Jûdô und Waffen

Hier geht es um Techniken, deren Ausführung und Beschreibung
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tutor!
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von tutor! »

Jobi hat geschrieben: Oh Gott, was hab ich jetzt verzapft.
Einen sehr interessanten Gedanken, für den Einiges spricht, den ich aber leider nicht verifizieren kann, ohne Quellen zu kennen. Kannst du mir/uns Quellen für Deine These nennen?
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von Reaktivator »

tutor! hat geschrieben:Einen sehr interessanten Gedanken, für den Einiges spricht, den ich aber leider nicht verifizieren kann, ohne Quellen zu kennen. Kannst du mir/uns Quellen für Deine These nennen?
Zu dem Thema fand sich vor einiger Zeit schon einmal etwas in einem anderen Faden:
http://www.dasjudoforum.de/forum/viewto ... fen#p35085

[Fritz: Danke für den Hinweis, habe die Fäden vereint.]
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(Alte Internet-Weisheit, frei nach "Reaktivator")
tom herold
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von tom herold »

Hallo Jobi, du schreibst:
... weil nähmlich Kano (ab etwa um 1900) das Kodokan als übergeordnetes Haus (Schule) ansah, in der Judo nur eine(!) der dort gelehrten KK war.
Nein, das ist leider so nicht richtig, wenngleich es ein naheliegender Gedanke zu sein scheint.
Warum hätte Kano "sein Jûdô" von all den anderen Dingen trennen sollen, die im Kodôkan gelehrt wurden?
Er hat es nicht getan.
Die Erkenntnisse der Ryû, die in den Kodôkan einflossen, wurden Bestandteil des Kodôkan Jûdô - eben deshalb holte Kano ja Lehrer diverser Ryû in den Kodôkan und schickte seine besten Schüler zu anderen Lehrern.
Lies mal, was Kano über sein Jûdô und dessen oberstes Prinzip sagt - kurz gefaßt steht da Folgendes: alles, was den von Kano formulierten Prinzipien des Jûdô entspricht, war nach Kanos Auffassung automatisch Jûdô.
(Und zwar nicht nur auf der Matte!)
Natürlich gab es im Kodôkan Lehrer unterschiedlicher Ryû. Manche waren nur Gäste. Andere (ich habe etliche namentlich aufgeführt) waren aber mit ihren Schülern in den Kodôkan eingetreten und betrachteten sich von diesem Augenblick an als Jûdôka (siehe etwa Miura Ryû, Sekiguchi Ryû usw.).
Diese Lehrer wurden von Kano dazu eingeladen, an der Erstellung des Curriculum des Kodôkan Jûdô mitzuarbeiten. Cunningham und andere haben dazu sehr ausführlich und gut belegte Texte geschrieben.
Man könnte - etwas vereinfacht gesagt - den Kodôkan also als "Schmelztiegel" betrachten.

Eine "Trennung" der Lehrinhalte des Kodôkan wäre nicht sinnvoll gewesen und wurde von Kano auch nicht vorgenommen - zumindest ist mir persönlich kein diesbezüglicher Text Kanos bekannt.
Ich darf noch einmal auf Niehaus hinweisen, der einen von 1927 stammenden Text (soweit ich weiß, aus Sakko 6, Nr. 10) zitiert, in welchem Kano ausdrücklich sagt, daß der ideale Jûdô-Lehrer nicht nur Angriffs- (!!) und Abwehrverhalten beherrschen muß, sondern auch im Umgang mit Langstock und Schwert geübt sein soll.
Ich kann diese Textstelle gern noch mal raussuchen ...

Zur Begrifflichkeit: es wäre wohl falsch, zu postulieren, daß Kano ein "Kodôkan-Hanbo-Dô". ein Kodôkan-Jodo" usw. schaffen wollte. All dies nämlich war und ist Bestandteil des Jûdô. Es noch einmal extra mit speziellen Namen belegen zu wollen, zeugt nur von unserer europäischen deutschen?) Sucht, alles in übersichtliche Schubladen packen zu wollen.
Ansonsten finde ich es aber gut, daß Interesse an den Buki-Waza des Jûdô besteht.
(Auch wenn der Begriff "Buki-Waza" in den mir zugänglichen Texten Kanos nicht auftaucht, habe ich mir erlaubt, diese Bezeichnung zu verwenden, die allgemein in etlichen noch heute existierenden Ryû für die Handhabung traditioneller japanischer Waffen verwendet wird.)
tutor!
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von tutor! »

Das Thema ist ausgesprochen vielschichtig und es ist unbestreitbar und schon häufiger ausfrührlicher dargestellt, dass z.B.:
  • Kano selbst traditionelle Waffen handhaben konnte,
  • Kano immer wieder kompetente Sensei aus anderen Ryu in den Kodokan geholt hat,
  • Kano seine Schüler ermutigt/angeschoben hat, andere Disziplinen zu lernen,
  • am Kodokan regelmäßiges Training mit Waffen durchgeführt wurde.
Dennoch irritieren mich drei Punkte:

Bisher habe ich - im Gegensatz zu Atemi-waza - leider noch keine Nennung von Waffentechniken in einer Prüfungsordnung des Kodokan oder im Curriculum des Kodokan gesehen. Außerdem fällt mir auf, dass in den einschlägigen Kata (Kime-no-kata, Kime-shiki), in denen mit Waffen geübt wird, stets nur Uke die Waffen führt und Tori ohne Waffen verteidigt.

Letztlich läuft es aber auf dasselbe hinaus, ob nicht nur die Abwehr gegen traditionelle Waffen, sondern auch deren aktive Handhabung zum Kodokan-Curriculum - und damit zum Kodokan-Judo - gehört hat, oder ob es im Sinne eines "Cross-Trainings" praktiziert wurde. Für mich ist das zwar eher eine Formsache, aber wenn es klare Aussagen aus dem Judo-Curriculum des Kodokan gibt, wäre ich dankbar für die Informationen.

Eine viel interessantere Perspektive ergibt sich jedoch, wenn man diese Frage in den historischen Gesamtkontext stellt. Durch die Meji-Restauration wurde praktisch das ganze Land auf den Kopf gestellt. Kano war dabei in einer ganz besonderen Situation. Einerseits war seine eigene Erziehung und seine Ausbildung sehr stark westlich orientiert - auch unternahm er noch im 19. Jahrhundert erste Auslandsreisen - andererseits fürchtete er den Verlust japanischer Kulturgüter, zu denen auch die klassischen Kampftechniken gehörten.

Wir haben es also mit einem weltoffenen, cosmopolitischen Mann zu tun, der auch eine nationale kultur-konservative Seite hatte.

Kano sah sein Kodokan-Judo als ein reformiertes jujutsu, das einerseits "massentauglich" war und über die Ausbildung von Multiplikatoren und die Einführung in den Schulsport Teil eines nationalen Erziehungssystems wurde - das ja bekanntlich nach westlichem Vorbild aufgebaut wurde. Durch die Einführung von Judo und Kendo in den Schulunterricht hielten auch traditionelle Werte in die allgemeine Erziehung verstärkt Einzug. Die nationale Leibeserziehung hatte somit ihre Wurzeln in den Kampfformen des "alten" Japan.

