Patriotismus im Erziehungsdenken Kanos

Hier geht es um die Geschichte und um Traditionen des Judo
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Patriotismus im Erziehungsdenken Kanos

Beitrag von tutor! »

Kano war ein in westlichen (Geistes-)Wissenschaften und Sprachen gebildeter Mann, der viel westliches Know-how auch in sein Konzept des Erziehungssystems Judo übernommen hat. Er war aber auch gleichzeitig ein japanischer Patriot. Diese Seite Kanos möchte ich hier kurz vorstellen.

Man muss sich aber erst einmal die historische Ausgangssituation vorstellen. Japan hatte eine rund 250 Jahre andauernde Friedensperiode hinter sich (wohl die längste aller heute bekannten Staaten in der Geschichte!), in der sich das Land nach außen hin fast vollkommen abschottete. Diese Zeit nennt man auch die "Edo-Zeit" nach dem Namen der Hauptstadt Edo, dem heutigen Tokyo. Eine andere Bezeichnung für die Zeit ist das "Tokugawa Shogunat", weil die weltliche Macht in dieser Phase nicht vom Tenno (dem japanischen Kaiser), sondern vom Tokugawa-Clan ausgeübt wurde.

1853 kamen amerikanische Kriegsschiffe nach Japan und in der Folge wurde das Shogunat gezwungen, sich der Außenwelt zu öffnen (im Internet findet man reichlich Informationen dazu). 1868 wurde die Macht wieder an den Tenno Meji übergeben, einen Vorgang, den man heute auch die Meji-Restauration nennt.

Japan musste einsehen, dass das Land in vielen Bereichen, vor allem technisch, wirtschaftlich und militärisch, aber auch im Bildungs- und Gesundheitssystem hoffnungslos hinter dem Westen herhinkte und begann eine "Aufholjagd" sondergleichen.

Beim gierigen Import westlicher Errungenschaften (nicht wertend gemeint), verloren die eigenen Traditionen zunehmend an Bedeutung, da sie als nicht zivilisiert, sondern im Gegenteil mitunter als barbarisch betrachtet wurden. Einigen - und dazu gehörte auch Jigoro Kano - ging dieses zu weit und sie wünschten sich, dass die erhaltenswerten Traditionen erhalten blieben und weiter gepflegt würden.

Der Trend der Zeit war also das Verlangen der Japaner nach "Zivilisation", was viele mit "westlich" gleichsetzten. Letztlich ging es darum, einen gleichwertigen Platz in den Reihen der Industrieländer einzunehmen.

Für Kano war es wichtig, dass die Japaner auch auf das "Japanische" stolz seien. "Westliches Wissen und japanischer Geist" sollten die Grundlage für die Emanzipation Japans unter den Großmächten sein. Dies war wesentlicher Teil des "Zeitgeistes", dem auch Kano anhing.

Kodokan-Judo war für Kano ein ganzheitliches Erziehungssystem, dazu gehörte auch eine moralische Erziehung. In der Frühzeit hatte er sein moralischen Prinzip aber noch nicht entwickelt (erst ab Ende des 1. Weltkrieges). Moralisches Handeln bestand für Kano darin, seinen Beitrag zum Erstarken der Nation zu leisten. Judo spielte dabei eine besondere Rolle, weil es ur-japanische Wurzeln hatte: das Jujutsu! In einem Vortrag von 1889 bestritt er auch konsequent, dass Jujutsu aus China importiert worden sei - es sei allenfalls in geringem Maß beeinflusst gewesen. Judo - aus dem Jujutsu entstanden - sei also eine japanische Entwicklung und da sich im Judo der "Geist" der Vergangenheit bewahre. Er schreibt:

Wollen wir die nachfolgende Generation lehren, das japanische an Japan wertzuschätzen, und wollen wir den Patriotismus festigen, dann müssen wir irgendwie den Geist der Kampfkünste in die Köpfe der heutigen Jugend bringen. (Niehaus, S. 287)

Gedanken, die in der Meji-Zeit überzeugten.

