Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Hier geht es um die Geschichte und um Traditionen des Judo
katana
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von katana »

Wie sagte einst ein berühmter Bibelübersetzer sinngemäß:
Eine Übersetzung ist,
als ob du am Morgen ein Rendezvous mit einer Schönheit vereinbarst,
und dann am Abend mit ihrer häßlichen Schwester ausgehst. ;)
Jupp
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von Jupp »

Danke für diese Beiträge.

Aber welche Konsequenzen sollen jetzt daraus folgen?

1. Keine Übersetzungen mehr von englischen Übersetzungen aus dem japanischen?
Die Folge wäre, dass noch weniger Judoka einen Zugang zu Kanos Texten hätten und auf die Behauptungen einiger weniger "Weisen"/"Wissender" angewiesen wären.

2. Absegnung von solchen "Amateurübersetzungen" wie den meinen (ich bin kein Übersetzer/Dolmetscher) durch Profis für englische Übersetzungen ins Deutsche?
Würde auch nicht helfen, wenn die Fehler/Ungenauigkeiten schon in der Übersetzung vom Kapanischen ins Englische gemacht wurden.

3. darauf warten, dass jemand den japanischen Text direkt ins Deutsche übersetzt und dabei sowohl von deutsch/japanischen Übersetzungen, als auch vom Judo als auch von Judogeschichte etwas versteht? Wieviele dieser Fachleute lassen sich in Deutschland finden?

4. Oder vielleicht doch sich an eine - durchaus mit Fehlern behaftete Übersetzung wagen, diese ins Forum stellen und einer allgemeinen Begutachtung zur Verfügung stellen, die auf Fehler hinweist, den Text inhaltlich, formal, historisch oder technikbezogenen diskutiert und dadurch alle Beteiligten weiter bringt?

Ich persönlich habe mich für Nummer 4 entschieden und empfinde die hier stattfindende Diskussion durchaus als Bereicherung meines Judowissens, die Arbeit an den Übersetzungen im Übrigen ebenso.

Wie seht Ihr das?

Jupp

P.S. Wenn jemand meine Übersetzungen ergänzen oder kommentieren möchte, dann kann er das durchaus und gerne machen. Für mich ist es jedoch absolut unmöglich, jede meiner Übersetzungen bei Übersetzungsalternativen auch noch durch eine Anmerkung zu kommentieren.
Manchmal wundere ich mich, was einem bei einer solchen Judoforum-Serviceleistung wie den vorliegenden Übersetzungen im Nachhinein noch alles abverlangt wird...
Ich habe nämlich in keiner Weise vor, eine professionelle Übersetzung (d.h. das ganze Buch zu übersetzen) dieses Watson-Buches zu erstellen.
tutor!
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von tutor! »

Jupp hat geschrieben:4. Oder vielleicht doch sich an eine - durchaus mit Fehlern behaftete Übersetzung wagen, diese ins Forum stellen und einer allgemeinen Begutachtung zur Verfügung stellen, die auf Fehler hinweist, den Text inhaltlich, formal, historisch oder technikbezogenen diskutiert und dadurch alle Beteiligten weiter bringt?

Ich persönlich habe mich für Nummer 4 entschieden und empfinde die hier stattfindende Diskussion durchaus als Bereicherung meines Judowissens, die Arbeit an den Übersetzungen im Übrigen ebenso.

Wie seht Ihr das?
Abgesehen von der urheberrechtlichen Seite, bin ich ganz bei Dir. Und das aus mehreren Gründen.

Wie Du richtig schreibst, finden Die Gedanken eine weitere Verbreitung. Vielleicht beschafft sich ja der ein oder andere das Buch und liest selbst nach. Kleinere Unstimmigkeiten bei Deinen Übersetzungen können von anderen, die das Buch haben, jederzeit nachgeschaut und relativiert werden. Das einzige, was passieren kann ist, dass halt öffentlich korrigiert wirst, aber Du brauchst Dich für die Übersetzungen beileibe nicht verstecken.

Aber gerade dieser Faden zeigt noch etwas anderes: Die Texte werden zum Gegenstand von Diskussionen und damit einer Art Kontrolle unterzogen - z.B. wenn Reaktivator im japanischen Original nachschaut oder wenn irgendwo ein sachlicher Fehler drin sein sollte. Genau diese Dinge kommen dann hier zur Sprache, so dass auch diejenigen, die das Buch haben, auf Widersprüche oder Ungereimtheiten aufmerksam werden.

