Die "wahre" Geschichte des Judo - gibt es die irgendwo? :-)

Hier geht es um die Geschichte und um Traditionen des Judo
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Timitry
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Die "wahre" Geschichte des Judo - gibt es die irgendwo? :-)

Beitrag von Timitry »

Hallo zusammen!

Nachdem ich nun schon ein wenig in diesem Forum hier gelesen habe, werde ich immer verwirrter. Grund hierfür sind diverse Informationen, die sich widersprechen, und die oft nicht vorhandene Unterteilung in Wettkampfjudo und ursprüngliches Judo...

Aber fangen wir vorne an: Wie heutzutage sicherlich viele Menschen bin ich auf die Wikipedia gegangen und habe mir dort den Artikel zum Thema Judo durchgelesen. Dann nenne ich unter anderem das Buch "Kodokan Judo" in der aktuellen, deutschen Version mein eigen, und habe immer mal diverse Texte über das Judo im Internet gefunden. Interessant war auf jeden Fall der Text unter
http://www.judo-preetz.de/aboutInyoRyu.htm , der vermutlich von Tom Herold, der ja hier im Forum aktiv ist, geschrieben wurde.

So langsam hoffe ich, dass ich einen Überblick bekomme, ich könnte mich aber auch täuschen. Auf jeden Fall dürfte der Wikipedia-Artikel zum Teil falsch sein, dieser Abschnitt hier zum Beispiel:

"1882 gründete Jigoro Kano seine eigene Schule, den Kodokan („Ort zum Studium des Weges“) in der Nähe des Eisho-Tempels im Stadtteil Shitaya in Tokio. Er nannte seine Kunst Judo – „der sanfte Weg“. Beim Judo befreite er die alten Jiu-Jitsu-Stile von gefährlichen Elementen. Stöße, Schläge, Tritte und viele Hebeltechniken, insbesondere die Kleingelenkhebel, wurden ersatzlos gestrichen oder in die Kata integriert. Die verbleibenden Techniken ermöglichten einen sportlichen Zweikampf, ohne dass größere Verletzungen zu befürchten waren."

ist wohl ziemlicher Murks. Das wurde später irgendwo irgendwie gemacht, um Judo zu einem Wettkampfsport zu machen, Kano selber hat doch - im Prinzip - seine eigene Jujutsu-Schule gegründet, indem er Techniken aus den anderen Schulen übernahm, anpasste oder auch wegließ, und vielleicht eigene Techniken hinzunahm, die alle dem Prinzip des möglichst wirksamen Gebrauchs von geistiger und körperlicher Energie entsprachen. So steht es zumindest in "Kodokan Judo", der Text ist - anscheinend - von Kano selber, auch wenn keine Quellenangaben vorhanden sind.

Tja, und das ist nur eines von vielen Beispielen, wo sicherlich nicht nur bei mir Unklarheit herrscht. Gibt es nicht vielleicht irgendwo eine "richtige", vernünftig belegte Geschichte des Judo, die nicht nur auf Mythen und Legenden beruht, oder von Leuten geschrieben wurde, die ihre Informationen "irgendwo mal gehört" haben? Das wäre absolut fantastisch... Ich habe zum Beispiel auch gelesen, dass Tom Herold mal den Wikipedia-Artikel neugeschrieben hat, dies aber wieder gelöscht wurde. Vielleicht hat er / hast du den Text ja noch, und könntest ihn mal zur Verfügung stellen? Womit ich jetzt natürlich nicht behaupten möchte, dass dieser dann unbedingt richtig wäre, aber wenn er mit Quellenangaben belegt ist, so hätte man ja zumindest die Möglichkeit, sich selber ein Urteil zu bilden... Kennt sonst jemand eine vernünftige Quelle? Könnt ihr mir irgendwie helfen? :-)

Mich interessiert übrigens nicht nur die Geschichte des Judos bis zu seiner Gründung, sondern auch darüber hinaus - Der Wettkampf mit den anderen Schulen, wie er auf der Seite des Vereins von Judo-Preetz beschrieben ist, die weitere Entwicklung, die Abspaltung vom bzw. Entwicklung zum Wettkampfjudo usw...