Mit dem Erstarken Japans, begann das Land auch außenpolitisch aggressiver aufzutreten. Überfall auf die Mandschurei, russisch japanischer Krieg, Eintritt in den 1. Weltkrieg - die Nation hatte sich nicht nur im Kreise der Großmächte "emanzipiert", sondern ist ein imperialistischer Aggressor mit Vorherrschaftsanspruch im pazifischen Raum geworden.

Ab 1909 war Kano Mitglied im IOC und häufig auf Reisen nach Europa. Dabei hat er auch das vom 1. Weltkrieg gebeutelte Europa aus nächster Nähe gesehen. Unter diesem Eindruck und natürlich unter den Eindrücken seiner olympischen Aufgaben wurde Kano klar, dass es nicht um jede Nation für sich in militärischer Konkurrenz gedeihen kann, sondern dass alle Nationen friedlich koexistieren müssen. In dieser Zeit entwickelte er seine Idee, vom "effektivsten Einsatz der Energie zum wechselseitigen Gedeihen". Dieses allumspannende Prinzip sollte Gradmesser und Richtschnur im moralischen Handeln jedes Einzelnen sein.

Entwickelt hat er dieses Prinzip unmittelbar aus dem Kodokan-Judo. Schon in der Frühphase erkannte Kano die Übertragbarkeit der Lehren des Kampfes auf das gesellschaftliche Leben, aber bis etwa 1920 (als er 60 Jahre alt war) hatte er es noch nicht als oberstes Prinzip formuliert. Judo war für Kano mittlerweile zu einem metaphysischen Konzept geworden: In einer "Grundstufe" (Gedan-Judo) war es die Kampfkunst, so wie sie aus dem Jujutsu heraus entwickelt wurde, in einer "Oberstufe" (Jodan-Judo) war es losgelöst von der Kampfkunst die Anwendung des Prinzips der effektivsten Nutzung der Energie zum wechselseitigen Gedeihen auf alle Bereiche des Lebens. "Jodan-Judo" war damit als Konzept von der Kampfkunst losgelöst - das "Gedan-Judo" aber der Schlüssel dorthin.

Mit Beginn der Showa-Zeit (1928) setzte in Japan erneut ein Phase nationalistischeren Denkens ein. Patriotismus stand an oberster Stelle, aber kombiniert mit einem etwas verklärten Blick auf die Samurai-Ideale wurde auch Gehorsam und Opferbereitschaft eingefordert. Die Kampfkünste galten als ideales Erziehungsmittel dafür, da sie den Geist der Samurai vermittelten. Imperialistische Tendenzen zeigten sich darüber hinaus immer mehr.

Dies stand im Widerspruch zu Kanos Idealen - nicht zuletzt, weil er ja gesehen hat, wohin dieser Imperialismus führen kann und wird. Das Wechselseitige Gedeihen und nicht das "die Großen fressen die Kleinen" war Kanos Ideal. Damit war er in einer unkomfortablen Situation, denn gerade er hatte immer wieder darauf verwiesen, dass Judo einen Beitrag zur patriotischen Erziehung leisten konnte. Nun musste er erkennen, dass die Kampfkünste durch die Ultra-Nationalisten instrumentalisiert wurden.

Er versuchte dem entgegenzuwirken, indem er den Schulterschluss mit anderen führenden Kampfkünstlern (Funakoshi/Karate, Ueshiba/Aikido) suchte. Ziel war es offensichtlich, die anderen Kampfkünste unter das philosophische Dach des Judo zu bekommen. Dies darf nicht mit einer Assimilierung der anderen Kampfkünste in das Kodokan-Judo verwechselt werden. Das berühmte Zitat "Judo ist kein Teil von Budo, sondern Budo ist eine Anwendung des Judo" bietet leider Anlass zur Verwirrung. Da das (Jodan-)Judo die Anwendung seines obersten Prinzips auf ALLE Bereiche des Lebens forderte, sind natürlich auch alle anderen Kampfkünste mit (in die Philosophie) eingeschlossen.