Betrachtete Kano z.B. auch Kendo als Teil seines Judo? Diese Frage muss ich nach meinem Kenntnisstand verneinen. Judo und Kendo wurden meines Wissens relativ gleichzeitig als Schulsport in Japan eingeführt. Es waren zwei verschiedene Disziplinen, die auch am Butokukei (genauer Busen) und an den Universitäten als getrennte Disziplinen betrieben wurden. Natürlich ist es logisch, wenn Kano den Wunsch hatte, dass ein Judolehrer auch ein Schwert handhaben könne, was aber nicht viel anderes heißen muss, als dass er Grundkenntnisse im Kendo haben sollte - aber natürlich auch heißen kann, dass die Handhabung des Katana zur Judo-Ausbildung gehört. Aber dann müsste es eigentlich im Curriculum zu finden sein.

Wie dem auch sei - ich habe jeden "Ausflug" in andere Disziplinen stets genossen. Wenn ich etwas mehr Zeit hätte und nicht so weit fahren müsste, würde ich wieder einmal das Shinai in die Hand nehmen oder aber - was mich fast noch mehr fasziniert - mit dem traditionellen Bogen schießen (Kyudo).

Für alle, die ein klein wenig von dieser Faszination nachempfinden wollen ein paar Links:
Kendo-kata:
Kendo in super slow-motion:
Kyudo (1):
Kyudo (2):
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Jupp
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von Jupp »

Ich möchte die Gedankengänge von tutor noch aus meiner Sicht (als Buchautor) etwas ergänzen.
Wenn ich die mir zugängliche Literatur zum Judo, Jujutsu und anderen Budo-Künsten anschaue, dann entdecke ich in keinem der Judobücher, die sich mit Kodokan-Judo beschäftigen irgendeinen Hinweis darauf, dass zum Studium des Kodokan-Judo auch das Studium von Waffentechnik dazugehörte. Allerdings muss ich einschränken, dass ich japanische Quellen im original nicht lesen und damit verstehen kann.

Ein paar Beispiele aus unterschiedlichen Zeitabschnitten.
1. Sakujiro Yokoyama und Eisuke Oshima: "Judo Kyohan", original Tokyo 1915, neu aufgelegt Tokyo 2003
Sakujiro Yokoyama (1869 - 1912) war einer der ersten Schüler Jigoro Kanos und gehörte zu den "vier himmlischen Stützen" des Kodokan. Er war auch an der Ausarbeitung der Gokyo von 1895 beteiligt, wodurch seine herausgehobene Stellung im Kodokan deutlich wird.
Sein Buch, das nach seinem Tod erschien, kann sicherlich als eine authentische Quelle für die inhaltliche Ausgestaltung des Kodokan-Judo angesehen werden.
In diesem Buch sind von den Seiten 65-147 Wurftechniken beschrieben (also 82 Seiten), von Seite 149 - 172 Grifftechniken (also 23 Seiten) und von Seite 173 bis 175 werden Atemi-waza erläutert (also 3 Seiten). Waffen werden in diesem Werk - das etwa 28-30 Jahre nach Gründung des Kodokan entstanden sein dürfte - weder dargestellt, gefordert oder in ihrem Gebrauch erläutert.

2. Jigoro Kano: "Judo (Jujutsu)", Tokyo 1937, neu aufgelegt Tokyo 2001
Kurz vor seinem Tod verfasste Jigoro Kano dieses Büchlein für die japanische Touristen-Bibliothek, als Teil einer Serie über japanische Kulturpraktiken, wie z.B. die Tee-Zeremonie oder auch das Bodenschießen. Man darf also davon ausgehen, dass Jigoro Kano in dieser Broschüre sein Kodokan-Judo so dargestellt hat, wie er es von aller Welt gesehen haben wollte. Denn genau das war ja Ziel dieser Bücherreihe: japanische Kulturgüter aller Welt nahe zu bringen.
Also müssten sich hier ja ganz sicher Hinweise auf ein für das korrekte Vertändnis und Erlernen des Kodokan-Judo notwendige Waffenstudium finden lassen.
Aber auch in dieser Broschüre - nahezu identisch mit der Darstellung in Judo Kyohan - findet man so gut wie keinerlei Hinweise auf die Verwendung von Waffen innerhalb des Kodokan-Judo.
Lediglich zwei Abbildungen zeigen einmal "kirioroshi - "Striking with sword" und ebenso "Kirikomi or "striking with dagger" als Beispiele für Katatraining.
Ansonsten gilt: 48 Seiten allgemeines über Judo und nur 2 1/2 Seiten über Ate-waza. Keinerlei Hinweise auf die Nutzung von Waffen.

3. Jigoro Kano: "Kodokan-Judo" - Theorie - Technik - Kata, Bonn 2008
In dieser deutschen Übersetzung des Kodokan-Judo Klassikers, der nicht von Judo-Gründer Jigoro Kano geschrieben oder zusammengestellt wurde, sondern "unter Aufsicht des Kodokan Redaktionsausschusses herausgegeben" wurde und an dem nahezu alle zur Zeit der Erstellung lebenden 10. und 9. Dane des Kodokan als Mitarbeiter beteiligt waren.
Auch wenn dieser Ausschuss sich bemüht hat, möglichst viele von Kanos Originaltexten mit einzubinden, kann man dieses Buch sicherlich nicht mit der Broschüre von 1937 gleichsetzen obwohl auch hier sehr viele direkte Schüler Kanos mitgearbeitet haben.
Ziel dieses Werkes, das 1984 original herausgegeben wurde und die Ausgabe von 1956 weiterführte, die "von früheren Studenten und Anhängern Professor Kanos zusammengestellt und herausgegeben wurde" und aus den Lehren in Bezug auf die Theorie und Techniken des Judo" bestand. Die Frage "Was ist Judo?" sollte mit diesem Buch beantwortet werden.
Es umfasst neben einem 25-seitigen Teil über "Geschichte und Prinzipien"50 Seiten über Nage-waza, 20 Seiten über Katame-waza und 3 Seiten über Atemi-waza. Waffentechniken werden nicht gezeigt, wenn man von deren Einsatz in den verschiedenen Kata einmal absieht.

Aus den mir bekannten Quellen und auch aus der Darstellung des Kodokan-Judo in anderen Medien lässt daher nichts darauf schließen, dass der Einsatz, das Studium und die präzise Kenntnis von Waffentechnik unabdingbare Voraussetzung zum Erlernen des Kodokan-Judo ist oder jemals gewesen ist.

Damit ließe sich meiner Ansicht nach auch die Behauptung nicht länger aufrecht erhalten, dass diejenigen, die kein Waffentraining betreiben und/oder ihre Schüler darin nicht unterrichteten auch kein richtiges/authentisches Kodokan-Judo betreiben.

Sollten hier im Forum nachprüfbare und gesicherte Quellen genannt werden können, die meine hier geschilderte Auffassung als fehlerhaft oder lückenhaft kenntlich machen, wäre ich wirklich dankbar.

Bis dahin aber gilt für mich der Grundsatz: Kodokan-Judo ist das, was Jigoro Kano und seine direkten Schüler für die Nachwelt als Kodokan-Judo dargestellt haben. Also das,was ich weiter oben aufgezeigt habe.

Wer für sich in Anspruch nimmt, sich intensiver mit Waffentechnik auseinanderzusetzen, der kann das tun und erhält damit sicherlich auch ein tieferes Verständnis für bestimmte Zweikampfsituationen - aber zum Kodokan-Judo von Jigoro Kano gehört ein Waffenstudium nicht.

Jupp
st.gregor

Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von st.gregor »

Hallo Jupp,
ich möchte deinen Beitrag aus meiner Sicht (als Diplom-Finanzwirt) korrigieren:
1.) Jigoro Kano schreibt 1927 in Sakko, Heft 6 Nr.10
Der ideale Judo-Lehrer benötigt folgende Eigenschaften: er muß Angriffs- und Verteidigungstechniken mit Hingabe trainiert haben. Er muß selbstverständlich die waffenlosen Techniken beherrschen, aber auch Fertigkeiten im Umgang mit dem Langstock (Bo) und dem Schwert besitzen...
(zitiert nach Niehaus, S.222, Hervorhebungen von mir)

Wie macht nun der ideale Judo-Lehrer das, wenn er doch niemals eine Waffe anfaßt, da nicht Bestandteil des Judo...?