Vielen Dank und liebe Grüße,
Tim
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Fritz
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Re: Die "wahre" Geschichte des Judo - gibt es die irgendwo? :-)

Beitrag von Fritz »

@Trimity: Willkommen im Klub!

Empfehlen kann ich Dir jedenfalls die Dissertation von Andreas Niehaus http://www.dasjudoforum.de/forum/viewto ... 7823#p7823 ),
"Mind over Muscle" ( http://www.dasjudoforum.de/forum/viewto ... f=1&t=3423 )
und
"Judo Memoirs of Jigoro Kano" ( http://www.dasjudoforum.de/forum/viewto ... =26&t=3765 )

Ebenfalls recht interessant fand ich
"Kempo, die Kunst des Kampfes" von Alexander Dolin, German Popow, ISBN: 978-3933366382,
Verlag: Komet (Dezember 1999) - dieses Buch enthält einen m.M. nach recht informativen
Abriß der Judogeschichte - darin sind u.a. auch die Jujutsu-Ryu, welche ins Judo mit einflossen, aufgeführt - auch die weniger geläufigen...

Die englische Seite http://judoinfo.com enthält auch viel lesenswertes.

Evt. hat DerViki noch einen Abzug des überarbeiteten und gelöschten
Kodokan-Judo-Wikipedia-Artikels,
er hatte die Sache dort maßgeblich mit vorangetrieben, bevor der Artikel dort unter fadenscheinigen
Begründungen entfernt wurde.
Mit freundlichem Gruß

Fritz
tutor!
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Re: Die "wahre" Geschichte des Judo - gibt es die irgendwo? :-)

Beitrag von tutor! »

Fritz war schneller und erspart mir das Tippen :D

Vieles ist auch deshalb schwammig, weil die Zeitfolge, in der sich alles abgespielt hat, ziemlich nachlässig beschrieben ist. So stimmt es natürlich, dass Kano - wie in "Kodokan Judo" steht, alle Techniken überarbeitet hat, so dass Sie dem Prinzip der effektivsten Nutzung der Energie entspricht, jedoch wurde z.B. der technischer Kern des Judo etwa ab Mitte der 1880er Jahre bis etwa zur Jahrtausendwende entwickelt. Das Prinzip der effektivsten Nutzung der Energie formulierte / erarbeitet er aber erst später (nach dem 1. Weltkrieg).

Eine andere Problematik ergibt sich, wenn man Judo in Beziehung zum Begriff "Sport" setzt. "Sport" hat als Terminus nach dem Krieg eine Bedeutungswandlung erfahren und wurde von einer in erster Linie auf Wettkampf und Leistungsvergleich angelegten Aktivität ("altes" Begriffsverständnis) zu einem Oberbegriff für alle Arten von Leibesübungen ("neues" Begriffsverständnis) - also von der Sparte (neben Spiel, Turnen und Gymnastik) zum Oberbegriff. Wenn wir Kanos Äußerungen zu "Judo und Sport" verstehen wollen, dürfen wir natürlich nur sein Begriffsverständnis von Sport zugrunde legen und nicht das viel weitergehende heutige.

Ein weiteres Problem ist der im englischen immer wieder zu findende Begriff "education", der sowohl als "Erziehung" als auch als "Bildung" übersetzt werden kann. Beides hat in Deutschland eine unterschiedliche Bedeutung, im Englischen jedoch nicht. Die Reihe der problematischen Begriffe ließe sich beliebig fortsetzen.

Zu den "gefährlichen Techniken"

Kano unterschied zwei große Formen des praktischen Übens: Üben von vorgegebenen Bewegungsformen (kata) und freies Üben (randori). Kano hat die "gefährlichen Techniken" nicht aus dem Judo entfernt, sondern ihre Anwendung im Randori untersagt, so dass sie nur noch Form von Kata-Training geübt wurden. Dies war aber ein kontinuierlicher Vorgang, bei dem immer dann Techniken aus dem Randori verbannt wurden, wenn ihre Anwendung zu Problemen geführt hatte. Es hat sich also nicht so zugetragen, dass Kano von heute auf morgen neue Regeln für Randori hatte.