Was Kano aber auch tat: er konnte nicht verhindern, dass die Kampfkünste immer mehr von den "Ultras" instrumentalisiert wurden - mit dem bekannten Ergebnis.

Der zweite Teil seiner Doppelstrategie war das verstärkte Engagement in die olympische Idee und die weitere Internationalisierung von Judo. So nutzte er seine Auslandsreisen um jeweils Werbung für Judo zu machen und die Gründung von Verbänden anzustoßen (z.B. EJU mit Alfred Rhode, Koizumi u.a.). 1940 hätten - das war der letzte große Erfolg für Kano - die olympischen Spiele in Tokyo stattfinden sollen (meines Wissens mit Judo und Kendo als Demonstrationssportarten).

Dazu kam es leider nicht mehr, weil wie viel zu oft in der Geschichte, die schmale Grenze zwischen Vaterlandsstolz/Patriotismus und einer rassistischen Ideologie von einem "Herrenvolk" übertreten worden ist.

Wer mehr darüber lesen möchte, sollte sich die Dissertation von Niehaus besorgen. Wer dazu keine Gelegenheit hat (weil derzeit vergriffen) und Rückfragen hat, kann sie gerne stellen, oder einzelne Punkte diskutieren. Ich werde versuchen, im Rahmen meiner Zeit die entsprechenden Zitate nachzureichen.
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Re: Patriotismus im Erziehungsdenken Kanos

Beitrag von Affenboy »

Dies stand im Widerspruch zu Kanos Idealen - nicht zuletzt, weil er ja gesehen hat, wohin dieser Imperialismus führen kann und wird. Das Wechselseitige Gedeihen und nicht das "die Großen fressen die Kleinen" war Kanos Ideal. Damit war er in einer unkomfortablen Situation, denn gerade er hatte immer wieder darauf verwiesen, dass Judo einen Beitrag zur patriotischen Erziehung leisten konnte. Nun musste er erkennen, dass die Kampfkünste durch die Ultra-Nationalisten instrumentalisiert wurden.
Großartig! Diesen Mut muss man sich einmal vorstellen!!! In einer Zeit in der mit Andersdenkenden "nicht gerade freundlich" umgegangen wurde, in Japan wie in Spanien, dem 3. Reich und Italien gleichermaßen, sich gegen die allgemeine Denklinie zu stellen und das als Person in der Öffentlichkeit. In Deutschland sind viele daran gescheitert und ums Leben gekommen. Meinen allerhöchsten Respekt!
Wollen wir die nachfolgende Generation lehren, das japanische an Japan wertzuschätzen, und wollen wir den Patriotismus festigen, dann müssen wir irgendwie den Geist der Kampfkünste in die Köpfe der heutigen Jugend bringen. (Niehaus, S. 287)
Interessant, dass häufig Kampfsportarten als Möglichkeit des Erhalts einer Kultur genutzt werden. So etwa in Thailand (Muay Thai), oder die Khmer in Kambodia mit Pradal Serey, außerdem die Maori-Kultur mit ihren "Haka"-Tänzen und Stockkampfkunst, die als identitätsstiftende Mittel zum Erhalt ihrer Kultur beitragen. Und nicht zu vergessen die traditionellen Kung-Fu Schulen in China, die eine der wenigen sozialen Einrichtungen aus dem Kaiserlichen China sind, welche es über die Revolution hinaus geschafft haben.

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Re: Patriotismus im Erziehungsdenken Kanos

Beitrag von Mitesco »

Gute Beiträge Tutor!

Ich frage mich manchmal was passiert wäre, wenn Kano wirklich gesagt hätte, was er meinte... im Japan von damals? Hätten wir heute miteinander geredet über Judo? Hätte 'sein' Judo überlebt? Kano war vernünftig. Er schwieg wenn nötig. Nicht feige, aber nur weil es nun einmal so war. Wir verstehen nicht wirklich, wie es war, nicht völlig frei zu sein und frei reden zu können. Er versuchte mit Judo das Beste zu machen für die Welt, und wie es auch sein sollte: für Japan. Ideale und Erziehung mischen mit Traditionen und alles so, daß seine Vorgesetzten keine Probleme damit hatten. Ein bisschen Opportunismus vielleicht.