2.) Die Kime no kata ist doch wohl ein Teil des Kodokan Judo? Kommen darin Waffen vor? Ist es dabei bedeutsam, das nur Uke die Waffe führt? Eher nicht. Denn um eine Waffe abwehren zu können, muss ich wenigstens rudimentäre Kenntnisse über diese Waffe besitzen. Wie kann ich solche Kenntnisse erwerben? Doch wohl nur im Umgang mit besagter Waffe...
Wenn Kano uns also eine Kata mit Blankwaffentechniken hinterläßt und uns sagt: "Übt das mal, das braucht ihr", dann würde ich mir doch die Mühe machen, nachzuschauen, ob da nicht vielleicht doch mehr drin steckt als das Offensichtliche...

3.) Am Kodokan existierte ab 1928 eine Gruppe namens "Kobudo Kenkyukai", die sich mit der Erhaltung der klassischen Stile der Kampfkünste befasste. Hatte diese Gruppe keinen Einfluss auf das, was im Kodokan geschah? Warum hat Kano sie eingerichtet?

4.) Wenn - was bisher unstreitig ist - Kano seine Prinzipien für so grundlegend hielt, dass er sie auf alle Bereiche des menschlichen Lebens angewandt sehen wollte (und dies und nichts anderes ist Kodokan Judo), wieso sollte sich dies dann gerade nicht auf den Umgang mit Waffen beziehen?

5.) In den von Dir herangezogenen Büchern findet man in der Tat (außerhalb der Kata im "Kodokan Judo" Buch) keine Bezüge auf Waffentechniken. Warum? Das "Judo Kyohan" und das "Kodokan Judo" geben Grundschultechniken wieder, und (das Kodokan Judo) zusätzlich die Kata. Niemand, nicht Kano und nicht Tom Herold haben jemals Waffentechniken für Anfänger (alles bis einschließlich 1.Dan) für opportun gehalten. Weshalb bringen wir Kata wie Kime no kata oder Koshiki no kata nicht Anfängern bei? Eben, weil sie Dinge enthalten (z.B. eben den Umgang mit Waffen) die man von Anfängern nicht erwarten darf. Und die Broschüre von Kano ist ein Heftchen das Touristen mit interessanten Aspekten japanischer Kultur vertraut machen sollte, nicht mehr und nicht weniger. Das Ding ist sicherlich keine sonderlich gute Erkenntnisquelle für die Inhalte des Kodokan Judo.
Kodokan-Judo ist das, was Jigoro Kano und seine direkten Schüler für die Nachwelt als Kodokan-Judo dargestellt haben.
Eben.
Also das,was ich weiter oben aufgezeigt habe.
Eben nicht.
Kodokan Judo ist all jenes, in dem die hauptsächlichen Prinzipien des Kodokan Judo berücksichtigt werden (sagt Kano), dabei gibt es keine Beschränkung auf "lustige Dinge mit weißen Anzügen auf weichen Matten" oder so. Kodokan Judo kann man mit oder ohne Waffen, auf einem Bürostuhl, mit einem Rasenmäher oder einer Planierraupe ausüben.

Was hindert Dich eigentlich diese einfache (und selbst von Dir schon vertretene) Ansicht soweit auszudehnen, dass sie eben auch für Waffen gilt?

Fragen über Fragen


Stephan
tom herold
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von tom herold »

... ich sitze gerade hier mit St. Gregor am Computer und möchte natürlich nicht versäumen, zu Jupps Ausführungen die eine oder andere Ergänzung (aus meiner Sicht als Reha-Pädagoge) beizusteueren.

Zunächst möchte ich auf "Mind over Muscle" verweisen, in welchem Kano schreibt, daß er es befürwortet, daß auch schon Kinder im Jûdô mit "stoffüberzogenen" Shinai oder aufblasbaren Shinai umzugehen angehalten werden, "damit sie richtig zuzuschlagen lernen".
Steht das so drin oder nicht?
Wozu sollen schon Kinder lernen, "richtig zuzuschlagen", und zwar mit Waffen(attrappen), wenn es doch im Jûdô gar keine Waffen gibt ...?

Weiterhin möchte ich noch einmal auf die bis zum Überdruß belegte Tatsache hinweisen, daß Kodôkan Jûdô eine Synthese von 14 Ryû der Koryû ist.
Also noch einmal:

Erstens hatte Kano das Menkyo Kaiden im Tenshin Shinyo Ryû und im Kitô Ryû inne.

Diese “höchste Lehrerlizenz” erhielt man ausschließlich, wenn man das gesamte Kampfsystem tatsächlich gemeistert hatte - inklusive Waffen. Daß beide Ryû (wie alle Schulen der Koryû) Waffen beinhalten, wird wohl niemand ernsthaft bestreiten.
Es erhebt sich nun die (bislang unbeantwortete) Frage, aus welchem Grunde Kano bei der Etablierung seines eigenen Kampfsystems namens Kodôkan Jûdô ausgerechnet die Handhabung der Waffen ausgespart haben soll. Diese Frage wird auch künftig unbeantwortet bleiben müssen, denn sie ist unsinnig - es sei denn, man glaubt nach wie vor den durch Kanos eigene Texte längst widerlegten Unsinn, er habe mit seinem Jûdô eine “moderne Sportart“ schaffen wollen.

Zweitens verweise ich auf die Kata des Jûdô. Es ist inzwischen wohl unstrittig, daß etwa die “Schlagbewegungen” von Uke in Nage-no-Kata nichts anderes sind als Angriffe mit einer Blankwaffe. Würde es sich tatsächlich um Angriffe mit der Faust oder der Handkante handeln, dann würden diese, um effektiv sein zu können, ganz anders aussehen müssen. So, wie Uke schlägt, kann er Tori mit der bloßen Faust nicht im mindesten gefährlich werden. Ein einfacher Selbstversuch bestätigt das. Abgesehen davon: wenn diese “waffenlose” Technik in irgendeiner Weise effektiv wäre, dann würde sie in anderen Kampfsystemen ebenfalls existieren. Das tut sie aber nicht - außer im Aikidô, und dort wissen die Akteure, daß es sich um einen nachgestellten Angriff mit einer Blankwaffe handelt.
Die “waffenlose”, ineffektive Ausführung von Ukes Schlägen würde auch dem Prinzip des “Seiryoku Zen’yo” widersprechen und wäre damit keine Bewegung des Kodôkan Jûdô.

Zudem sollte man sich Kime-no-Kata ansehen, die Kano 1885 aus dem Tenshin Shinyo Ryû übernahm. Soll man wirklich glauben, daß die dort von Uke verwendeten Waffen nichts als Dekoration sind? (Zur Info: auch das Takenouchi Ryû, dessen Lehrinhalte ebenfalls in den Kodôkan einflossen, erhebt Anspruch auf diese Kata).

"Waffentechniken in den Kata des Jûdô dienen nur der Verdeutlichung der Prinzipien!"
Falls das so wäre - wozu dann überhaupt eine solche Kata im Jûdô? Welchen Sinn hätte Kime-no-Kata in einer “waffenlosen Kampfsportart”? Außerdem müßte diese Kata ja dann auch im Tenshin Shinyo Ryû (oder im Takenouchi Ryû) rein dekorative Zwecke erfüllt haben. So etwas gab es jedoch in den Schulen der Koryû nicht.