Der Wettkampf, wie wir ihn heute kennen, wurde bereits in den 80er Jahren im Kodokan eingeführt und seitdem regelmäßig durchgeführt. Streng genommen war es eine Form von Randori - deshalb auch mit denselben Regeln in Bezug auf erlaubte und verbotene Techniken wie "normales Randori".

Kata blieb nach wie vor, wobei man sich unter Kata und Kata-Training etwas anderes vorstellen muss als heute. Die "äußere Form" - Platzaufteilung, Zeremoniell usw. war nicht oder nur sehr rudimentär festgelegt und man hat auch nicht die Kata als ganzes immer wieder durchlaufen, sondern einzelne Techniken trainiert. Kata diente als Vorgabe für das, was wir als "schulmäßige Technik" bezeichnen würden.

Wikipedia: der Artikel bedarf wirklich einer dringenden Überarbeitung!
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Fritz
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Re: Die "wahre" Geschichte des Judo - gibt es die irgendwo? :-)

Beitrag von Fritz »

Habe gerade im englischen Forum etwas interessantes gefunden:

http://judoforum.com/index.php?showtopic=36666
(die Pdf-Datei im Eingangsbeitrag)

Einige der zur Zeit hier bei uns diskutierten Themen (12.Dan?, Danprüfung u. Kampfpunkte) sind
dort mit angerissen.
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Timitry
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Re: Die "wahre" Geschichte des Judo - gibt es die irgendwo? :-)

Beitrag von Timitry »

Cool, schonmal vielen Dank für die Infos soweit!

Die Bücher von Kano werd ich mir sicherlich umgehend mal bestellen, dürfte äußerst interessant werden! Die Dissertation von Andreas Niehaus gibt es bei Amazon leider z.Z. nicht, mal schaun, ob ich die noch irgendwo auftreiben kann.

Das mit dem Wikipedia-Artikel... Ich habe mal die Diskussionsseite gelesen und dort Tom Gerhardts und DerVikis Beiträge gefunden. Dies zeigt meiner Meinung nach vor allem, dass viele Judoka (wie auch ich) stark un- bzw. falsch informiert sind. Wenn sich dann noch irgendein Idiot rumtummelt... Wobei man sich sicherlich auch verständnisvoller hätte verhalten können, aber das gehört jetzt nicht hier hin. Ich denke auf jeden Fall, dass bei der Wikipedia irgendwas getan werden muss. Auf jeden Fall sollte es eine Unterteilung in "Judo (Sportart)" und "Judo (Kampfkunst)" bzw. "Kodokan Judo" oder so ähnlich geben. Den Artikel über das Wettkampfjudo müsste man dahingehend verändern, dass man auf den Kampfkunst-Artikel verlinkt und beschreibt, dass aus der Kampfkunst ein Wettkampfsport geschaffen wurde, der den meisten einfach nur als "Judo" bekannt ist. Im Kampfkunst-Artikel kann man dann den eigentlichen Ansatz zur Genüge beschreiben.

Tom Gerhardt hat einen solchen Artikel ja anscheinend schon mal geschrieben, ich werde mal versuchen, an den Text zu gelangen, entweder von ihm selber oder von DerViki. Wenn sich ansonsten niemand freiwillig meldet, einen solchen Artikel zu schreiben, werde ich mich vielleicht nach / beim Lesen der Schriften Kanos daransetzen, und mir gleich alle Quellen schön notieren. Es gäbe allerdings sicherlich geeignetere Personen für diese Aufgabe... Was gibt es denn noch für Schriften, welche vielleicht nicht von Kano selber, aber vielleicht von seinen Schülern o.ä. geschrieben wurden?