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"Man kann man sagen, dass die Lehre von Judo einen aus der Tiefe der Verstimmung in ein Stadium energischer Tätigkeit mit einer frohen Hoffnung in die Zukunft führen kann." Jigoro Kano
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Re: Patriotismus im Erziehungsdenken Kanos

Beitrag von Hofi »

Mitesco hat geschrieben:Ein bisschen Opportunismus vielleicht.
Ist es Opportunismus, wenn man seine richtigen Ideen, zwar klar vertritt (und ich denke für jeden der es lesen will, sind seine Ideen sehr klar), dabei aber um ihrer Durchsetzung Willen die offene Konfrontation, die möglicherweise zur Vernichtung der Idee führen könnte, vermeidet. Eine alte Weisheit lautet: Wenn Du nicht gewinnen kannst, greif nicht an. Eine offene Konfrontation hätte Kano nicht weitergebracht.
Bis dann
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Re: Patriotismus im Erziehungsdenken Kanos

Beitrag von Affenboy »

Hofi hat geschrieben:Eine offene Konfrontation hätte Kano nicht weitergebracht.
sondern sehr wahrscheinlich umgebracht...

Mir reicht es schon, dass er nicht einfach das Fähnchen der Ultra-Nationalisten hochgehalten hat, wenn es ums nackte Überleben geht, allein weil man das Falsche sagt.
Siehe das Schicksal von Sambo Gründer Vasili Oshchepkov, der den Preis für sein Festhalten an Kanos Ideologie zahlen musste (in der Sowjetunion).
Gruß vom Aff
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Re: Patriotismus im Erziehungsdenken Kanos

Beitrag von tutor! »

Vermutlich wären die Konsequenzen zu diesem Zeitpunkt noch nicht so gravierend, jedoch schon erheblich gewesen: Lesen wir bei J. Svinth, einem der renommiertesten Autoren über Kampfkünste und deren Geschichte weltweit:

"During September 1933, Kano learned that the police had again arrested his 21-year old son Riho for "allegedly trying to make connections with other members of the red brotherhood." [EN16] There were two strata of Communist sympathizers in Japan, the intellectuals and the working classes, and the Thought Section of the Tokyo Metropolitan Police and the Kempeitai (literally Military Police, but Secret Police would be a better contextual translation) were working hard to make sure that they did not unite. The charges were probably violations of the Peace Preservation Laws of May 1925 and December 1931, which were designed to support industrialists by limiting the rights of workers and women to organize and protest.

At the time, the Japanese government was routinely sentencing political activists ("Communists") to three years in prison. Moreover, the careers of several distinguished men had been ruined by similar activities by their sons. Therefore, his son's arrest was no trivial matter. Consequently, Kano quickly returned to Japan, and by mid-December 1933, he had done whatever it took to arrange his son's release. However, to avoid future problems, Riho was sent abroad to continue his studies."
(http://ejmas.com/jcs/2004jcs/jcsart_svinth_0504.htm)

Der gesamte Artikel ist übrigens ausgesprochen lesenswert, denn er zeigt eindrucksvoll, womit Kano in seinen letzten Lebensjahren beschäftigt war. Ein Kano-Zitat von 1936 über die Bedeutung der olympischen Spiele soll dies noch verdeutlichen (aus dem Text von J. Svinth):

People are prone to think what they are accustomed to do is good and right, and whatever is foreign to them is mistaken or harmful. Therefore, a gathering of people for a common cause, which all of them participate in with interest, is likely to see the difference in other people with friendly feeling. It is always from noticing the difference in other people that we come to get hints for progress.

Kano vermied es, offen gegen die Kokutai-Ideologie (http://www.law.keio.ac.jp/~hagiwara/kokutai.html) Position zu beziehen - wie auch? Der Aufsatz auf der Homepage der Keio-Universität beschreibt einleuchtend, warum das so schwierig war. Einen ersten Warnschuss hatte er ja schon in Gestalt der Verhaftung seines Sohnes erhalten.