Weiterhin sehe man sich die Goshinjutsu-no-Kata an. Damit meine ich die von Kano geschaffene Form, nicht das 1954 von einer “Expertenkommission” des Kodôkan neu entwickelte “Kodôkan Goshinjutsu”.
In Kanos originaler Form (die unterteilt war in eine Form für Männer und eine für Frauen) greift Uke mit Schwert, Tanto und Bô an. Warum wohl? Glaubt jemand, daß diese Waffen wieder nur dekorativen Zwecken dienten, um die Kata “interessanter“ zu machen?
Man sehe sich das allseits bekannte Mifune-Video an. Unstrittig demonstriert er die Abwehr u.a. von Attacken mit Schwert und Langstock. Warum wohl?
Und wieso sollte er das tun, wenn es doch nicht zum Jûdô gehört?

NEBENBEI: in einem anderen Faden hat, (soweit ich mich erinnere, ging es da um Tai-Otoshi), Jupp behauptet, Mifune "entstamme einer anderen Schule des Jiu Jitsu als Kano" und wollte damit die angeblich unterschiedliche Ausführung des Tai-Otoshi begründen. Nun hat Mifune aber nachweislich nie etwas anderes trainiert als Kodôkan Jûdô. Er wurde als junger Mann dann auf Vermittlung von Sakujiro Yokoyama in den Kodôkan aufgenommen. Das sollte eigentlich bekannt sein, denke ich ...
Warum ich das aufgreife?
Ganz einfach.
Mifune zeigt die Abwehr von Schwert, Dolch, Langstock. Wozu, wenn es doch so etwas im Jûdô ncht gibt?
Und noch etwas wird gern übersehen: der Uke, der diese Waffen führt, muß damit umgehen können, um tatsächlich eine Gefahr für Tori zu sein (wer schon einmal ein Katana in der Hand hatte oder einen Langstock, der weiß, was ich meine).
Folglich übt Uke gleichzeitig mit Tori - und zwar übt Uke das korrekte Führen der besagten Waffe.

Und noch etwas wird gern übersehen: Tori entwaffnet Uke in den Kata. Um danach WAS zu tun ...? Die Waffe wegzuwerfen, den Angreifer in Kesa-gatame zu nehmen und zu warten, bis der Kampfrichter "Ippon" verkündet ...?

Drittens sei auf das aus dem Jahre 1912 stammende, allseits bekannte Foto verwiesen, welches Kano im Kreise seiner engsten Schüler zeigt. Beinahe alle der auf diesem Foto Anwesenden halten Waffen in den Händen. Man sieht Kusarigama, Jitte, Bô, Jô, Katana und sogar ein Sosetsukon-Nunchaku. Soll man nun glauben, daß auch diese Waffen nur dekorativen Zwecken dienen, um das Foto “interessanter” zu machen? Ganz links auf dem Foto ist Shimizu Takagi zu sehen, der kurz vor Aufnahme des Fotos zum “Jô-Jutsu-Instructor of Kodôkan” ernannt worden war. (vgl. dazu u.a. Cunningham 1999)
Also gab es so etwas im Jûdô eben DOCH.

Viertens sei an den im Dentô-Forum nachzulesenden Diskurs zwischen mir und Haenggi erinnert, in welchem recht genau anhand historischer Quellen nachgewiesen wird, welche Lehrer welcher Ryû dem Kodôkan beitraten. Das Miura-Ryû etwa wurde vom Kodôkan beinahe vollständig assimiliert (wie etliche andere Ryû auch ) ... und das Miura-Ryû war nachweisbar ein Kampfsystem, welches großen Wert auf die korrekte Handhabung von Schwert, Jô usw. legte.

Ich darf noch einmal daran erinnern, daß die Handhabung verschiedener Waffen bei allen Ryû des Koryû Bujutsu im Vordergrund stand und der “waffenlose” Kampf sozusagen ein “Nebenprodukt” des Waffentrainings war. Dies bestreiten zu wollen ist einfach unsachlich.

Fazit:
Die Handhabung der traditionellen Waffen gemäß dem “Bugei Jû Happan” war von Anfang an ein Bestandteil des Jûdô.
Heute ist dies durch die beklagenswerte “Versportlichung” des Jûdô nicht mehr so. Die Fixierung auf den Wettkampf hat dem Jûdô auch in dieser Hinsicht nicht gutgetan.
Aus dem heutigen, beklagenswerten Zustand allerdings zu schlußfolgern, es habe von Anfang an keine Waffen im Jûdô gegeben, ist eine durch nichts gerechtfertigte Sichtweise.
Auch die Behauptung, Waffentechniken seien erst mit der Gründung der Kobudô Kenkyûkai ins Jûdô eingeflossen, darf unter Verweis auf die vom Kodôkan assimilierten Ryû als gründlich wiederlegt gelten.

Ich bleibe dabei: wer als Jûdôka und Träger der Grade ab dem 4. Dan nicht in der Lage ist, Schwert, Bô und Jô effektiv zu führen, der muß akzeptieren, daß er ein wichtiges Lehrgebiet des authentischen Jûdô vernachlässigt.
Dabei geht es nicht darum, jene Jûdôka zu “diffamieren“, die sich bisher nicht mit den Waffentechniken des Jûdô auseinandergesetzt haben. Es geht nur um die nüchterne Feststellung von Tatsachen.
Es besteht also keinerlei Grund, sich beleidigt zu fühlen.
Es spricht allerdings sehr viel dafür, sich als Jûdôka unbedingt den aus dem Koryû Bujutsu ins Jûdô übernommenen Waffentechniken zu widmen.
Ich wiederhole es: Das Abstandsgefühl wird geschult, die (Fein-) Motorik deutlich verbessert. Die Reaktionszeit verkürzt sich meßbar, und der im Jûdô so unendlich wichtige Einsatz der Hüftbewegung wird sehr viel effektiver.
Das Verständnis für die Kata des Jûdô erhöht sich ebenfalls, und das wiederum ermöglicht es, die Kata als das zu verstehen, was sie sind: als ein Informationsrahmen, in dem die absolut wichtigsten Informationen über das Jûdô bewahrt und weitergegeben werden - jenseits der "offensichtlichen" Inhalte (auch wenn Jupp das um keinen Preis glauben möchte).

Kano Jigoro legte auf die Handhabung des Schwertes im Kodôkan sehr viel Wert (siehe Kano-Zitat von 1927, in St. Gregors Post angeführt). Der Grund dafür ist absolut einleuchtend – man benutzt im Tai-Sabaki immer die selben Bewegungen, ob der Gegner nun bewaffnet ist oder nicht. Wer aber in der Lage ist, ein Schwert zu umgehen, der muß sich vor einer bloßen Hand nicht fürchten ...
Der Unterschied zwischen der simplen Sportart Judo und der traditionellen Kampfkunst Kodôkan Jûdô ist demzufolge signifikant.

Dazu schreibt Cunningham:
„Ich fragte meinen Meister Taizo Sone, was die alten Wege so von den heutigen unterschied. Er griff sich ein Samuraischwert aus dem Schwertständer und sagte : ‚Das macht den Unterschied aus.‘ ... Im Japanischen heißt es ‚Zen, ken, ishoa.‘ Das bedeutet Geist, Schwert, Einheit.“
(Cunningham 1998)
Nota bene: Steven Cunninghams Sensei war kein Geringerer als Taizo Sone, der ein Schüler von Kano Jigoro und später der Uchideshi von Hidekazu Nagaoka, 10. Dan, war. Von daher steht die Kompetenz Steven Cunninghams völlig außer Zweifel.