Geil finde ich in der Wikipedia auch: "Es wird behauptet, Kano habe das Judo durchaus als ernstzunehmende Selbstverteidigungskunst inklusive Schlägen und Fußtritten konzipiert (ohne die ein Sieg über „Ryoi-Shinto Ryu“ nicht möglich gewesen wäre)." <--- Das halte ich aber für ein Gerücht ;)

Die Seiten von JudoOnline.com sind auch sehr interessant, da finden sich ja auch Originaltexte, z.B. der, der auch am Anfang des Buches "Kodokan Judo" steht. Muss mich da mal durchwurschteln :-)
Lin Chung
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Re: Die "wahre" Geschichte des Judo - gibt es die irgendwo? :-)

Beitrag von Lin Chung »

Auf dieser Seite findest du etwas von den Anfängen des Ju jutsu, den
Nahkampf-Traditionen des alten Japan

http://www.tenshukaku.de/kumi2.htm

(Ohne Gewähr)
Grüße
Norbert Bosse
ボッセ・ノルベルト

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pmhausen

Re: Die "wahre" Geschichte des Judo - gibt es die irgendwo? :-)

Beitrag von pmhausen »

Timitry hat geschrieben: Die Bücher von Kano werd ich mir sicherlich umgehend mal bestellen, dürfte äußerst interessant werden! Die Dissertation von Andreas Niehaus gibt es bei Amazon leider z.Z. nicht, mal schaun, ob ich die noch irgendwo auftreiben kann.
Ging mir genauso - man vergißt als berufstätiger und bibliophiler Mensch Jahre nach der Uni schon mal, daß es öffentliche Bibliotheken gibt ;) Man kauft sich ja schließlich alles ...

Die Stadtbücherei in unsere Kleinstadt hat mir die Dissertation innerhalb weniger Tage per Fernleihe besorgt.
Große Klasse, sowas.

Gruß,
Patrick
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Syniad
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Re: Die "wahre" Geschichte des Judo - gibt es die irgendwo? :-)

Beitrag von Syniad »

Timitry hat geschrieben: Tom Gerhardts und DerVikis Beiträge
Ähem... räusper... Tom HEROLD würde sich gegen DIE Verwechslung wahrscheinlich verwehren. ;)
Was den "Niehaus" betrifft: Ich suche solche Sachen am liebsten über den KVK (Karlsruher Virtuellen Katalog), weil der sehr übersichtlich ist. Vielleicht musst Du ja nur ins Nachbarstädtchen fahren (ansonsten: Hier kostet eine Fernleihe 1,50 €):
http://kvk.ubka.uni-karlsruhe.de/hylib- ... imeout=120
"Begriffe - Fehlschlüssel"
(E. Benyoëtz)
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Fritz
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Re: Die "wahre" Geschichte des Judo - gibt es die irgendwo? :-)

Beitrag von Fritz »

Geil finde ich in der Wikipedia auch: "Es wird behauptet, Kano habe das Judo durchaus als ernstzunehmende Selbstverteidigungskunst inklusive Schlägen und Fußtritten konzipiert (ohne die ein Sieg über „Ryoi-Shinto Ryu“ nicht möglich gewesen wäre)." <--- Das halte ich aber für ein Gerücht ;)
Atemi gehören zum Judo. Gibt hier Fäden, die das ausführlich erörtern, da sind dann
auch die Zitate angeführt, die belegen,
daß Atemi auch im Randori geübt werden müssen...
http://www.dasjudoforum.de/forum/viewto ... 76&start=0

Über die Kämpfe der Judoka gegen Vertreter der Ju-Jutsu-Schulen kann ich keine Aussage
treffen, hinsichtlich dessen, was Tatsache und Legende ist; vernünftiges Quellmaterial ist
mir bisher da noch nicht untergekommen. Unwahrscheinlich wäre es jedenfalls nicht...
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Timitry
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Re: Die "wahre" Geschichte des Judo - gibt es die irgendwo? :-)

Beitrag von Timitry »

Oh, tut mir leid mit der Verwechslung, die vielen Toms haben mich verwirrt :-)

Fritz: Schon ok, war ironisch gemeint ;)

Ich wühle mich gerade noch ein bisschen durch die Seiten durch...

Dann hab ich auch gleich nochmal ein paar Fragen - die allerdings nicht unbedingt ganz klar zu beantworten sind...