Die Übernahme von verschiedenen Ämtern aber auch der konsequente Rücktritt bei substantiellen Meinungsverschiedenheiten zeigen, dass Kano zwar Kompromisse machte, sich jedoch nicht hat korrumpieren lassen. Dies hat er bis zu seinem Lebensende beibehalten. Wenn es ihm vorteilhaft erschien, hat er in seinen Schriften aber auch Positionen bezogen, die die "andere Seite" gerne gehört/gelesen hat, wenn er deren Unterstützung brauchte. Dies würde ich als opportun bezeichnen, aber nicht als opportunistisch.
Affenboy hat geschrieben: Interessant, dass häufig Kampfsportarten als Möglichkeit des Erhalts einer Kultur genutzt werden. So etwa in Thailand (Muay Thai), oder die Khmer in Kambodia mit Pradal Serey, außerdem die Maori-Kultur mit ihren "Haka"-Tänzen und Stockkampfkunst, die als identitätsstiftende Mittel zum Erhalt ihrer Kultur beitragen. Und nicht zu vergessen die traditionellen Kung-Fu Schulen in China, die eine der wenigen sozialen Einrichtungen aus dem Kaiserlichen China sind, welche es über die Revolution hinaus geschafft haben.
Mir fallen dazu auch noch die mongolischen Reiter-Wettkämpfe ein...

Eine starke Tradition des Kämpfens vermittelt einem Volk das Gefühl von Vitalität und Stärke, denn die Fähigkeit zu kämpfen sichert(e) den Bestand und die Entwicklung der Kultur. Aus diesem Grund entwickelten sich überall auf der Welt aus den gebräuchlichsten Kampfformen Wettkampfformen (durchaus als "sportlich" zu bezeichnen), die in friedlichen Zeiten symbolhaften Charakter für die Tradition und die Vitalität des Volkes haben. Kulturanthropologisch also kein Wunder....
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Re: Patriotismus im Erziehungsdenken Kanos

Beitrag von Affenboy »

Danke Tutor für deine gut recherchierten Beiträge! (Ist nicht überall in Foren so...)
tutor! hat geschrieben:Eine starke Tradition des Kämpfens vermittelt einem Volk das Gefühl von Vitalität und Stärke, denn die Fähigkeit zu kämpfen sichert(e) den Bestand und die Entwicklung der Kultur. Aus diesem Grund entwickelten sich überall auf der Welt aus den gebräuchlichsten Kampfformen Wettkampfformen (durchaus als "sportlich" zu bezeichnen), die in friedlichen Zeiten symbolhaften Charakter für die Tradition und die Vitalität des Volkes haben. Kulturanthropologisch also kein Wunder....
Stimmt. Ich bin leider kein Sport- sondern Geisteswissenschaftler, aber mir fällt gerade ein, dass "Kampf"-Sport ja auch wirklich das allen Sportarten zu Grunde liegende Prinzip ist. Der "Ursport" sozusagen.
Vielleicht sind Völker gerade deshalb so stolz auf ihre jeweilige Form des Kampfes (oder ritualisierten Kampfes). Auch das Schwingen in der Schweiz und das Glima in Island zählen zu dieser Gruppe. (=> Patriotismus und "Volks"-Identifikation gehört bei allen bisher aufgezählten Sportarten tatsächlich zum Programm)

Wäre mal eine interessante Diplom/Magister/Doktor-Arbeit (gibt es aber mit Sicherheit schon für Teilbereiche).

affige Grüße
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Re: Patriotismus im Erziehungsdenken Kanos

Beitrag von tutor! »

Affenboy hat geschrieben: Wäre mal eine interessante Diplom/Magister/Doktor-Arbeit (gibt es aber mit Sicherheit schon für Teilbereiche).
Als Anregung: http://www.philosophia-online.de/mafo/h ... mpfes1.htm
(PDF-Download-Link ganz unten)
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Re: Patriotismus im Erziehungsdenken Kanos