Damit haben auch diejenigen einen Mehrwert, die ansonsten das Buch im stillen Kämmerlein lesen würden.
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Fritz
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von Fritz »

Jupp hat geschrieben:Aber welche Konsequenzen sollen jetzt daraus folgen?
Tja, das ist doch offensichtlich:

a) Übersetzungen erstmal nicht zu trauen...
b) gerne doch nach "4." verfahren...
c) Fleißig die Direktübersetzungen von Dieter Born kaufen. Damit es noch mehr direkte Übersetzungen
gibt - Vielleicht vom Original-Material, welches in "Mind over Muscel" verquirlt wurden. ;-)
d) Bestehende Übersetzungen an den "Knackpunkten" von kundigen Leuten nachprüfen lassen...
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von katana »

Hi Jupp,
meine Bemerkungen sollten kein Angriff auf deine Übersetzung sein,
sondern vielmehr eine Bestätigung, daß auch andere große Schriftsteller schon an
den selben Problemen zu beißen hatten.
Ohne die Übersetzungen wären solche Diskussionen doch auch gar nicht möglich.

Ich möchte euch im Gegenzug auch Gelegenheit geben über mich herzufallen.
Anbei eine Übersetzung von mir, die ich vor einiger Zeit zum Kapitel Judo und Waffen
erstellt habe.
(Ich möchte ausdrücklich anfügen, daß ich sie seitdem nicht mehr im Detail überprüft habe)
Vielleicht fällt euch ja noch was dazu auf.



Auszug
Judo und Waffen (Watson / Kano)


Wenn Trainer die Fortschritte ihrer Sportler analysieren, teilen sie diese für gewöhnlich in drei Gruppen ein: Anfänger, Mittelstufe und Fortgeschrittene.
Typischerweise wird eine Erhöhung des Niveaus der Fähigkeiten ihrer Schützlinge angestrebt
sowie eine Steigerung der Körperkraft.
Selten wird ernsthaft in Betracht gezogen, den Geist dieser 3 Gruppen von Sportlern zu schulen oder deren Charakter zu entwickeln.
Prof. Dr. Kano’s Ansicht von dieser Einteilung, wohlgeachtet ihrer Fortschritte im Training,
war jedoch sehr unterschiedlich und ziemlich profund.
Er beschrieb die anzustrebenden Stufen „The three levels of Judo“ wie folgt:

“Die 3 Stufen des Judo sind – Training zur Selbstverteidigung, Entwicklung von Körper und Geist, und ein optimaler Gebrauch der eigenen Energie.
Unser höchstes Ziel soll sein , die Selbstvervollkommnung zur Verbesserung der ganzen Gesellschaft.
Lasst uns der Einfachheit halber mit dem Fundament beginnen – Training zur Selbstverteidigung - und es „Lower Level Judo“ (Grundstufe) nennen.
Lasst uns Training und Entwicklung von Körper und Geist, welches Nebenprodukte der
Grundstufe sein sollen „Middle Level Judo“ (Mittelstufe) nennen.
Das Studium, wie man seine eigene Energie am besten zum Nutzen der Gesellschaft einbringen kann kommt zuletzt und wir wollen es „Upper Level Judo“ (Oberstufe) nennen.
Wenn wir Judo in diese drei Stufen einteilen, können wir erkennen, dass wir es nicht auf das Kampftraining im Dojo beschränken dürfen.
Auch wenn man darüber hinaus Körper und Geist trainiert und kultiviert, kann man nicht zum Wohlergehen der Gesellschaft beitragen, wenn man die höchste Stufe nicht erreicht.
In der Grundstufe wird meist unbewaffnet trainiert, einige Waffen werden in den Kata benutzt.
Jedoch bin ich kürzlich zu der Ansicht gelangt, dass bereits im Anfänger-Training für kleine Kinder aufblasbare, oder gepolsterte Schwerter (anstatt der Bambusschwerter) für Kata- Unterricht benutzt werden sollten,
mit denen sie Angriffe und Verteidigungsaktionen mit dem Schwert lernen.
Dazu muß ich erwähnen, dass ich vorhabe, einige der Kata, die früher in Kendo unterrichtet
wurden, in geeigneter Form ins Judo-Training zu integrieren.
Berechtigterweise sollten auch Speere, Hellebarden und andere Waffen im Training zum Zwecke der Verteidigung eingeführt werden.
Nichtsdestotrotz sind Schwerter und Stöcke am gebräuchlichsten als Waffen,
und Kendo ist eines der essentiellen Elemente des Judo und soll deshalb in geeigneter Form
eingearbeitet werden.
Und zwar nicht nur für Kata, sondern auch für den Wettkampf.
Ich glaube, dass künftig vorerst einige Kata des gegenwärtigen Kendo ins Judo übernommen werden, doch nach meiner Ansicht ist der derzeitige Stand des Kendo weniger als zufriedenstellend.
Schwerter werden nicht mehr als so nützlich betrachtet wie früher.
Verglichen mit dem, was im Judo gelehrt wird, gibt es wenig Situationen, in denen es von Vorteil ist, ein Schwert zu haben, mit Ausnahme, wenn du ein Schwert ziehst und eine defensive Position einnimmst.
Ohne die Kenntnis des Judo, sind sogar jene, die Schwerter benutzen, unfähig, diese mit großem Geschick oder Zuversicht zu führen.
Gleichzeitig werden im Gegenzug Kendoka schrittweise den Nutzen erkennen, Judo zu lernen.
Deshalb bin ich der Meinung, dass das derzeitige Judo und Kendo vereint werden soll.
Natürlich gibt es diesbezüglich gegenteilige Meinungen, deshalb wird es schwierig werden,
die richtige Art und Weise dessen zu finden.
Nichtsdestotrotz geht der Haupttrend in diese Richtung.
Aber im Laufe der Zeit wird man unvermeidlich zwischen denen unterscheiden müssen,
die dem Schwert ihre Wertschätzung entgegenbringen, und jenen, die seinen Wert herunterspielen.“
Jupp
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von Jupp »

Ich kann mich erinnern einen solchen Text gelesen zu haben, aber ich weiß nicht mehr wo und konnte ihn beim ersten Durchblättern des neuen Watson auch nicht finden. Auch der Titel lässt sich im neuen Watson nicht finden.
Wo steht der englische Text?

Über Dich "herfallen" wird wohl niemand, nur weil Dich dieses Kapitel anspricht.
Meine erste Stellungnahme dazu:
1. Dieses Thema ist auch im Forum an anderer Stelle schon einmal diskutiert worden.
2. Diese Aussage Kanos wurde (vermutlich?) um 1925 herum gemacht, also als Kano ca. 65 Jahre alt war. Wie es um seine eigenen Schwertkünste bestellt war, weiß man ganz offenkundig nicht genau.
3. Seine Aussagen hören sich wie Wünsche für die Zukunft an. Mit welcher Konzentration und Nachhaltigkeit sie von ihm selber dann verfolgt worden sind ist unklar, wobei man vom Ergebnis her beurteilen kann, dass er offensichtlich wenig Erfolg in der Umsetzung dieser Ideen gehabt hat (wenn er sie dann tatsächlich ernsthaft verfolgt haben sollte in seinen letzten 12-13 Lebensjahren).
4. Man kann nun weiterhin sagen, man müsse sich an Kanos Wünschen/Ideen/Anregungen für die Zukunft des Judo/Kendo orientieren, wenn man Judo weiterentwickeln möchte/sollte/dürfte/müsste...
5. Aber: muss man dieser Absicht Kanos mehr Bedeutung beimessen, als Kano es durch seine eigenen Handlungen ganz offenkundig getan (bzw. eben nicht getan) hat?

Jupp
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von tutor! »

Jupp hat geschrieben:Ich kann mich erinnern einen solchen Text gelesen zu haben, aber ich weiß nicht mehr wo und konnte ihn beim ersten Durchblättern des neuen Watson auch nicht finden. Auch der Titel lässt sich im neuen Watson nicht finden.
Wo steht der englische Text?
Es steht im Nachwort ab Seite 154, allerdings ohne Quellenangabe. Ansonsten findet sich der Text auch in "Mind over Muscle" unter "The three Levels of Judo" ab Seite 94.
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von katana »

Hi Jupp,
Tutor ist mir schon zuvorgekommen,
aber ich möchte noch anfügen,
daß deine Stellungnahme den Kern der Sache präzise trifft.