1. Die genaue Übersetzung von Judo und Jujutsu - das Ju oder Yawara ist ja bei beiden das gleiche, wie übersetzt man die beiden Begriffe genau? In "Kodokan Judo" wird Jujutsu als die "Kunst des Nachgebens" und Judo als der "Weg des Nachgebens" übersetzt - dies revidiert er aber später im Artikel, und übersetzt Judo selber dann eher als den "Weg des wirksamsten Gebrauchs der körperlichen und geistigen Kraft", bei Wikipedia (jaja, wikipedia...) als "Der sanfte Weg", was ich auch sonst schon oft gehört habe... Welche Übersetzung ist "richtig", oder gibt es wirklich mehrere Möglichkeiten, dies zu übersetzen? Ich würde mich ja an sich an Kano halten, allerdings steht das in dem Artikel auch ein wenig "schwammig"...

2. Die Prinzipien des Judo... Wieviele sind es? Zwei? Auf jeden Fall ist das eine "Möglichst wirksamer Gebrauch von geistiger und körperlicher Energie" bzw. "Maximale Kraft bei einem Minimum an Aufwand" oder einfach "Effizienz", auch hier gibt es wahrscheinlich viele verschiedene Übersetzungen, die aber letztlich das gleiche aussagen. Dann dachte ich immer, dass "Siegen durch Nachgeben" ein Prinzip wäre - Zum einem habe ich jetzt aber gelesen, dass dies nirgendswo in Schriften Kanos o.ä. belegt ist, und irgendwo ist es ja auch in der Effizienz enthalten. Außerdem gilt das ja nicht für alle Techniken beim Judo, bei einem Schlag zum Beispiel gibt man ja nicht nach. Dann kenne ich noch "gegenseitiges Wohlergehen und Nutzen"...

Eigentlich blöd, dass ich als Judoka, der immerhin schon einige Jährchen Judo macht und den 1. Kyu hat, sowas fragen muss, aber man bekommt halt viel unterschiedliches und teils falsches erzählt... Ich werde auf jeden Fall versuchen, meine Lücken aufzufüllen und dazuzulernen :) Als erstes lese ich nochmal den Eingangstext von Jigoro Kano in "Kodokan Judo" durch... (Der beginnt mit diesem Artikel hier: http://judoinfo.com/jhist5.htm , allerdings auf Deutsch übersetzt...)
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Re: Die "wahre" Geschichte des Judo - gibt es die irgendwo? :-)

Beitrag von tutor! »

Hallo Tim,

mir fallen jetzt die Augen zu und der morgige Tag ist noch nicht vorbereitet. Die Fragen, die Du stellst, sind im Prinzip genau die richtigen. Viele Übersetzungen sind - sagen wir mal - sehr frei und man kann die japanischen Begriffe nicht immer wörtlich so übersetzen, dass es schlüssig ist.

Mit "ju" ist etwa flexibel oder nachgebend manchmal auch weich gemeint. Sanft ist hingegen eine ziemlich blöde Übersetzung. Aber auch die "guten" Übersetzungen treffen es nicht immer. Beim Judo gibt man oft nach - in dem Sinn, dass man eine Bewegung oder einen Druck weiterführt, aber man setzt sich a) letzten Endes durch und b) kommt man mit Nachgeben nicht immer weiter. Wohin soll ich z.B. nachgeben, wenn mir mein Gegner den Hals zudrückt....

Jetzt schau Dir zusammengesetzte Begriffe mit "ju" an: Judo, Jujutsu, Ju-no-Kata und versuch mal mit einer einzigen Übersetzung von "ju" klar zu kommen.

Bei den "Prinzipien" wird es ganz schlimm: man kann sich z.B. heftig darüber streiten, was überhaupt ein Prinzip ist? Ist es etwas, was immer gilt oder ist es ein Grundsatz der häufig gilt (also ohne Ausnahme). Je nachdem, wie man als den Begriff Prinzip definiert, kommt man zu unterschiedlichen Ergebnissen. Man kann stundenlang Wortglauberei betreiben....

Für mich sind seiryoku-zenyo und jita-kyoei auch nicht zwei, sondern nur ein Prinzip, weil man das eine nicht ohne das andere isoliert betrachten kann. Aber diese Meinung ist nicht wirklich weit verbreitet.

Besorg Dir den Niehaus, dann wird Dir vieles klarer, auch wenn er für einen Jugendlichen eine recht schwere Kost ist. Schön, dass Du dich dafür interessierst!
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Timitry
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Re: Die "wahre" Geschichte des Judo - gibt es die irgendwo? :-)

Beitrag von Timitry »

Puh, ich sehe schon, alles nicht so leicht... Aber gerade deswegen würde ein inhaltlich richtiger und gut geschriebener Wikipedia-Artikel sicherlich helfen, nicht jeder ist bereit, endlos zu recherchieren....