Beitrag von Affenboy »

Danke!
Bin schon am lesen, obwohl ich eigentlich noch eine Vorlesung vorbereiten sollte ;)
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Syniad
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Re: Patriotismus im Erziehungsdenken Kanos

Beitrag von Syniad »

@ Tutor: Pssst... nicht nur die mongolischen ;) :
http://www.berber.de/fantasiadetail.htm
Affenboy hat geschrieben: Stimmt. Ich bin leider kein Sport- sondern Geisteswissenschaftler, aber mir fällt gerade ein, dass "Kampf"-Sport ja auch wirklich das allen Sportarten zu Grunde liegende Prinzip ist. Der "Ursport" sozusagen.
Hm. Wie kommst Du zu dieser Theorie? Ich denke, das Prinzip der Jagd findet sich auch bei vielen (nein, der "Kampf" gegen das Tier ist für mich kein Kampf im Sinne des Kampfsports), und beim Ballett, Voltigieren oder Eiskunstlaufen sehe ich eigentlich gar kein Kampfelement.
Meinst Du einfach, dass sich Leute irgendwie messen (und das -nach Elias- immer zahmer tun)?
"Begriffe - Fehlschlüssel"
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Re: Patriotismus im Erziehungsdenken Kanos

Beitrag von Affenboy »

Syniad hat geschrieben: Meinst Du einfach, dass sich Leute irgendwie messen (und das -nach Elias- immer zahmer tun)?
Hi Syniad,
ich meinte tatsächlich das sich an einem "Anderen" messen. Das "Andere" kann alles mögliche sein, vom Gegenüber bis zum schnellen Hirsch. Ich habe an "Kampf"-Sport im aller grundlegendsten Sinn gedacht, also einfach nur die mehr oder weniger spielerische Vorbereitung auf einen Kampf (in jedem Sinne).
Wenn man sich anschaut, dass der Ball-Weitwurf (der ja rein von der Handlung überhaupt nichts mit dem Kämpfen zu tun hat) mit Granatenattrappen geübt wurde und vom Speer- oder andere Wurfwaffen-Werfen abstammt, steckt auch hier der Kampf dahinter.

Ich denke auch, dass viele Sportarten aus ganz anderen Bereichen kommen (gerade der Tanz, der auch eine Ur-Beschäftigung der Menschen ist). Aber das doch bei unseren modernen, stark ritualisierten Sportarten sehr häufig der Kampf, oder spezieller auch der Zweikampf, irgendwo hervorspitzelt.

etwa so:
Ein Ringkampf ist eine Auseinandersetzung ohne Schläge und Tritte, außerdem darf niemand wegrennen. (geringe Abstraktion)
Ein Wettrennen ist eine Auseinandersetzung ohne Schläge und Tritte oder sonstige Berührung, aber man darf schneller rennen (reiten, eislaufen...) als der andere. (starke Abstraktion)

Oh je, das war jetzt viel. Wie du siehst, spekuliere ich ja nur so aus Spaß :) ist halt ein lustiges Thema.

Gruß
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Re: Patriotismus im Erziehungsdenken Kanos

Beitrag von Mitesco »

Hi Affenboy,

Vielleicht auch mal C.G.Jung lesen? Das ganze Leben verstehen mit Urprinzipien der menschlichen Seele?
Obwohl interessant genug für einen separaten Faden, ist es hier aber sehr off topic.
Noch abgesehen davon daß Judo nicht nur eine Art Kampfsport ist, sondern ein bisschen mehr.

