
Interssanterweise ändert diese Verschiebung nichts an der grundsätzlichen Anwendbarkeit des Modells.
Das ist eine andere Ebene. Wir müssen in der Diskussion strikt trennen:
Struktur und Aufbau der Gokyo: das ist Gegenstand historischer Forschung
Qualität der Beherrschung von Techniken: das ist eine Frage der Qualität der Trainer und des Trainingsfleißes
Prüfungsanforderungen und Prüfungspraxis.: das ist eine Frage des Graduierungssystems
Der dritte Punkt wäre sicherlich ein intertessanter eigener Faden.

@Jupp:
Jupp
Ich möchte hiermit meinen Beitrag zur Aufklärung über den Diskussions- und Kenntnisstand der 70-er Jahre "Methodikdiskussion" liefern. Für mein Examen als Diplompädagoge (mit den Schwerpunkten Didaktik und Curriculumforschung) habe ich 1980 eine ca. 360 Seiten umfassende Diplomarbeit geschrieben (Bewertung 1+) mit dem Titel "Ein Beitrag zur Didaktik des Judounterrichts - vom japanischen Weg zum europäischen Sport", die man sicherlich über Fernausleihe an der Deutschen Sporthochschule Köln erhalten bzw. einsehen kann.
In den Kapiteln 3.1 Sozio-kulturelle Vorqaussetzungen des Judounterrichts, 4.6 Inhalte des Judounterrichts (vor allem 4.6.1.1 Bisherige Systematisierungsversuche der Wurftechniken im Judo, speziell auch Systematisierungsprinzipien) und 5. Methodik und Vermittlungsproblematik im Judounterricht habe ich versucht, die damalige Diskussion sehr umfassend aufzuarbeiten.

:danke Werde mal schauen, ob unsere Bib mir helfen kann.
Jupp
Lieber Kastrow, lieber hbt, liebe Beführworter der Gokyo als methodische Vorgabe für Judounterricht in allen Altersstufen und Zielgruppen!
Ich hatte dich ja schon einmal per PIN darauf hingewiesen: mein Name ist kastow, ohne R. Allerdings verstehe ich nach dieser erneuten Oberflächlichkeit, warum du mir so viele Beiträge HBts zuschreibst.
Also, nur für dich noch einmal ;)
Ich möchte etwas über die innere Struktur der Gokyo erfahren. Ob und in welchem Maße sie als PO des Judosports funktionieren könnte, ist für mich an dieser Stelle irrelevant. Fragen meinerseits zur PO dienen in diesem Faden dem besseren Verständnis der Gokyo, nicht als Kritik an irgeneiner PO.
Herzliche Grüße,

kastow

Since the establishment of Kôdôkan jûdô, jûdô has become something that should be studied not only as a method of self-defence but also as a way of training the body and cultivating the mind. (Jigorô Kanô: MIND OVER MUSCLE)
Benutzeravatar
Fritz
Moderator
Moderator
Beiträge: 5176
Registriert: 14.11.2003, 11:06

Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von Fritz »

tutor! hat geschrieben:Aber was verstehst Du unter "beherrschen der Gokyo". Meinst Du, dass ich alle Techniken der Gokyo beherrsche oder dass ich sie aufsagen kann? Das ist jetzt wirklich ernst gemeint (sei aber versichert, dass ich beides kann).
Ja ich meine beides. Ich meinte auch nicht, daß Du so was nicht kannst.
Leider werden die jetzigen Anfänger beides nicht mehr können (bis auf Ausnahmen natürlich...)
Also hältst Du Dich nicht (streng) an die Reihenfolge der Gokyo.
Nö, aber "früher" war halt durch die PO "sichergestellt", daß ein Gelbgurt halt alle Würfe
der ersten Gruppe halbwegs werfen konnte usw.