Aber danke schonmal für deinen Kommentar, könntest du mir noch seiryoku-zenyo und jita-kyoei übersetzen / erklären? Und den Niehaus hätte ich mir schon bestellt, ich find ihn nur nirgendswo, ist überall vergriffen... Ah, hab doch was gefunden und schon bestellt, hoffe mal das klappt, ich lass es mir über http://buchhandel.bvdep.com/ an einen Laden in meiner Nähe liefern... Bin mal sehr gespannt!

Liebe Grüße,
Tim
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Jita-kyoei

Beitrag von Reaktivator »

Timitry hat geschrieben:könntest du mir noch (...) jita-kyoei übersetzen / erklären?
Aus Zeitgründen hier nur ein kurzer Hinweis auf die Antwort: http://www.dasjudoforum.de/forum/viewto ... 475#p38475
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Timitry
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Re: Die "wahre" Geschichte des Judo - gibt es die irgendwo? :-)

Beitrag von Timitry »

Oh, danke dafür!

Was meinst du / ihr denn, wenn hier gesagt wird: http://www.judobund.de/ausbildung/techn ... en_randori
"Ganz anders das RANDORI: War in der KATA jeder Schritt, jeder Zug, jede Bewegung vorbestimmt, >genormt< , - so ist im RANDORI >alles erlaubt< - solange man die beiden Grundprinzipien des Judo beachtet."

Wären das dann Sōjo Sōjō Jita Kyōei(相助相譲自他共栄)"Durch gegenseitige Hilfe und gegenseitige Zugeständnisse zum beiderseitigen Wohlergehen (...für sich selbst und andere)" und Seiryoku-Zenyo - Ist das das Prinzip "Möglichst wirksamer Gebrauch von geistiger und körperlicher Energie"?

So, jetzt aber mal gute Nacht, morgen 6 Stunden Judo am Stück... Wobei immer schwer zu sagen ist, was anstrengender ist, das Kindertraining oder das selber trainieren... :)

Ich hoffe, dass ich dann als 20-Jähriger Niehaus gut verdaut bekomme, aber das wird schon :)

Gute Nacht und liebe Grüße,
Tim
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Beitrag von Reaktivator »

Timitry hat geschrieben:Was meinst du / ihr denn, wenn hier gesagt wird: http://www.judobund.de/ausbildung/techn ... en_randori
"Ganz anders das RANDORI: War in der KATA jeder Schritt, jeder Zug, jede Bewegung vorbestimmt, >genormt< , - so ist im RANDORI >alles erlaubt< - solange man die beiden Grundprinzipien des Judo beachtet."
Das trifft im Prinzip den Kern der Sache - wobei man natürlich auch hier nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen darf. (Wenn man sich bemüht, richtig zu verstehen, wird man auch darüber hinwegsehen, wenn einmal ein Begriff falsch gewählt ist. Das hatten wir gerade in einem anderen Faden zum "Geist des Judo"....)
Timitry hat geschrieben:Wären das dann Sōjo Sōjō Jita Kyōei(相助相譲自他共栄)"Durch gegenseitige Hilfe und gegenseitige Zugeständnisse zum beiderseitigen Wohlergehen (...für sich selbst und andere)" und Seiryoku-Zenyo - Ist das das Prinzip "Möglichst wirksamer Gebrauch von geistiger und körperlicher Energie"?
Ja !
Timitry hat geschrieben:Ich hoffe, dass ich dann als 20-Jähriger Niehaus gut verdaut bekomme, aber das wird schon :)
Das ist die richtige Einstellung! :eusa_clap

Und weil Du so schön motiviert bist ;-) , zum Schluß auch noch eine konkrete Antwort auf Deine Eingangsfrage:
Timitry hat geschrieben:Gibt es nicht vielleicht irgendwo eine "richtige", vernünftig belegte Geschichte des Judo, die nicht nur auf Mythen und Legenden beruht, oder von Leuten geschrieben wurde, die ihre Informationen "irgendwo mal gehört" haben? Das wäre absolut fantastisch...
Das wäre in der Tat fantastisch...