Wer nun angesichts all der hier aufgeführten Tatsachen noch immer behauptet, es habe im Jûdô "nie" Waffentechniken gegeben, der muß damit eine bestimmte Absicht verfolgen, die mir alles andere als lauter erscheint.

Tom
Lin Chung
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von Lin Chung »

Danke für den Beitrag Tom. :D

Das es im Aikido tatsächlich Waffen- und Waffentechniken gibt und um Toms Ausführungen, warum man mit Waffen umgehen sollte, ein Blick auf folgende Homepage:
http://www.aikikai-aarau.ch/43.0.html

http://www.gungfu.de/aikido/bokken/
unten finden wir den Hinweis über die Quelle:
Dave Lowrys Buch "Bokken - art of the japanese sword"

Hier die Geschichte von Mifune:
http://www.bstkd.com/JudoHistory/HistoryMifune.htm
Grüße
Norbert Bosse
ボッセ・ノルベルト

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Fritz
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von Fritz »

tutor! hat geschrieben:Bisher habe ich - im Gegensatz zu Atemi-waza - leider noch keine Nennung von Waffentechniken in einer Prüfungsordnung des Kodokan oder im Curriculum des Kodokan gesehen. Außerdem fällt mir auf, dass in den einschlägigen Kata (Kime-no-kata, Kime-shiki), in denen mit Waffen geübt wird, stets nur Uke die Waffen führt und Tori ohne Waffen verteidigt.
Wir sollten die Rolle des Uke in den Kata nicht unterschätzen, meiner Meinung nach
ist sie der des Tori mindestens ebenbürtig.

Bzgl. des Zitates (zu finden im "Niehaus"), daß Kano am liebsten auch Kendo
ins Judo mit integrieren möchte (wobei es im Kendo "damals" auch noch Würfe gab, wie
mal "irgendwo" gelesen hatte ;-) ) - für mich klingt es so, daß
Kano & Kollegen gerade daran waren, diese Dingen in den Lehrstoff für die breite Masse
zu nehmen, und es schlicht und einfach nicht mehr geschafft haben, 1938 war Kano tot, Krieg
gabs dann auch bald, naja und danach, wäre es sehr unklug gewesen, "das Waffenhandwerk"
offiziell "hervorzukramen"...
Mit freundlichem Gruß

Fritz
Reaktivator
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von Reaktivator »

Jobi hat geschrieben:Kodokan und Kodokan-Judo (alles bezogen auf Kanos Lebzeiten!) sind nicht ganz das selbe, weil nämlich Kano (ab etwa um 1900) das Kodokan als übergeordnetes Haus (Schule) ansah, in der Judo nur eine(!) der dort gelehrten KK war. Eben das Judo des Kodokan.
Das könnte man in der Tat so sagen:
Kōdōkan = die Institution
Kōdōkan-Jūdō = die darin (hauptsächlich) ausgeübte Disziplin
Jobi hat geschrieben:Ebenso war es Kanos Ziel, z.B. ein Kodokan-Kendo, Kodokan-Jodo, Kodokan-Hanbo-Do(?) usw. zu entwickeln/integrieren.
Über die Intentionen Kanōs kann man in Teilen nur spekulieren, zumal sich – vor allem im Laufe der Zeit – einige widersprüchliche Aussagen von ihm finden. Ob er allerdings tatsächlich alle diese genannten Disziplinen entwickeln wollte, ist m.E. sehr fraglich – Belege oder gar schriftliche Hinweise dafür in seinen Texten sind mir jedenfalls nicht bekannt.

Interessant in dem Zusammenhang ist aber, daß der bekannte Jūdō-Historiker Sanzō Maruyama in seinem kurz nach Kanōs Tod erschienenen Werk "Dai Nihon Jūdō shi" (Jūdō-Geschichte Groß-Japans) tatsächlich den Begriff "Kōdōkan-Bōjutsu" verwendet.
(Vgl.: MARUYAMA, Sanzō: Dai Nihon Jūdō shi (Jūdō-Geschichte Groß-Japans). Tōkyō: Kōdōkan 1939. Seite 206)
Jobi hat geschrieben:Damit wären die Buwaza Inhalt des Kodokan(-Budo), aber nicht direkt, sondern nur indirekt Inhalt des Judo.
@Jobi: Mir ist nicht so ganz klar, was Du hier als "Buwaza" bezeichnest. "Bu" heißt "Krieg, kriegerisch" und ist z.B. Bestandteil der Wörter "Bugei" (= "kriegerische Kunst", "Kampfkunst") und "Budō" (= "kriegerischer Weg"). "Buwaza" wären also die "kriegerischen Techniken" – mithin eigentlich alle Techniken der einzelnen Budō-Disziplinen, also auch des Jūdō.
Jobi hat geschrieben:IMHO wollte Kano das Kodokan nach Vorbild einer klassischen Bu-Jutsu-Ryu, aber eben reformiert und massenkompitabel führen.
In der Anfangsphase hat Kanō den Kōdōkan ja auch praktisch genauso wie ein traditionelles Dōjō geführt, jedoch war dies schon bald alleine aufgrund des rasanten Anstiegs der Schülerzahlen gar nicht mehr möglich. Doch das ist eigentlich ein ganz anderes Thema.

Übrigens war das Bōjutsu-Training, das ab 1928 einige Jahre regelmäßig durchgeführt wurde, offensichtlich das einzige regelmäßig durchgeführte "Waffentraining" am Kōdōkan – und zwar sowohl zu Kanōs Lebzeiten als auch danach.
(Sieht man einmal von dem bereits mehrfach erwähnten Gebrauch von Schwert und Dolch – sowie Stock und später auch Pistole – in den bereits genannten Kōdōkan-Kata ab....)

Zu der Bōjutsu-Abteilung am Kōdōkan hatte ich schon einmal an anderer Stelle etwas geschreiben:
1) http://judoforum.com/index.php?showtopic=25327
2) http://www.dasjudoforum.de/forum/viewto ... fen#p35085 (= Nach der von "Fritz" vorgenommenen Zusammenführung der Fäden jetzt ganz am Anfang auf Seite 1 dieses Fadens.)

Falls Interesse besteht, kann ich demnächst noch einige zusätzliche Informationen dazu liefern.
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von tutor! »

Es gibt einige Dinge, die leider noch ziemlich im Dunkeln liegen. Dahinter ist die Frage, welchen Status der Umgang mit Waffen hatte, für mich eher nebensächlich.

Ursprünglich war der Butokukai Ende des 19. Jahrhunderts als nationale Spitzenorganisation zur Pflege des Budo gegründet worden. Kano spielte Anfang des 20 Jahrhunderts eine hervorgehobene Rolle dort. Mit dem Aufkeimenden Ultra-Nationalismus in den 20er und 30er Jahren gelangte der Butokukai immer mehr in die Hände der Ultras, deren politische Vorstellungen mit denen von Kano in keiner Wiese kompatibel waren.

Ich persönlich glaube, dass Kano, der ja vor allem ein geschickter Politiker war, versucht hat, am Kodokan ein Gegengewicht zum Butokukai zu schaffen. Die Einrichtung der "Kobudo Kenkyukai" passt in die Richtung. Auch passt die versuchte oder tatsächlich gelungene Einbindung möglichst vieler prominenter anderer Budo-Meister in diesen Gedanken.