Meiner Meinung nach geht aus dieser Passage hervor, daß Kano bezgl. der weiteren Entwicklung des Judo tatsächlich viel umfassendere Visionen hatte, als man heute zu
glauben bereit ist.
Und er wollte diesen Entwicklungs-Prozeß ja auch selbst als "unbegrenzt" verstanden wissen.

(Der "Titel" des Textes existiert nur bei mir, die Passage war ursprünglich nicht zur Veröffentlichung gedacht, sondern für meinen Hausgebrauch.) :oops:
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von Reaktivator »

katana hat geschrieben:Meiner Meinung nach geht aus dieser Passage hervor, daß Kano bezgl. der weiteren Entwicklung des Judo tatsächlich viel umfassendere Visionen hatte, als man heute zu
glauben bereit ist.
Und er wollte diesen Entwicklungs-Prozeß ja auch selbst als "unbegrenzt" verstanden wissen.
Richtig - die Frage ist nur: Welche Konsequenzen ziehen wir daraus, ohne uns direkt wieder auf sehr dünnes Eis zu begeben?

Denn wir hatten hier im Forum ja schon erbitterte Diskussionen darüber, ob überhaupt jemand das Recht habe, Judo nach Kanos Tod "weiterzuentwickeln" - und zwischen den beiden Extremen ("Keiner hat das Recht." einerseits, und "Wir haben umgekehrt sogar die Pflicht." andererseits) war die ganze Bandbreite an Meinungen vertreten...
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Fritz
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von Fritz »

Reaktivator hat geschrieben:Denn wir hatten hier im Forum ja schon erbitterte Diskussionen darüber, ob überhaupt jemand das Recht habe, Judo nach Kanos Tod "weiterzuentwickeln" - und zwischen den beiden Extremen ("Keiner hat das Recht." einerseits, und "Wir haben umgekehrt sogar die Pflicht." andererseits) war die ganze Bandbreite an Meinungen vertreten...
Das ist in der Tat eine interessante Fragestellung...
Wenn gepredigt wird, daß das heutige
(Sport)-Judo eine Weiterentwicklung von Kanos Judo sei (ob zum "Guten" sei mal dahingestellt, die Diskussion
hatten wir schon), obwohl es Zitate gibt, die zumindest andeuten,
daß die bisherige u. heutige Entwicklung nicht unbedingt
Kanos-Absichten entspricht, dann sollten "wir" schon einer Weiterentwicklung in Richtung "Kendo mit einfangen",
die Kano laut o.g. Zitat ja recht eindeutig beabsichtigte, sehr aufgeschlossen (bis verpflichtet) gegenüber stehen...

Evt. lohnt da vielleicht, die im aktuellen Judomagazin von R.Lippmann beabsichtigte Verabschiedung der neuen Dan-PO
hinsichtlich dieser Erkenntnisse noch einmal zu vertagen und den Entwurf entsprechend zu überarbeiten? :eusa_think
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von Lin Chung »

dann sollten "wir" schon einer Weiterentwicklung in Richtung "Kendo mit einfangen
..fände ich gut. Oder zumindest den Nachweis, dass man im Kendo eine bestimmte Graduierung hat.
Grüße
Norbert Bosse
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von katana »

Man muß dazu bedenken,
daß Kano ja auch mit dem Stand des Kendo nicht zufrieden war.
Denn wir hatten hier im Forum ja schon erbitterte Diskussionen darüber, ob überhaupt jemand das Recht habe, Judo nach Kanos Tod "weiterzuentwickeln" - und zwischen den beiden Extremen ("Keiner hat das Recht." einerseits, und "Wir haben umgekehrt sogar die Pflicht." andererseits) war die ganze Bandbreite an Meinungen vertreten...
Das kommt halt zum einen darauf an, ob man Kanos Standpunkte kennt, und
ob man seine Ideen überhaupt verstanden hat.
tutor!
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von tutor! »

Ich bin jetzt zeitlich sehr knapp dran, deshalb kann ich nicht so ausführlich schreiben - und auch nicht nachlesen - wie ich das gerne täte.

Die Passage ist sehr schwierig, weil wir den Ursprung des Textes nicht genau kennen: weder die Originalquelle, noch die Zeit, noch den Kontext, in dem Kano das geschrieben oder vorgetragen hat. Dazu kommt die genannte Übersetzungsproblematik.