...wobei man in Ermangelung einer solchen allerdings vorsichtig sein muß, daß man nicht wieder neuen Legenden aufsitzt, die beim Kampf gegen vorhandene Legenden von manchen Leuten in die Welt gesetzt werden...

Eine solche Abhandlung müßte also zwingenderweise von jemandem angefertigt werden, der über ausreichende japanische Sprachkenntnisse verfügt, um auch entsprechende Originalquellen lesen zu können.

Nachdem Professor Manzenreiter und andere das Thema "Sport" in den letzten 10-15 Jahren dankenswerterweise auch endlich in Kreisen der wissenschaftlichen Japanforschung salonfähig gemacht haben (Bestes Beispiel sind sicherlich die Dissertationen von Niehaus und Bittmann zum Judo und Karate...), gibt es mittlerweile eine ganze Reihe (zum größten Teil noch nicht publizierter) Magister- und Diplomarbeiten etc., die sich mit Aspekten der Kampfkunst-Geschichte in Japan beschäftigen.

Bis die erste dezidierte Monographie zur Geschichte des Judo erscheint, bleibt als kompakte (leider aber auch in manchen Punkten ziemlich stark verkürzte) deutschsprachige Einführung in das Thema eigentlich nur der mittlerweile auch schon rund 15 Jahre alte Beitrag des Japanologen und Sportwissenschaftlers Dr. Dr. Jörg Möller in dem von ihm herausgegebenen Sammelband zur "Geschichte der Kampfkünste":
Möller, Jörg: "Jûdô", in: ders. (Hg.), Geschichte der Kampfkünste, Lüneburg: Verlag der Universität Lüneburg 1996, S. 47-53
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Re: Die "wahre" Geschichte des Judo - gibt es die irgendwo? :-)

Beitrag von tutor! »

Timitry hat geschrieben:Ich hoffe, dass ich dann als 20-Jähriger Niehaus gut verdaut bekomme, aber das wird schon :)
Tim
Das wird es bestimmt! Zu Niehaus ist zu sagen, dass er weder Sportwissenschaftler, noch Judoka ist. Es ist zwar möglich, dass er ein wenig Judo betrieben hat - ich kenne ihn nicht persönlich - aber wenn, dann nicht wirklich intensiv.

Es ist eine Dissertation, was für jemanden, der nicht mit wissenschaftlicher Literatur umzugehen gewohnt ist, nicht so flüssig zu lesen ist, wie eine Gute-Nacht-Lektüre. Man muss ihn durcharbeiten und die Aussagen immer in Relation zu den Stellen der Arbeit sehen, in denen sie gemacht werden.

Thematisch ist es auch keine Geschichte des Judo, sondern es geht um den Beitrag J. Kanos zur Entwicklung der Leibeserziehung und des Sports in Japan. Judo ist da nur ein (zentraler) Teil des Ganzen.

Aber lies selbst: Du wirst viel Freude daran haben.
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Jobi
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Re: Die "wahre" Geschichte des Judo - gibt es die irgendwo? :-)

Beitrag von Jobi »

Timitry hat geschrieben: Wenn sich ansonsten niemand freiwillig meldet, einen solchen Artikel zu schreiben, werde ich mich vielleicht nach / beim Lesen der Schriften Kanos daransetzen, und mir gleich alle Quellen schön notieren. Es gäbe allerdings sicherlich geeignetere Personen für diese Aufgabe...