Der Butokukai war unter starkem Einfluss des Heeres, der Kodokan mit Leuten von der Marine durchsetzt, die im Vergleich eher gemäßigt waren. Auch das bestärkt mich in meiner Vermutung, dass es hier auch um Politik ging. Aus welchen Gründen auch immer: die Archive des Kodokan sind immer noch nicht vollständig für die Öffentlichkeit zugänglich, genauso wie der größte Teil der Tagebücher Kanos.

Ich möchte jedenfalls gerne wissen, welche Rolle die Budoorganisationen und Ihre Führer bei der politischen Radikalisierung und bei der sie vorbereitenden Erziehung der japanischen Jugend gespielt haben. Kanos Ideale wurden auf jeden Fall mit den Füßen getreten und Judo möglicherweise politisch instrumentalisiert (so wie es zur selben Zeit auch in Deutschland mit dem Sport geschah). Was tat Kano in dieser absehbaren Situation? Wollte er die politische Kontrolle über die gesamte Budoszene wieder gewinnen?

Wenn man Kodokan-Judo betreibt und sich auf Kano beruft, sollten derartige Fragen wichtiger sein, als Status der Waffentechniken im Kodokan-Curriculum.
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von tom herold »

Reaktivator hat geschrieben:Übrigens war das Bōjutsu-Training, das ab 1928 einige Jahre regelmäßig durchgeführt wurde, offensichtlich das einzige regelmäßig durchgeführte "Waffentraining" am Kōdōkan – und zwar sowohl zu Kanōs Lebzeiten als auch danach
Beleg?

Weitere Frage: in dem allseits bekannten Mifune-Film sieht man in einer Sequenz einer Kata den Uke das Schwert sehr professionell handhaben. Wie nun dieses ...?

Das (japanische) Schwert so ziehen zu können bedarf langer, intensiver Übung.
Und wie ist das eigentlich mit dem, was Cunninghams Sensei Taizo Sone sagte ...?

Aber sehen wir uns doch einfach mal an, was Kano selbst dazu meint, ja?
"By rights, spears, naginata, and other weapons used for the purpose of defending against attack should be included in judo.
Swords and sticks, however, have the most uses as weapons, and kendo is one of the essential elements of judo, so should be included in judo in some form.
It is necessary not only in kata but also in competition."
(Kano in: Mind over Muscle, S. 96)

So, und nun hätte ich gern noch eine stichhaltige Erklärung dafür, warum Kano wieder mal etwas ganz anderes gemeint haben soll als das, was er da sagte.

"Should be included ..."
Konjunktiv, nicht wahr. Also nur geplant und nie verwirklicht? Blödsinn.
Ich wiederhole es: Konjunktiv, weil es um Anfänger ging.

Die fortgeschrittenen Jûdôka zu Kanos Lebzeiten konnten mit Waffen umgehen - und lernten dies auch im Kodôkan. Ich verweise noch einmal auf das allseits bekannte Foto von 1912, auf dem man auch Shimizu Takagi sehen kann, der - wen wundert's - einen Jô in der Hand hält und laut Bildunterschrift kurz zuvor zum "Jô-Jutsu Instructor of the Kodôkan" ernannt worden war.

Noch mal: Jûdô ist die Essenz der Koryû, eine Synthese aus 14 Ryû.
Keine dieser Ryû verzichtete auf den Gebrauch der traditionellen Waffen, im Gegenteil: die Waffen standen im Mittelpunkt der Ausbildung.
Koryû Bu Jutsu. Bu: militärisch.
Kano hatte das Menkyo Kaiden in zwei dieser Ryû inne (Tenshin Shinyo Ryû und Kitô Ryû).
Jûdô ist eine Disziplin des Gendai Budô.
Bu: militärisch.
Ohne Waffen?
Wie kann man angesichts dieser unbestreitbaren Tatsachen und vor allem angesichts des obenstehenden Zitats behaupten, es gebe im Jûdô keine Waffen?

Wie kann man behaupten, wenn es Waffen gegeben habe, dann "nur" in den Kata?
Reaktivator hat geschrieben:(Sieht man einmal von dem bereits mehrfach erwähnten Gebrauch von Schwert und Dolch – sowie Stock und später auch Pistole – in den bereits genannten Kōdōkan-Kata ab....)
Prima.
Und damit sind wir bei der Frage: wozu Kata? Weil's schön aussehen soll ...?

Einige der hier Diskutierenden scheinen (ist jedenfalls mein Eindruck) den heutigen Zustand des Jûdô als gottgegeben anzusehen.
Ich kann mich auch (ganz subjektiv) des Eindrucks nicht erwehren, daß es gar nicht so sehr darum geht, herauszufinden, wie das mit den Waffen zu Kanos Lebzeiten wirklich war.

Es scheint vielmehr darum zu gehen, was Jupp schreibt:
Damit ließe sich meiner Ansicht nach auch die Behauptung nicht länger aufrecht erhalten, dass diejenigen, die kein Waffentraining betreiben und/oder ihre Schüler darin nicht unterrichteten auch kein richtiges/authentisches Kodokan-Judo betreiben.
Doch, doch, diese Behauptung läßt sich sehr wohl aufrechterhalten.
Und sie ist leider wahr.
Und die Fakten sprechen nun einmal dafür, daß jemand, der noch nie ein Schwert geführt hat und mit dem Bô nicht umgehen kann, gemäß Kanos eigenen Worten alles andere als ein idealer Jûdô-Lehrer ist.
Und das tut natürlich denjenigen weh, die sich bisher für gute Jûdô-Lehrer hielten und nun zugeben müßten (wenn sie aufrichtig wären), daß ihnen ganz grundlegende Voraussetzungen fehlen, um wirklich Jûdô unterrichten zu können.
Das möchte keiner gern hören - und noch viel weniger zugeben.
Dabei wäre das doch kein Problem. Man kann alles lernen.

Es gibt - um das abzuschließen - keine einzige japanische Kampfkunst (vorausgesetzt, sie wurzelt wie Jûdô in den Koryû), die auf den Gebrauch des Schwerts verzichtet.
Über die Behauptung, es gebe im Jûdô keine Waffen, lachen sich etliche mir gut bekannte und sehr kompetente Vertreter diverser (noch heute existierender) Ryû der Koryû regelmäßig schlapp.

Kukishinden Ryû, Sekiguchi Ryû, Shin no Shindô Ryû, Miura Ryû ... in keiner dieser Schulen wurde auf "waffenlosen Kampf" sonderlich viel Wert gelegt. Es war ein "Nebenprodukt", und man konnte darin nur erfolgreich (Überlebender) sein, wenn man die Waffentechniken gemeistert und deren Prinzipien verstanden hatte.
Und all diese Ryû flossen in den Kodôkan ein.

Tomiki wurde von Kano zu Ueshiba geschickt und brachte seine dort erworbenen Kenntnisse in den Kodôkan ein. Hauptwaffen des Aikidô (vorher Aikibudô): Schwert, Langstock, Kurzstock.

Mochizuki wurde von Kano zu Sokaku Takeda geschickt und brachte die dort erworbenen Kenntnisse in den Kodôkan ein. Hauptwaffen des Daitô ryû: Schwert, Langstock, Dolch ...

Ich denke, ich habe klargemacht, daß die Behauptung, es gebe im Jûdô keine Waffentechniken, jeder Grundlage entbehrt.
Wer trotzdem weiterhin der Meinung ist, Jûdô und Waffen hätten nichts miteinander zu tun, darf das gern glauben.

Ich persönlich möchte die Übungen mit Katana und Bô, mit Hanbô, Jô und Tanto jedenfalls nicht missen.
Ich bleibe dabei: wer Jûdô außerhalb der Beschränkungen einer reglementierten Sportart erleben und verstehen möchte, der kommt um die Waffentechniken nicht herum.