-----------------------------------
Hi Alle,

Patriotismus im Judo... zurück zum Thema:

Ich frage mich öfter inwiefern Kano selbst/persönlich eine Trennung machen konnte zwischen seinem eingeborenen japanischen Stolz, und den Friedensansprüchen des Judo in internationaler Hinsicht, d.h.: ein Japaner seiner Zeit, sollte er nicht fast seine nationale Identität leugnen, wenn er weltweiten Frieden und Versöhnung im Licht des Jita Kyoei nachstrebe? Ich habe mich manchmal gefragt, wie Kano es 1922 geschafft hat, seinen Kodokan kulturellen Verein zu gründen, ohne Probleme mit den Behörden gerade über den Mangel an Militarismus und kriegsbereite Vaterlandsliebe. Da mußte er bestimmt etwas erklären und die richtige Politik hinfügen. Oder?
Und nicht nur damals. Im Verlauf der Judogeschichte gibt es so viele Beispiele, wo Japan sich 'kaum erholte' von Verlusten wie z.B. vom Drama mit Geesink auf dem Tokyo Olympics 1964. Stolz... Haben manche Judoka vielleicht heimlich noch gemeint, mit Judo-Pokale auch Japan siegen zu lassen? Wo die Olympische Ideale wesentlich die Grenzen zwischen Nationen und Sportlern fast aufheben sollten, sieht man immer noch nationalistische und patriotistische Tendenzen. Es ist nicht so schlimm, denke ich übrigens. Wenn nur friedlich und nie menschenfeindlich, ist ein gewisser Stolz nicht problematisch. Wie Wettkämpfe überhaupt.
Erziehung sollte in dieser Problematik das richtige Gleichgewicht suchen. Und das hat Kano bestimmt versucht. Sowie Judo immer versucht Ideale über Wettkampf zu stellen. Sind die Judo-Ideale und Prinzipien nicht die erzieherische Bremsen für jede Art Patriotismus?

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Re: Patriotismus im Erziehungsdenken Kanos

Beitrag von tutor! »

Sind die Judo-Ideale und Prinzipien nicht die erzieherische Bremsen für jede Art Patriotismus?
Diese Frage würde ich mit einem uneingeschränkten JA beantworten. Patriotismus muss an der Stelle aufhören, wo er in ein allgemeines Überlegenheitsgefühl gegenüber anderen und damit die Rechtfertigung einer Unterdrückung beginnt.

Patriotismus kann es ohne kulturelle Identifikation nicht geben. Eine kulturelle Identifikation ergibt sich aber stets nur über eigenständige Kulturgüter - oder genauer: kulturelle Errungenschaften - eines Volkes oder einer Nation. Dies können Formen der Leibeserziehung, der Musik, der Kunst, der Literatur oder auch der Technik bzw. Wissenschaften sein. Wer zum Patriotismus erziehen will, muss daher die Kulturgüter eines Volkes "bemühen". Dies erzeugt ein nationales Selbst-Bewusstsein im besten Sinn. In diesem Sinn lief es oben IMHO gar nicht OT).

Allerdings ist genau dies aufgrund der kokutai-Ideologie bei den Japanern kritisch zu sehen. Kano wurde aus meiner Sicht zu einer Art "Grenzgänger", der seine Identität als Japaner nicht aufgeben konnte (sicher auch nicht wollte), sich jedoch gleichzeitig für sein Ideal eines weltweiten "Wechselseitigen Gedeihens" einsetze.

Für mich entsteht aber eine noch weitergehende Problematik in Bezug auf Judo, bzw. alle Kampfkünste. Als japanische Kulturgüter spielten sie eine große Rolle bei der "Patriotismuserziehung", was Kano ja auch aktiv und offensiv vertrat (s. 1889er Vortrag). In der frühen Showa-Zeit erfolgte dann die Instrumentalisierung für den aufkommenden Militarismus. Kampfkünste waren wie jedes andere Erziehungsmittel den - stets ideologisch begründeten - Erziehungszielen der jeweiligen Zeit unterworfen.