Das große Gedankengebäude Kanos ist ja auch bei Niehaus dargestellt.

Kano macht deutlich, dass es über das rein physische Kämpfen (low level) hinaus (lassen wir einmal offen, auf welche Weise dies geschehen soll) Judo ein Training zur Entwicklung des Geistes und des Charakters ist (middle level). Genau diese Erläuterung schließt sich ja an die von Katana übersetzte Passage an. Die Entwicklung des Geistes und des Charakters sei - so Kano - ein Nebenprodukt der ersten Ebene. Ähnliche Darstellungen finden wir übrigens schon beim Vortrag von 1889. Neu hinzugekommen ist die dritte Ebene: nämlich die gesellschaftliche Relevanz des eigenen Tuns. Daraus können wir ableiten, dass der Text aus den 1920ern stammt, als jita-kyoei bereits formuliert war.

Schaut man sich einmal an, was Kano mit seinen Ausführungen auf der zweiten und dritten Ebene meint, stellt man fest, dass dies eigentlich unabhängig davon ist, welche Kampflunst man ausübt - ob das (bisherige) Judo, das (bisherige) Kendo oder vielleicht ein Hybrid aus beidem oder etwas ganz anderes, wie Karate, Aikido, Bo-jutsu oder wiederum ein Hybrid aus alledem.

Entscheidend ist hier weniger das "was" als vielmehr das "wie". Und auch dazu finden wir Hinweise, z.B. dass er mit dem Stand des Kendo nicht zufrieden war. War dies technisch gemeint oder "philosophisch"? Das bleibt an dieser Stelle offen.

Denn Kano macht auch deutlich, dass das (bisherige) Judo, wenn es auf das Training des Kampfes im Dojo beschränkt bleibt, eben nicht den Anspruch der dritten Ebene einlösen kann. Für diese Kritik Kanos gibt es auch andere Hinweise, z.B. seine Anforderungen an einen idealen Judolehrer.

An anderer Stelle - ich glaube, es war bei der Vorstellung der Seiryoku-zenyo-kokumin-taiiko umd das Jahr 1930 - erklärt Kano den Unterschied zwischen Judo und Jutsu so, dass beim Judo nicht die Technik die Substanz sei, sondern die Erziehung und die Technik "nur" die Anwendung, während beim Jujutsu die Technik die Substanz und die Erziehung allenfalls Beiprodukt ist.

Kano löst sich also immer mehr vom Technik-Kanon bestimmter Disziplinen und wendet sich in einem universellerem Denken einem gemeinsamen erzieherischen Ziel zu: der Verbesserung der Gesellschaft. Genau in diesen Kontext passt sein Interesse an Funakoshis Karate, Ueshibas Aikido, der Bojutsu-Abteilung im Kodokan usw. Ging es darum, verschiedene Kampfkünste, die wie Kendo aus seiner Sicht "unbefriedigend waren" unter einem erzieherischen Dach zu integrieren?

Ich lese aus diesen Passagen heraus, dass Kano durchaus entfernt im Blick hatte, verschiedene Kampfkünste zu einem Hybrid zu verschmelzen, einem Hybrid, das als Leitgedanken seine beiden Prinzipien hatte und damit ein Erziehungssystem sein sollte, das eine Verbesserung der Gesellschaft zum Ziel hatte.
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von Fritz »

Lin Chung hat geschrieben:Oder zumindest den Nachweis, dass man im Kendo eine bestimmte Graduierung hat.
Genau das halte ich für kontraproduktiv... Es muß in den "Lehrplan" (also in die PO)
des Judokas mit rein, mit allen Konsequenzen: Lehrgänge, Training usw., eine separate Graduierungsschiene ist m.M. nach nicht optimal. Damit es Sinn ergibt, müssten Judo und Kendo eng verzahnt werden...
tutor! hat geschrieben:Kano löst sich also immer mehr vom Technik-Kanon bestimmter Disziplinen und wendet sich in einem universellerem Denken einem gemeinsamen erzieherischen Ziel zu: der Verbesserung der Gesellschaft. Genau in diesen Kontext passt sein Interesse an Funakoshis Karate, Ueshibas Aikido, der Bojutsu-Abteilung im Kodokan usw. Ging es darum, verschiedene Kampfkünste, die wie Kendo aus seiner Sicht "unbefriedigend waren" unter einem erzieherischen Dach zu integrieren?
Möglicherweise...
Möglicherweise war er auch nur begierig, seine Judo-Prinzipien breiter angewendet zu sehen ;-)
Ich für meinen Teil (ohne jemandem zu nahe zu treten zu wollen) denke, daß die aufgezeigten
Standpunkte: "Kano als Erzieher" (Niehaus) und "Kano als Bewahrer knallharter Kampfkunst" (Tom)
Extreme sind, die Wahrheit wird irgendwo in der Mitte liegen...
Mit freundlichem Gruß