Tom
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von tutor! »

tom herold hat geschrieben:
"By rights, spears, naginata, and other weapons used for the purpose of defending against attack should be included in judo.
Swords and sticks, however, have the most uses as weapons, and kendo is one of the essential elements of judo, so should be included in judo in some form.
It is necessary not only in kata but also in competition."
(Kano in: Mind over Muscle, S. 96)
Das "should" macht mich in der Tat etwas stutzig. Zu dem Zeitpunkt, als er es geschrieben hatte, waren die Techniken demnach noch nicht ins Judo integriert, anders würde der Text keinen Sinn machen. Gibt es eine Jahreszahl zu dem Zitat?

Vor allem "kendo is one of the essential elements of judo, so it should be included in judo in some form" ist eine merkwürdige Formulierung, denn wenn Kendo ein wichtiges Element des Judo ist, bräuchte es ja nicht mehr in das Judo integriert zu werden. Besonders der Zusatz "in some form" erscheint mir denkwürdig.

Eine wirklich seriöse Interpretation bedarf meiner Meinung nach eine Jahreszahl und - am allerliebsten - eine Übersetzung aus dem vermutlich japanischen Original.

Ansonsten sehe ich immer mehr eine Strategie Kanos, andere Budo-Künste in Judo zu integrieren und ich frage mich immer mehr: Warum? Die Antwort, Judo soll "umfassend" sein, greift mir dabei allerdings etwas zu kurz.
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Fritz
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von Fritz »

Tom Herold hat geschrieben:Aber sehen wir uns doch einfach mal an, was Kano selbst dazu meint, ja?
"By rights, spears, naginata, and other weapons used for the purpose of defending against attack should be included in judo.
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So, und nun hätte ich gern noch eine stichhaltige Erklärung dafür, warum Kano wieder mal etwas ganz anderes gemeint haben soll als das, was er da sagte.

"Should be included ..."
Konjunktiv, nicht wahr. Also nur geplant und nie verwirklicht? Blödsinn.
Ich wiederhole es: Konjunktiv, weil es um Anfänger ging.
Genau dieses Zitat meinte ich in meinem vorherigen Beitrag...
Frage an Reaktivator: Hast Du den originalen jap. Text zu o.g. Zitat und wenn ja, könntest Du
überprüfen, ob die obige englische Übersetzung korrekt ist?

Letztendlich spielt aber ja keine Rolle, ob es erst geplant war oder nur ein Hinweis an die "Anfänger" ist.
Erstens wird ja Judo "weiterentwickelt" - wird ja immer gern behauptet - warum also nicht auch mal eine Richtung
weiterentwickeln, die im Sinne Kanos ist?
Wenn es nur ein Hinweis an die "Anfänger" war, dann zeigt es aber auch nur, daß Waffentraining schon
damals bereits keine "Selbstverständlichkeit" mehr war...

[ Hinweis: tutor! hat mich "überholt" ]
tutor! hat geschrieben:Ansonsten sehe ich immer mehr eine Strategie Kanos, andere Budo-Künste in Judo zu integrieren und ich frage mich immer mehr: Warum? Die Antwort, Judo soll "umfassend" sein, greift mir dabei allerdings etwas zu kurz.
Nun ja Kano hatte etwas "entdeckt", dieses Seiryoku-Zenyo"-Prinzip und zuerst mit den
waffenlosen Techniken begonnen, sie entsprechend dieses Prinzips zu bewerten
- waffenlos zuerst von wegen der Leibesertüchtigung usw...
Irgendwie ist es dann schon folgerichtig, daß er die Anwendung seines Prinzips auch auf Waffen ausdehnt...

Außerdem klingt immer wieder der "Drang" durch, Ju-Jutsu als "historisches Erbe" bewahren zu wollen...
Mit freundlichem Gruß

Fritz
tutor!
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Post aus Japan

Beitrag von tutor! »

Ich habe einmal meine Auslandskontakte eine wenig aktiviert und nachgefragt. Die Antwort hat mich verblüfft! Ich werde sicher noch einige Nachfragen haben und mein Gesprächspartner - ein Historiker und "alter" Kodokan-sensei - hat mir auch angeboten, noch einige Quellen nachzuschauen.

Ich hatte lediglich nach dem Status des Waffentrainings am Kodokan gefragt, ohne eine Zeitperiode und ohne irgendwelche politische Rahmenbedingungen zu nennen. Zu meiner großen Verblüffung begann die antwort mit den Worten:

"For us the Japanese the period of 10 years before the WWII is the darkest part in our modern history as looked back upon today"

Weiter schreibt er, dass er sich daran erinnern kann, dass seine Eltern vor dem Krieg auf dem Schulhof der Grundschule ein tägliches vom Militär organisiertes Training durchgeführt haben. Sein Vater hätte Iaido gemacht - also mit Katana - und seine Mutter "bare-hand". (BTW: ich habe selbst solche kollektiven Trainingseinheiten in Japan mitgemacht, aber es war "nur" Gymnastik. Man traf sich dazu auf dem Dorfplatz und trainierte gemeinsam unter Leitung eines Turnlehrers.)

Der Umgang mit dem Katana war also tief in der Gesellschaft verwurzelt und so etwas wie Allgemeingut.

Weiter führt er aus, dass es ihn nicht verwundern würde, wenn unter den sozialen und politischen Umständen dieser Zeit am Kodokan ein Waffentraining stattgefunden hätte - aber seiner Einschätzung nach nicht in Verbindung mit Judo (Anmerkung: IMHO ist gemeint ein Waffentraining, das über die Abwehr bewaffneter Angriffe hinaus geht und Waffen aktiv benutzt). Als Beleg dafür führt er die zahlreichen Bemühungen Kanos an - und zählt einige bekannte Meilensteine auf - mit denen er sich um den Weltfrieden bemühte.

Das Weitere wird aber wieder sehr spannend, deshalb zietiere ich es wörtlich:

During these years, Kano looked to other martial arts such as Karate, Aikido, Bo Jutsu etc and even said Kendo could be part of Judo. (....) He set up Koryu Bujutsu Preservation Committee also. By then, he was so sure of his Judo principle "Seiryoku Zenyo" which could be a leading principle of any martial arts. He even said "Judo is not Budo; Budo is part of Judo."

Zum Abschluss - und quasi zum Beleg - führt er auch zu meiner Überraschung die verstärkte Ausrichtung des Butokukai für militärische Zwecke an, zu dem Kano mit dem Kodokan ein Gegengewicht schaffen wollte.

Es scheint also wie ich oben vermutet habe ein größeres Bild zu geben - ein Bild, das den Kampf des späten Kano zeigt, den erzieherischen Gedanken von Judo auf andere Kampfkünste auszudehnen - sie in sein Judo zu integrieren - und sie so der militärischen Inanspruchnahme zu entziehen. Den Kodokan - welch Wunder - sollte wohl das Dach bilden.

Ich werde noch die ein oder andere Rückfrage stellen und Euch auf dem Laufenden halten.
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HBt

Post aus Japan II

Beitrag von HBt »

Lieber Tutor!,
frage bitte weiter - das Thema ist unwahrscheinlich interessant ... jeder Judoka sollte die ungeschminkte Historie kennen -dürfen.
tom herold
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von tom herold »

Hallo Tutor, was du schreibst deckt sich weitgehend mit dem, was mir ein alter Jûdô-Lehrer vor einiger Zeit schrieb. (Zwei meiner Schüler waren im Rahmen ihres Japanologie-Studiums in Japan und legten auf Vermittlung dieses Lehrers ihre Prüfung zum 1. Dan im Kodôkan ab).