Man sollte sich unbedingt vom "linearen" Denk-Ansatz lösen...
Mit freundlichem Gruß

Fritz
HBt

Parallelen und die Eigendynamik (Interessenkonflikte)

Beitrag von HBt »

Fritz hat geschrieben: Man sollte sich unbedingt vom "linearen" Denk-Ansatz lösen...
100% Übereinstimmung.
kastow hat geschrieben: Ich hatte dich ja schon einmal per PIN darauf hingewiesen: mein Name ist kastow, ohne R. Allerdings verstehe ich nach dieser erneuten Oberflächlichkeit, warum du mir so viele Beiträge HBts zuschreibst.
Also, nur für dich noch einmal
Ich möchte etwas über die innere Struktur der Gokyo erfahren. Ob und in welchem Maße sie als PO des Judosports funktionieren könnte, ist für mich an dieser Stelle irrelevant. Fragen meinerseits zur PO dienen in diesem Faden dem besseren Verständnis der Gokyo, nicht als Kritik an irgeneiner PO.
100% Übereinstimmung.

Lieber Ulrich,
gleiches gilt für mich, scheinbar hast Du uns, aufgrund identischer Intentionen und Interessenlage über einen Löffel barbiert.
Sei es drum. Der Leser ist informiert und sensibilisiert, viele Argumente sind ausgetauscht worden oder auch nicht, ein hervorragender Lösungsweg (siehe Ansatz von kastrow) ist dargestellt und erläutert worden, die Fronten sind klar umrissen:
Auf der einen Seite herrscht die Angst vor einem möglichen Eingeständnis (..) vor (anders kann ich mir die vehemente Behauptung die GoKyo enthalte keine "innere Struktur" oder mögliche methodische Reihen etc. pp. u.s.w (..) nicht erklären) oder "dem berühmten Einsturz des Kartenhauses", auf der anderen Seite Interesse, Reflektion und der Wunsch nach Aufklärung,Perfektion sowie Optimierung, wenn es sein muß mit freundlicher Provokation. Sei es drum. Meine Fragen sind beantwortet, neue Fragen tauchen auf ...

In diesem Sinne
Tschüß
Helge Bartelt



Nachtrag:
Ulrich hat geschrieben: (..) Im Ergebnis steht dann vielleicht eine differenziertere Kenntnis der Auswahl von Lerninhalten und deren methodische Umsetzung in Unterricht von bestimmten Zielgruppen, die - wie Fritz weiter oben zutreffend beschreibt - auch durch die derzeitige PO nicht immer in gleichem Maße angemessen "bedient" werden. Hier beginnt dann die Aufgabe des Judolehrers, sein "Klientel" den Wünschen und Möglichkeiten entsprechend zu unterrichten. Das heiß übrigens auch, dass wenn man Judoka hat, die sich einen sehr traditionellen Background wünschen, dass man diese in der Reihenfolge der Gokyo unterrichten und informieren kann.
Alles geht! Nicht immer und nicht überall - aber warum nicht, wenn alle Beteiligten damit zufrieden sind...
Das Eis ist gebrochen, darum geht es hier auch
(nicht um die Reihenfolge der FÜNF, d.h. 1. Technik bis 40. Technik, in Deinem Sinne - monokausal und linear ist die FÜNF ja eben nicht, wie wir schon festgestellt haben).
Zuletzt geändert von HBt am 05.09.2008, 09:36, insgesamt 1-mal geändert.
tutor!
Moderator
Moderator
Beiträge: 3884
Registriert: 08.08.2008, 10:41

Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von tutor! »

Also ich behaupte keineswegs, die Gokyo enthalte keine innere Struktur. In einem früheren Beitrag schrieb ich, dass man sich sicherlich etwas bei ihrer Formulierung gedacht hätte, sonst hätte man sie nicht verändert.

Ich schrieb ferner, dass über die Entscheidungsgründe keine Aufzeichnungen bekannt seien und dass ich mir von der deutschen Version des Daigo-Buches Aufschluss erhoffe. Desweiteren sagte ich, dass ich mehrere Theorien kennen würde, denen ich aber allesamt nicht trauen würde - was in Bezug auf die Entscheidungsgründe der damaligen Arbeitsgruppe und natürlich Kanos bezogen war, nicht aber darauf, dass sie partiell Gültigkeit haben könnten.