Fritz
pmhausen

Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von pmhausen »

Fritz hat geschrieben: Ich für meinen Teil (ohne jemandem zu nahe zu treten zu wollen) denke, daß die aufgezeigten
Standpunkte: "Kano als Erzieher" (Niehaus) und "Kano als Bewahrer knallharter Kampfkunst" (Tom)
Extreme sind, die Wahrheit wird irgendwo in der Mitte liegen...
Weshalb sollten diese Standpunkte gegensätzlich sein, an extremen Punkten ein und derselben Skala, gar?

Fritz, Du darfst beim Thema "Erziehung" nicht davon ausgehen, das das Ziel der Erziehung wie Kano sie
im Sinn hatte, auch nur andeutungsweise etwas mit unserem heutigen Menschenbild, unserer Ethik,
am Ende noch Montessori, Pestalozzi, oder Humboldt zu tun habe.

Von allen westlichen Denkschulen neigte Kano belegbar am ehesten dem Utilitarismus zu. Es spricht
angesichts der zu seiner Zeit vorherrschenden politischen Strömung und seinen eigenen Aussagen,
das Individuum habe zum Nutzen der Gesellschaft da zu sein, einiges für die Annahme, seine
Erziehung habe die Produktion braver kleiner Soldaten zum Ruhme der Japanischen Nation zum
Ziel. Wir müssen das als wesentlichen Aspekt zumindest ins Kalkül ziehen.

Wo ist da dann bitte der Gegensatz zur "knallharten Kampfkunst"? Das ist alles nicht mehr und nicht
weniger als Seiryoku Zenyo. Nur "wir" im Westen gehen dauernd hin und interpretieren Kanos
Prinzipien passend zu unseren eigenen (meist) christlich geprägten Idealen. Das ist nicht zulässig.
Kano war kein Christ. Er war auch kein Humanist. Er lebte vor rund 100 Jahren in Japan mitten im
Umbruch vom Mittelalter zur Moderne, nationalistisch bis an den Anschlag!

Liebe Grüße,
Patrick
tutor!
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von tutor! »

pmhausen hat geschrieben:Du darfst beim Thema "Erziehung" nicht davon ausgehen, das das Ziel der Erziehung wie Kano sie im Sinn hatte, auch nur andeutungsweise etwas mit unserem heutigen Menschenbild, unserer Ethik, am Ende noch Montessori, Pestalozzi, oder Humboldt zu tun habe.
Dazu müsste man genau nachschauen, woher die pädagogischen Ideen Kanos kamen - und an welchen Stellen sich Widersprüche z.B. zu den von Dir genannten zeigen. Die japanische Pädagogik der frühen Meji-Zeit war übrigens sehr stark von Herbart geprägt, das Schulsystem dem preußischen Nachempfunden und Kano war 1889/90 sehr lange auf Studienreise durch Europa zum Studium der Erziehungssystem und der Pädagogik.