Sensei schreibt:
"... and also my teacher used to practice with the sword and the staff. That was part of daily training."

Sensei beschreibt die Zeit um 1930.

Abgesehen davon hat mir Frank Thiele bestätigt, daß Hirano exzellent mit dem Schwert umgehen konnte.

Zur Frage, WANN Kano den von mir zitierten Text geschrieben hat, kann ich nur sagen, daß ein Blick in das Quellenverzeichnis von "Mind over Muscle" für mich folgende Schlußfolgerung erlaubt:

Der zitierte Text entstammt dem Kapitel 3. Er findet sich unter der Überschrift "Lower Level Judo" auf Seite 96. Im Quellenverzeichnis wird zu diesem Kapitel angegeben, daß Kanos Text "Judo ni Jochuka Sandan no Betsu Aru Koto o Rozu" verwendet wurde, der in "Judo, Vol 4, Nr. 8, august 1918" erschien.
Wenn ich das also richtig verstanden haben sollte, dann hat Kano diese Worte 1918 geschrieben.

Ich finde die Idee von Fritz, daß Waffentraining zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr allgemeiner Bestandteil des Jûdô war (zumindest nicht in den allgemeinen Trainingsgruppen) durchaus einleuchtend. Leider muß das Spekulation bleiben, zumindest vorerst.

Es darf allerdings als sicher gelten, daß in der Butokukai (dem "landlichen Cousin" des Kodôkan, wie man gern scherzte) das Waffentraining nach wie vor üblich war.

Ich möchte davor warnen, das Waffentraining im Jûdô immer und ausschließlich mit dem japanischen Ultra-Nationalismus in Verbindung zu bringen und somit als suspekt zu betrachten.

Und ich möchte noch einmal daran erinnern, daß Jûdô eine Synthese der bekanntesten und effektivsten Ryû der Koryû war und ist. Ich denke, man sollte dies nicht vergessen.

Tom
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von tutor! »

tom herold hat geschrieben: Es darf allerdings als sicher gelten, daß in der Butokukai (dem "landlichen Cousin" des Kodôkan, wie man gern scherzte) das Waffentraining nach wie vor üblich war.
Es ist im Gegenteil sogar sehr wahrscheinlich, dass es zum Krieg hin immer weiter intensiviert wurde. Während der vierjährigen Ausbildung dort wurde ohnehin etwa zur Hälfte Judo und Kendo betrieben.
tom herold hat geschrieben:Ich möchte davor warnen, das Waffentraining im Jûdô immer und ausschließlich mit dem japanischen Ultra-Nationalismus in Verbindung zu bringen und somit als suspekt zu betrachten.
Genau das tue ich nicht und ich hoffe, dass durch meine Beiträge kein anderer Eindruck entstanden ist. Mir geht es um die Frage, ob Kano mit seiner verstärkten Zuwendung zu anderen Budo-Disziplinen und dem Versuch, die Prinzipien des Judo als gedanklichen Überbau zu etablieren gerade die Koryu-Stile aus dem Einfluss der "Ultras", die natürlich alles Traditionelle für sich in Anspruch nahmen, herauslösen wollte. Judo schien nach meiner Wahrnehmung für ihn inhaltlich nicht (mehr) klar abgegrenzt zu sein, sondern eher zu einem universellen Lebensprinzip und Ausruck einer (möglichen) japanischen Kultur zwischen Tradition und Moderne geworden zu sein.
Zuletzt geändert von tutor! am 18.11.2008, 12:49, insgesamt 1-mal geändert.
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tom herold
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von tom herold »

Judo schien nach meiner Wahrnehmung für ihn inhaltlich nicht (mehr) klar abgegrenzt zu sein, sondern eher zu einem universellen Lebensprinzip geworden zu sein.
... was aus seinen Texten klar hervorgeht, denke ich. Wie Kano selbst schreibt, besteht Jûdô nur zum Teil aus dem, was auf der Matte stattfindet.
Es geht hierbei um sein "Drei-Kulturen-Prinzip".

Auf der ersten Stufe (wie bekannt) muß der Jûdôka die Fähigkeiten des Kämpfens erwerben - und damit ist nun mal nicht der sportliche Wettkampf gemeint.
"In lower -level judo the purpose of training is to learn how to defend against attack."
(Kano in: Mind over Muscle, S. 96)

Ich lese dort nichts von Sport.
"As for what we can be done at the middle level, apart from physical education, opportunities for various types of training should be used and the mind should be cultivated."
(ebenda, S. 98)

Interessanterweise lesen wir genau dazu aber auch:
"Let us call training and cultivation, which are by-products of training for defense against attack, middle-level judo."
(ebenda, S.95, Hervorhebung von mir)

Und wir lesen:
"Reaching upper-level judo means making the most effective use of the mental and physical energy you acquired at the lower and middle levels and contributing to society."
(ebenda, S. 98ff.)

Und wir lesen:
"I urge all practitioners of judo to recognize that it consists of these three levels and to undergo their training without undue emphasis of one aspect over another."
(ebenda, S. 95, Hervorhebung von mir)

Damit dürfte doch wohl die Frage beantwortet sein, ob das heutige Sportjudo dem entspricht, was Kano als sein Jûdô betrachtete. Die Antwort lautet ganz klar "Nein!", denn bereits die erste Ebene ("lower-level judo") wird nicht erreicht.

Das festzustellen hat doch nichts damit zu tun, irgend jemanden ärgern zu wollen!

"Defense against attack" - und genau das wird eben nicht (mehr) gelehrt.
Ein Angriff ist eben nicht auf das zu reduzieren, was im Wettkampf auf der Matte stattfindet ...

Und da Kano schreibt, daß die drei Ebenen aufeinander aufbauen und sich auseinander ergeben ...

Gut, das führt etwas von der Frage weg, ob es im Jûdô Waffentechniken gibt oder nicht. Ich denke jedoch, daß diese Frage (auch wenn Jupp anderer Meinung ist) längst beantwortet wurde.
Ja, es gibt im Jûdô Waffentechniken.
Und ja, sie gehören zur ersten Ebene ("lower-level judo"), denn Kano erwähnt sie in genau diesem Zusammenhang.

Und nein - wer diese erste Ebene nicht gemeistert hat, kann (wenn er ehrlich ist!) nicht den Anspruch erheben, tatsächlich Jûdô zu praktizieren oder gar Jûdô zu lehren.

Ich würde da etwas mehr Aufrichtigkeit erwarten in dem Sinne, in dem Jupp sie ja hier schon so vehement gefordert hat: wer sich nie ernsthaft und ausdauernd mit anderen Aspekten des Jûdô befaßt hat als mit dem, was für das heutige Sportjudo erforderlich ist, der sollte das auch öffentlich zugeben können.
Und nicht behaupten, all das was er selbst nicht kennt (gescheige denn kann) gebe es im Jûdô nicht.

Es würde mir höchsten Respekt abnötigen, wenn bspw. Jupp einfach zugeben könnte, daß er sich bisher stets nur mit den Aspekten des Sportjudo beschäftigt hat und daß sein Blick aufs Jûdô davon bestimmt ist.

Tom
Lin Chung
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Re: Jûdô und Waffen

Beitrag von Lin Chung »

even said "Judo is not Budo; Budo is part of Judo."
...ist ein ganz interessanter Aspekt.
Grüße
Norbert Bosse
ボッセ・ノルベルト

Wissen stirbt, wenn es bewahrt wird, und lebt, wenn es geteilt wird.
Non scholae sed vitae discimus (Nicht für die Schule - für das Leben lernen wir)
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