Nach dem WW2 erfolgte ein erneuter radikaler Ideologiewechsel in Japan. Die Frage, die sich in diesem Kontext ergibt ist, welchen neuen Einflüssen waren die Kampfkünste nun ausgesetzt und wie machen sich diese bemerkbar? Gibt/gab es eine Aufarbeitung - wenn ja, wie sieht/sah sie aus? Welche Gegentendenzen gibt es (z.B. Mishima - http://de.wikipedia.org/wiki/Mishima_Yukio )? Welche Ideologie wird aufgegriffen und sind die Kampfkünste irgendwie beteiligt oder beeinflusst?
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Re: Patriotismus im Erziehungsdenken Kanos

Beitrag von Affenboy »

Mitesco hat geschrieben: Noch abgesehen davon daß Judo nicht nur eine Art Kampfsport ist, sondern ein bisschen mehr.
Hi Mitesco,
was ich auch nie angezweifelt habe. Ich hab ja nur von den (ganz tiefen) Wurzeln geredet.
So Off-Topic war es eigentlich gar nicht. Der Bezug ist: Patriotismus - "Volksidentität" - Wichtigkeit von Wettkämpfen für eben diese "Volksidentität" - und dann schließlich Wett-Kampf als Grundprinzip des Sozialverhaltens.

@ topic :)
Habe eben ein Dokument ausgebuddelt zu überhaupt nicht judohaftem Verhalten im Judo Sport (in Bezug auf Wettkampf). Ein Auszug aus Kimuras "My Judo" zu finden hier: http://www.planetjitsu.com/viewarticle.php?t=12325

1935 verliert Masahiko Kimura in einem Wettkampf an der Takushuko Universität einen von neun Wettkämpfen und wird danach von seinem Sensei Ushijima zurechtgewiesen:

"When I returned to Ushijima Sensei's juku (Note: Mr. Ushijima owned a house for judo students on scholarship, where Kimura and other judo students were housed. Such a house is called "juku", meaning a learning center), and reported the result, Ushijima Sensei gave me a series of slapping in the face. He said, "Shiai is equivalent to a real sword 'Kill or Get Killed' duel between Bushi. To throw the opponent means to kill him. Being thrown means being killed. You killed 8 men, and got killed by the 9th man. Remember, if you devote your life in judo, you can survive only by throwing your opponents or fighting to a draw no matter how many tough opponents you face."

Hier klingt für mich trotz über allem seeeeehr viel Samurai-Ethik (auch militärischer Drill) und unbedingter Siegeswille hindurch, die für mich nicht vereinbar sind mit den pazifistischen Zielen Kanos. Interessant also, wie sich Judo neben seinem Gründer her entwickelt hat und wie es von ANDEREN genutzt und verstanden wurde.
tutor! hat geschrieben:Patriotismus muss an der Stelle aufhören, wo er in ein allgemeines Überlegenheitsgefühl gegenüber anderen und damit die Rechtfertigung einer Unterdrückung beginnt.
Das Überlegenheitsgefühl, das tutor! anspricht, sehe ich in dem Verhalten des Sensei Ushijima widergespiegelt.
Ich kann Tutor! also nur beipflichten bei folgendem Satz:
tutor! hat geschrieben:Kampfkünste waren wie jedes andere Erziehungsmittel den - stets ideologisch begründeten - Erziehungszielen der jeweiligen Zeit unterworfen.
Kano hatte nicht die Möglichkeit alle Aspekte und Interpretationen seines Sport- und Lebenssystems zu kontrollieren, sobald es in der Öffentlichkeit angelangt ist. Natürlich konnten Erfolge in einem japanischen Sport von Patrioten und Nationalisten anders ausgelegt werden als vom Gründer desselbigen.

Grüße
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Re: Patriotismus im Erziehungsdenken Kanos

Beitrag von Fritz »

Hier gibt es im englischen Forum ein verwandtes Thema:

http://judoforum.com/index.php?showtopic=34601
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Re: Patriotismus im Erziehungsdenken Kanos

Beitrag von tutor! »

Fritz hat geschrieben:Hier gibt es im englischen Forum ein verwandtes Thema:

http://judoforum.com/index.php?showtopic=34601
Hochspannend! Es geht unter anderem ja auch um Kanos Wirken bei der Werbung für Tokyo und Japan im als es um die Olympischen Spiele 1940 ging. Er musste ein positives Japanbild "verkaufen" - positiver als es war. Und er musste - steht aber nicht dort - auch Mussolinis Italien und auch Deutschland als Verbündete für Tokyo 1940 gewinnen.
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