Ich habe auf Drängen einige Beispiele dieser Theorien benannt und Beispiele angeführt, auf die sie zutreffen. Später habe ich, nachdem es so verstanden wurde, dass ich diese Theorien bestätigte, auch Gegenbeispiele zu diesen Gedanken angeführt. Ich habe mehrfach geschrieben, dass man durch geschickte Kombination verschiedener Leitgedanken - nennen wir es einfach einmal mehrdimensionales Denken - dazu kommen kann, die Gokyo als Ganzes zu erfassen. Jedoch habe ich dabei betont, dass dies dann eine eigene gedankliche Leistung (etwas "Selbstgestricktes") ist, und dass man dadurch nicht zu einer Zusammenschau kommen kann, die den Anspruch erheben kann, die Gedanken der damaligen Arbeitsgruppe und Kanos wiederzugeben.

Selbstverständlich finden sich in der Gokyo Strukturen, die man durchaus als methodische Reihen bezeichnen kann. Man findet sogar eine ganze Menge davon. Aber bislang wurden aber keine Quellen von Kano oder anderen Beteiligten gefunden, die bestätigen, dass genau diese Reihen so beabsichtigt waren.

Aber ich stricke jetzt einfach mal:
  • de ashi barei --> okuri ashi barai --> harai tsuri komi ashi: die Steigerung der Schwierigkeit ist offensichtlich. Ich habe das Beispiel in einem früheren Beitrag angeführt.
  • Ein "Klassiker" ist uki goshi --> harai goshi wie es ja auch in der Kata ist (wurde auch schon angesprochen)
  • de ashi barai --> hiza guruma --> sasae tsuri komi ashi ist eine hervorragende Basis für das Fallen in alle Richtungen.
  • uki goshi --> o goshi --> koshi guruma --> tsuri komi goshi entsteht durch Variation der Hüftposition und Variation des Griffes
  • o-soto gari --> o uchi gari --> ko soto gari --> ko uchi gari: erst außen dann innen (einfacher--> schwieriger), viel viel Kontakt zu wenig Kontakt (einfacher --> schwieriger)
Man kann auch die traditionelle methodische Vorgehensweise der Japaner - was immer auch ihre Begründung dafür ist - einbeziehen. Ich bin mir sicher, dass - sollte es jemals zu einer aus Quellen belegbaren Aufklärung kommen - diese eine Rolle spielen wird. Der klassische methodische Aufbau ist ashi-waza--> koshi-waza--> te-waza --> sutemi waza.

Zusätzlich kann man sicherlich auch noch die Wurfprinzipien berücksichtigen. Bislang haben wir ja immer nur auf die Klassifikation geschielt.

Die Progression der "barei-" und der "gari"-Techniken habe ich ja oben schon einmal beschrieben. Kommen wir zu "guruma".

Es ergibt sich: hiza-guruma --> koshi-guruma --> (ashi guruma) --> kata guruma --> (o guruma) --> (o soto guruma) --> yoko-guruma
Scheinbar stören ashi guruma, o gurma und o soto guruma, aber eben nur scheinbar. Sie können als Fortsetzung eines Stranges uki goshi --> harai goshi --> ashi guruma --> o guruma gesehen werden, nämlich in der Weise dass Tori immer weiter neben Uke steht. Aber warum ist o-soto-guruma dann in der letzten Gruppe? Richtig, weil er erstens untergebracht werden muss und zweitens sonst keine Technik in der Stufe wäre, bei der Uke nach hinten geworfen wird. Die simple Anwendung einer weiteren Theorie, die ich in einem früheren Beitrag erwähnte. Die guruma-Techniken sind also auf zwei Sinnstränge verteilt.