Muss mich da mal durchwurschteln :-)
Hallo Timitry, in der Tat, es gibt geeignetere Leute!
Ich kann Dich und Deine Euphorie durchaus gut verstehen, denn mir ging`s vor noch nicht all zu langer Zeit genauso wie Dir jetzt. Allerdings mußte ich in den letzten Jahren meine Meinung nun schon so oft "nachjustieren", was das Thema Judo (Sport, traditionell, Kodokan, KK usw.) betrifft, das ich Dir folgenden Rat geben kann:
Schreib einfach mal (zB. als imaginären Zeitungsartikel) auf, was Du erst über Judo zu glauben wusstest (also ungefähr das, was im Wiki steht). Dann das, was Du jetzt mit den neuen Infos hier vom Forum und von den Preetzern darüber zu wissen meinst.
Dann warte ein paar Monate und ließ Dir alles noch mal durch. Du wirst feststellen: den ersten Artikel kannst Du komplett in die Tonne treten. Aber auch den zweiten wirst Du schon mit ganz anderen Augen lesen. Vieles wird richtig sein, aber einiges wirst Du so nicht mehr stehen lassen können. Grundsätzlich liegt Tom in vielen Sachen richtig, aber Du wirst feststellen, das auch die Preetzer nur eine eigene Interpretation von dem machen, was man in Japan als authentisches Kodokan-Judo betrachtet.

Aber bleib neugierig, es lohnt auf alle Fälle, sich da reinzuknien. Habs auch getan und nicht bereut!

MfG
Jobi
Mit freundlichen Grüßen
Jobi


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Re: Die "wahre" Geschichte des Judo - gibt es die irgendwo? :-)

Beitrag von Timitry »

So, ich habe inzwischen "Mind over Muscle" und "Judo Memories of Jigoro Kano" gekauft, und "Mind over Muscle" bereits durchgelesen. Wirklich ein klasse Buch, wo schon sehr viel wichtiges und interessantes drinsteht, und man sich sicher sein kann, dass es auch richtig ist, da es ja aus erster Hand ist. Jetzt begebe ich mich mal an "Judo Memories of Jigoro Kano", und wo die Dissertation bleibt, weiß ich leider nicht...

Vorletzte Woche habe ich außerdem mal Tom Herold und seinen Jungs in Preetz bei Kiel einen Besuch abgestattet, und habe Donnerstag und Freitag mittrainiert, so gut es ging. Hierzu ein kleiner Kommentar:

Das Judo, welches sie machen, ist wirklich stark anders, als das, was ich bisher an verschiedenen Stellen gesehen und gelernt habe. Das geht schon los bei Würfen wie O-Goshi oder Uki-Goshi, bei denen sie den Ura-Eingang verwenden, der mir bis dato unbekannt war, oder beim Seoi-Nage, wo man auf dem Rücken von Tori sitzt. Diese Art zu werfen ist erstmal sehr ungewohnt und benötigt einiges an Koordination, bei der ich noch deutliche Defizite hatte. Die Würfe selber kommen dann allerdings sehr gut, man fällt unglaublich schnell und auch härter, was bei einer guten Fallschule aber kein Problem darstellt, da man auch gut fällt. Beeindruckt war ich vor allem, dass sie mich mit fast allen Würfen werfen konnte, und ich meinen Fall nicht verhindern konnte - darunter auch Würfe wie Uki-Otoshi und Tai-Otoshi (ohne Bein).
Manche Würfe machen sie dabei auch komplett anders, als ich dies gewohnt bin - z.B. den Utsuri-Goshi, bei dem sie den Partner nicht ausheben, sondern der eher eine Kombination darstellte und, soweit ich mich erinnere, eher ein Fußwurf war. Man kann sich sicherlich darüber streiten, ob die Weise, in der die "Preetzer" diese Würfe ausführen richtig ist, auf jeden Fall sind sie aber sehr schnell und effektiv, und ich war nicht allzu wild darauf, ein Randori mit den Jungs zu wagen.
Als ich die Würfe dann in meinem Judo-Verein ausprobiert habe, klappten sie natürlich wieder so gut wie gar nicht, und Uke blickte einen komisch an, was man da denn jetzt ausprobierte... Da ich aber leider nicht gerade in der Nähe von Preetz wohne, werde ich mich wohl damit begnügen müssen, zu den Tokio-Hirano-Gedächtnislehrgängen zu gehen (beim nächsten Termin kann ich natürlich schonmal nicht... :-/). Ich kann nur empfehlen, sich das Judo der Preetzer mal anzusehen, es hat mein Judo-Verständnis auf jeden Fall ziemlich auf den Kopf gestellt!
Zu den Atemi-Waza sind wir leider gar nicht mehr gekommen, ich war schon mit den Nage-Waza überfordert :-)
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