Ich sage nicht, dass er sich diese Gedanken zu eigen gemacht hat, allerdings sollten sich in seinen Schriften deutliche Hinweise darauf finden, an welchen Stellen er andere Positionen vertreten hat.
pmhausen hat geschrieben:Von allen westlichen Denkschulen neigte Kano belegbar am ehesten dem Utilitarismus zu. Es spricht angesichts der zu seiner Zeit vorherrschenden politischen Strömung und seinen eigenen Aussagen, das Individuum habe zum Nutzen der Gesellschaft da zu sein, einiges für die Annahme, seine Erziehung habe die Produktion braver kleiner Soldaten zum Ruhme der Japanischen Nation zum Ziel. Wir müssen das als wesentlichen Aspekt zumindest ins Kalkül ziehen.
Ich kenne ehrlich gesagt keine Denkschule oder philosophische Richtung, die nicht dem Einzelnen einen Beitrag für die Entwicklung der Gesellschaft abverlangt. Entscheidende Unterschiede ergeben sich im geforderten Grad der Unterordnung des Einzelnen unter die gesellschaftlichen Interessen. Aber Du hast recht: man muss das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft bei Kano vorurteilsfrei prüfen.
pmhausen hat geschrieben:Nur "wir" im Westen gehen dauernd hin und interpretieren Kanos
Prinzipien passend zu unseren eigenen (meist) christlich geprägten Idealen. Das ist nicht zulässig. Kano war kein Christ. Er war auch kein Humanist. Er lebte vor rund 100 Jahren in Japan mitten im Umbruch vom Mittelalter zur Moderne, nationalistisch bis an den Anschlag!
Das müssen wir etwas differenzierter betrachten, denn Du unterstellst, dass Kano passgenau dem jeweiligen japanischen Zeitgeist entsprach.

Zunächst einmal wäre der Frage nachzugehen, was denn im historischen Sinn "richtig" ist. Sollte sich dabei herausstellen - was ich bezweifle - dass Kano selbst ein Nationalist war, der "brave, opferbereite und kampffähige Soldaten" für Nippon heranziehen wollte, wäre im nächsten Schritt die zweite Frage anzuschließen: "Was würde dies dann für uns bedeuten"?

Für mich persönlich würde das bedeuten, dass ich diese Art Erziehung mit Sicherheit nicht betreiben oder unterstützen würde, ja mich sogar gegen jeden stellen würde, der dies tun würde. Denn genau das hatten wir ja auch im 3. Reich, wo BTW auch F. L. Jahn uminterpretiert worden ist.

Aber glücklicherweise gibt die Quellenlage, so weit ich das beurteilen kann, eine derartige Haltung Kanos nicht her. Im Gegenteil...
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von Fritz »

@pmhausen: Was ich meine, ist, je nach seinem eigenen Standpunkt (bzw. der
eigenen meist unbewußten Erwartungshaltung) liest u. interpretiert man Texte...
So ist es im Extremfall durchaus möglich, daß dieselbe "Zeichenfolge" von verschiedenen
Personen völlig gegensätzlich ausgelegt werden...
Das wird natürlich gerade bei Übersetzungen "kritisch", wenn entsprechende Erwartungshaltungen
in die Übersetzung mit einfließen...
Mit freundlichem Gruß

Fritz
Lin Chung
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von Lin Chung »

Eins lese ich jedenfalls hinsichtlich der 2ten und 3ten Stufe: wer über den Tellerrand schaut, sprich auch bei den anderen KKsten mitmacht, ist dem Ziel schon etwas näher.
Grüße
Norbert Bosse
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von pmhausen »

tutor! hat geschrieben: Aber glücklicherweise gibt die Quellenlage, so weit ich das beurteilen kann, eine derartige Haltung Kanos nicht her. Im Gegenteil...
Das stimmt natürlich. Ich wollte jetzt nicht sagen, daß ich Kano für einen Ultra-Nationalisten halte.
Allein, er lebte in einer Gesellschaft in einer Zeit, die wir uns heute nur sehr schwierig überhaupt
vorstellen können. Und ich wollte davor warnen, implizit heutige Erziehungsideale auf Kano zu
übertragen.

Grüße,
Patrick
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von Michael Geiger »

Das stimmt natürlich. Ich wollte jetzt nicht sagen, daß ich Kano für einen Ultra-Nationalisten halte.
Dann hätte er sich sicher auch nicht so für die Olympischen Ideale eingesetzt.

Was mich jetzt, vor dem Hintergrund dieser hochinteressanten und lehrreichen Diskussion, etwas entsetzt, ist ein Besuch auf der DJB-Homepage gestern Abend. Hier lesen doch sicher außer Jupp noch andere hochrangige Mitglieder des DJB mit. Wäre es nicht ganz dringend nötig, den Geschichtsteil der DJB-Homepage gemäß den Erkenntnissen aus "Mind over Muscle" und den "Judo Memoirs" zu überarbeiten? Und das Ganze vielleicht auch noch etwas in die PO und das Ausbildungsprogramm einfließen zu lassen?

Gruß

Michael
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