Für "otoshi" ist es auch möglich, eine Linie zu begründen, genauer gesagt ebenfalls zwei Linien
tai-otoshi --> yoko otoshi --> tani otoshi sind
  • in drei aufeineanderfolgenden Stufen
  • nach dem Prinzip te-waza --> sutemi waza
  • decken das Prinzip "otoshi" in drei verschiedene Wurfrichtungen ab.
uki-otoshi --> sumi otoshi sind nach der Schwierigkeit angeordnet und jeweils deutlich schwieriger als die drei anderen. Deshalb kommen sie auch danach.

Weiter oben haben habe ich eine Reihe der ersten Hüftwürfe skizziert. Ich möchte zum Abschluss dieser Betrachtungen einen Sinnstrang der letzten Hüftwürfe erläutern.

Am Ende stehen mit ushiro goshi und utsuri goshi (rückwärts aufgezählt) Techniken, die in erster Line Kontertechniken gegen Hüftwürfe sind. Ukes Hüfte kommt also auf Toris Hüfte zu, während bei den ersten Hüftwürfen Tori mit seiner Hüfte zu Uke muss. Die beiden letzten haben einen Vorgänger: tsuri-goshi!
tsuri goshi --> utsuri goshi --> ushiro goshi finden wir auch fein säuberlich in aufeinanderfolgenden Stufen. Auf ushiro goshi folgt übrigens direkt ura-nage, der durchaus als "Sutemi-Fortsetzung" des ushiro goshi angesehen werden kann.

So langsam bin ich durch die Gokyo durch und es fehlen nur noch wenige Techniken, wie z.B.
Uki-waza --> yoko-wakare --> yoko-guruma
stehen direkt hintereinander und unterscheiden sich vor allem durch eine steigende Rotation beim Wurf.

Diese Beispiele kann man fortsetzen und die Gokyo nach weiteren Sinnsträngen durchsuchen. Viele Techniken wird man mehrfach in Sinnstränge einordnen können. Es entsteht ein "Sinn-Netz". Mit anderen Techniken wird man sich etwas schwerer tun, aber unterbringen kann man alle.

Da aber keine Aufzeichnungen über die tatsächlichen Begründungen bekannt sind, kann man auch nicht auf verlässliche Kriterien zurückgreifen. Wir müssen leider festzustellen, dass sich einfach Leute irgendwelche Kriterien ausgedacht haben - denn woher kämen denn die Theorien, die sich ganz einfach widerlegen lassen, wie die "Lieblingswurftheorie". Manche dieser Kriterien ist aber durchaus zuzutrauen, dass sie damals ein Rolle spielten, aber wie schrieb ich: "so richtig trauen tue ich keiner", weil ich nicht weiß, wer sich was ausgedacht hat und was authentisch ist.

Es schleichen sich auch ganz schnell sich widersprechende Sinnstränge ein. Zum Beispiel ist es unstrittig, dass Bewegungsverwandtschaften meistens zum leichteren Erlernen einer Technik dienlich sind, andererseits aber einer Bewegungsvielfalt im Wege stehen. Findet man also in der Gokyo Bewegungsverwandtschaften, lässt sich leicht argumenteren, dass dies wegen der Erlernbarkeit im Sinn einer "methodischen Reihe" so ist. Findet man vollkommen unterschiedliche Techniken vor, lässt sich das bequem mit einer beabsichtigten Bewegungsvielfalt begründen. Bewegungsverwandtschaft und Bewegungsvielfalt lässt sich also als antagonistisches Begründungspaar jederzeit hineininterpretieren. Eine Begründung von beiden passt (fast) immer. Mehrdimensional hört sich aber besser an als "beliebig".

Letztlich habe ich oben hauptsächlich auf verwandte Bewegungen oder verwandte Wurfprinzipien (erkennbar an den Namen der Techniken) zurückgegriffen.

Die Verteilung der aufgezeigten "methodischen Reihen" auf die einzelnen Stufen lassen sich dann nochmals mit weiteren der bisher schon Prinzipien begründen:

In die ersten beiden Stufen viel ashi- und koshi-waza und nur jeweils eine grundlegende te-waza, in der dritten Stufe beginnen wir vorsichtig mit den sutemi-waza, die in der letzten Stufe den Schwerpunkt bilden und in jeder Gruppe sollen alle Wurfrichtungen abgedeckt sein.

Drei Techniken habe ich noch nicht erwähnt: die beiden hane-maki-komi und soto-maki-komi sind die natürlichen Fortsetzungen derjenigen Hüfttechniken, bei denen sich Tori eindreht, ganz nach dem Prinzip koshi-waza --> (te-waza) --> sutemi-waza.

Und noch eine fehlt: ko soto gake. Ein Blick auf die Gokyo und wir erfahren sofort, wie er einzuordnen ist. die jeweils ersten Techniken der ersten drei Stufen sind:
de ashi barai --> ko soto gari --> ko soto gake

Das waren sie nun alle, hübsch mehrdimensional verpackt und nur die bekannten Theorien angewendet.

Bei mir bricht sicher kein Kartenhaus zusammen ob der Tatsache, dass man eine innere Struktur in der Gokyo finden kann. Ich habe nie etwas anderes behauptet - im Gegenteil sogar geschrieben, dass man es kann und ich es tat - und niemand wird hoffentlich die Schlüssigkeit auch einer einzigen Reihe oder Begründung in Anwendung der bereits beschriebenen Theorien leugnen.

Man kann nun andere Sinnstränge hinzufügen und das Netz dichter spinnen. Dadurch machen wir das Ganze "mehrdimensionaler".

Aber merkt ihr, was ich getan habe? Ich habe - in Ermangelung von Aufzeichnungen - nicht belegbare Theorien, die ich irgendwo aufgeschnappt habe (denen aber auch nirgendwo widersprochen wurde) , zusammengefügt und als Folie benutzt, um mir ein Bild von der Struktur der Gokyo zu stricken. Apropos widersprechen: solange keine Aufzeichungen über die Entscheidungsgründe vorliegen, kann man ganz wild spekulieren. Mit "Mehrdimensionalität" kommt man immer weiter.

Aber das sind nicht die Gedanken Kanos, Mifunes und den anderen, die die Gokyo so zusammengestellt haben. Es sind in der endgültigen Zusammenschau meine Gedanken, in die ich natürlich viele Ideen anderer integriert habe.

Jeder andere, der behauptet, er wisse wie die Gokyo aufgebaut sei, hat entweder dasselbe getan wie ich, plappert etwas nach, was ihm irgendwer erzählt hat (woher stammen dessen Infos?) oder verfügt über Quellen, die bislang nicht veröffentlicht sind.

Wenn jemand darüber verfügt, bin ich der erste, der daran interessiert ist. Diese Frage hat mich über Jahre interessiert. Ich stand vor dem Berg, es gab auch Bergführer (Fortgeschrittene) bis hin zu höchsten Dan-Trägern, die mir allerlei Flöhe in die Ohren gesetzt haben. Ich habe den Berg bestiegen und erforscht. Nun bin ich wieder unten und sage Euch: es ist nur ein Berg - lasst Euch nichts anderes einreden. Ihr müsst ihn selbst entdecken.
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
Benutzeravatar
kastow
3. Dan Träger
3. Dan Träger
Beiträge: 1190
Registriert: 24.06.2007, 10:46

Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von kastow »

Ich glaube, mit ganz vielen Worten sagen wir mittlerweile so ziemlich das gleiche. Ich persönlich habe in den letzten Tagen viele Infos erhalten, die ich jetzt sacken lasse und auf der Matte nachzuvollziehen suche. Damit bin ich erst mal wieder eine Weile beschäftigt. :D Danach ist mein Judo bestimmt wieder ein gutes Stück vorangekommen.

@tutor: Dein letzter Beitrag findet größtenteils meine Zustimmung. Zu einem Teil des Beitrages muss ich aber noch eine Frage stellen.
tutor!, Verfasst: 04.09.2008, 23:53
Da aber keine Aufzeichnungen über die tatsächlichen Begründungen bekannt sind, kann man auch nicht auf verlässliche Kriterien zurückgreifen. [...]. Manche dieser Kriterien ist aber durchaus zuzutrauen, dass sie damals ein Rolle spielten, aber wie schrieb ich: "so richtig trauen tue ich keiner", weil ich nicht weiß, wer sich was ausgedacht hat und was authentisch ist.
[...]
Ich habe - in Ermangelung von Aufzeichnungen - nicht belegbare Theorien, die ich irgendwo aufgeschnappt habe (denen aber auch nirgendwo widersprochen wurde) , zusammengefügt und als Folie benutzt um mir ein Bild von der Struktur der Gokyo zu stricken. Apropos widersprechen: solange keine Aufzeichungen über die Entscheidungsgründe vorliegen, kann man ganz wild spekulieren.
Lehnst du aus den selben Gründen auch die Archäologie ab, sobald sie nicht mehr über schriftliche Aufzeichnungen zu ihren Theorien verfügt? Im Vergleich dazu haben wir nicht nur materielle Funde (Gokyo), sondern sogar Aufzeichnungen zu einzelnen Scherben (z.B. das jüngst auch hierzulande veröffentlichte Buch "Kodokan Judo" von Jigoro Kano, Schriften Mifunes, usw.). Und außerdem haben wir sehr einfache Möglichkeiten, die Theorien in der Praxis (auf der Matte) zu erproben - angewandte Archäologie, wenn du so willst. ;)
So können wir doch viele wilde Spekulationen ausschließen. Und wenn eine Theorie schlüssig ist, ist es m.E. zweitrangig, ob sie wirklich von der Kodokan-Arbeitsgruppe genau so gedacht war. Denn mein Verständnis der Gokyo (Überschrift dieses Fadens) erweitert sie trotzdem.

Ich stand vor dem Berg, es gab auch Bergführer (Fortgeschrittene) bis hin zu höchsten Dan-Trägern, die mir allerlei Flöhe in die Ohren gesetzt haben. Ich habe den Berg bestiegen und erforscht. Nun bin ich wieder unten und sage Euch: es ist nur ein Berg - lasst Euch nichts anderes einreden. Ihr müsst ihn selbst entdecken.
Darum ja dieser Faden: Um den Berg selbst zu entdecken, beschreiten wir ihn hier theoretisch. Die praktische Umsetzung erfolgt dann auf der Matte (angewandte Archäologie ;) ). Aber ich lasse mir das Wandern auf diesem Weg nicht ihm Vorfeld verbieten. Vielleicht entdecke ich ja doch noch einen vergessenen Pfad oder genieße einfach die schöne Aussicht ;)
Herzliche Grüße,

kastow

Since the establishment of Kôdôkan jûdô, jûdô has become something that should be studied not only as a method of self-defence but also as a way of training the body and cultivating the mind. (Jigorô Kanô: MIND OVER MUSCLE)
Lin Chung
3. Dan Träger
3. Dan Träger
Beiträge: 2161
Registriert: 20.05.2006, 14:54
Bundesland: Nordrhein-Westfalen

Re: Nostalgie: Die Gokyo / Verständnis der Gokyo

Beitrag von Lin Chung »

Diese Beispiele kann man fortsetzen und die Gokyo nach weiteren Sinnsträngen durchsuchen. Viele Techniken wird man mehrfach in Sinnstränge einordnen können. Es entsteht ein "Sinn-Netz". Mit anderen Techniken wird man sich etwas schwerer tun, aber unterbringen kann man alle.
...genau das sehe ich auch. Alles ist miteinander verknüpft, vom Einfachen zum Schweren und zurück.
Grüße
Norbert Bosse
ボッセ・ノルベルト

Wissen stirbt, wenn es bewahrt wird, und lebt, wenn es geteilt wird.
Non scholae sed vitae discimus (Nicht für die Schule - für das Leben lernen wir)
You're only as old as you date. Keep em young boys!
Antworten