Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Hier geht es um die Geschichte und um Traditionen des Judo
Jupp
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von Jupp »

Liebe Kombatanten,
ich kann nur sagen: "Hut ab!"
Das ist "Streiten" auf wirklich hohem Niveau und mit Erkenntnisgewinn für jeden, der es schafft, sich in die diskutierten Details von Technikbezeichnungen und Technikentwicklungen einzudenken.

Das ist für mich ein vorzeigbares Stück "Forumskultur" !
Danke, weiter so.

Jupp
katana
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von katana »

Hiki Otoshi ist eine Technikgruppe, und bezeichnet alle Techniken, bei denen Uke rückwärts ausweicht,
und Uke durch Zug/Druck nach vorne/ unten
aus dem Gleichgewicht und zu Boden gebracht wird.
Und zwar unabhängig von der Faßart .
Die Bezeichnung gibt es übrigens nicht nur im Judo, sondern im japanischen Kampf-Sport/Kunst allgemein.
Das auch eine Technik in der Koshiki No Kata so bezeichnet ist, schließt das übrige ja nicht aus.

Was den Rest betrifft, beziehe ich mich ausschließlich auf die englischsprachige Ausgabe des "Daigo".
Da sind übrigens auch Bilder und mehr tolle Erklärungen drin, die an sich eindeutig sind.
Sollten diese Passagen falsch sein, wie du unterstellst,
sollte sich das ja in Kürze klären.
Reaktivator könnte auch, wie gesagt, gleich im Original nachlesen.

Ich hoffe nur, daß in der deutschen Übersetzung nicht auch vermeintliche Fehler in eigener Interpretation von deutschen Experten korrigiert werden / worden sind. ;)

Was die erste "offizielle" Version des Uki Otoshi in der Nage No Kata betrifft, könntest du durchaus Recht haben,
das kann ich derzeit nicht ausschließen, allerdings entspricht dieser Uki Otoshi mit Sicherheit nicht der Technik
der ursprünglichen Ryu.

In diesem Sinne
KK
tutor!
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von tutor! »

katana hat geschrieben:Hiki Otoshi ist eine Technikgruppe, und bezeichnet alle Techniken, bei denen Uke rückwärts ausweicht, und Uke durch Zug/Druck nach vorne/ unten aus dem Gleichgewicht und zu Boden gebracht wird. Und zwar unabhängig von der Faßart. Die Bezeichnung gibt es übrigens nicht nur im Judo, sondern im japanischen Kampf-Sport/Kunst allgemein. Das auch eine Technik in der Koshiki No Kata so bezeichnet ist, schließt das übrige ja nicht aus.
Richtig, aber auch umgekehrt: dass Hiki-otoshi in anderen Systemen eine Technikgruppe bezeichnet, schließt nicht aus, dass es in der Koshiki-no-Kata (und in der Itustsu-no-Kata) eine klar definierte Technik ist. Letztlich sind aber auch die Technikbezeichnungen im Judo stets Bezeichnungen für eine ganze Gruppe von Techniken und somit geraten wir in Haarspalterei. allerdings ist der Uki-otoshi - wie er in der Kata ist - deutlich erkennbar aus dem Hiki-otoshi der Koshiki-no-Kata abgeleitet. (Letztlich heißt Hiki-otoshi nur "ziehen und fallen lassen" oder in einem Wort "herunterziehen")
katana hat geschrieben:Was den Rest betrifft, beziehe ich mich ausschließlich auf die englischsprachige Ausgabe des "Daigo". Da sind übrigens auch Bilder und mehr tolle Erklärungen drin, die an sich eindeutig sind. Sollten diese Passagen falsch sein, wie du unterstellst, sollte sich das ja in Kürze klären. Reaktivator könnte auch wie gesagt gleich im Original nachlesen..
Ich denke nicht, dass da etwas Falsches drin steht. Ich hab den englischen Daigo jetzt nicht hier, aber wenn mich nicht alles täuscht, dann beginnt es mit dem Uki-otoshi, bei dem ein Knie aufgesetzt wird - so wie in der Kata. Danach kommt Uki-otoshi, bei dem aus dem Stand geworfen wird und bei dem Toris Brust/Bauch in Wurfrichtung zeigt, sowie weitere Varianten. Die Frage, welche dieser Varianten dem "Ishiguro-Uki-otoshi" am nächsten kommt ist nun spannend - kann es sein, dass in der englischen Ausgabe genau dies ausgelassen ist? In der japanischen steht es drin - mitsamt Entstehungsgeschichte sowohl des Namens als auch der Technik.
katana hat geschrieben:Ich hoffe nur , daß in der deutschen Übersetzung nicht auch vermeintliche Fehler in eigener Interpretation von deutschen Experten korrigiert werden / worden sind. ;)
Da ich den Übersetzer kenne, kann ich Dich da vollkommen beruhigen...
katana hat geschrieben:Was die erste "offizielle" Version des Uki Otoshi in der Nage No Kata betrifft, könntest du durchaus Recht haben, das kann ich derzeit nicht ausschließen, allerdings entspricht dieser Uki Otoshi mit Sicherheit nicht der Technik der ursprünglichen Ryu.
Ich weiß jetzt nicht, welche Ryu Du meinst, aber Uki-otoshi stammt auch nach meinen Informationen weder aus der Tenjin-shinyo-Ryu noch aus der Kito-Ryu, sondern wurde wie gesagt aus Hiki-otoshi (so wie er in der Koshiki-no-Kata ist) abgeleitet.
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von katana »

Also ich plädiere für folgenden AhnenBaum ;) :


Hiki Otoshi Gruppe ==>

==> Kuki nage Gruppe

==> Uki Otoshi Gruppe (Fallrichtung Uke geradlinig vorwärts in Richtung seiner Zehen)
und Sumi Otoshi Gruppe (Uke mit seitlicher Rotation über seine Ferse gekippt)

Ich weiß jetzt nicht, welche Ryu Du meinst, aber Uki-otoshi stammt auch nach meinen Informationen weder aus der Tenjin-shinyo-Ryu noch aus der Kito-Ryu, sondern wurde wie gesagt aus Hiki-otoshi (so wie er in der Koshiki-no-Kata ist) abgeleitet.
Und nun die große Preisfrage für alle die uns noch folgen können !
Woher kommt die Koshiki No Kata ? :alright


ich harre der Dinge , die nach kommen mögen.

Gruß KK
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kastow
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von kastow »

Alle, die nicht den Daigo besitzen, können auf der englischsprachigen Kôdôkan-Seite die unbebilderten Texte zu Uki-otoshi und Sumi-otoshi nachlesen. Auch der Unterschied zwischen beiden Würfen und der Begriff Kuki-nage werden bei letzterer Technik zum Seitenende hin erläutert. So fällt es wahrscheinlich leichter, dieser interessanten Diskussion zu folgen.
Herzliche Grüße,

kastow

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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von Lin Chung »

Wer Kukinage nicht finden sollte:
http://www.kodokan.org/e_waza/sumiotoshi.html
Kukinage finden wir hier unter
(Type 3) Difference between Sumiotoshi & Ukiotoshi
Grüße
Norbert Bosse
ボッセ・ノルベルト

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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von katana »

Danke an euch, für die Links,

ich wußte leider zu Beginn der Diskussion noch nicht, daß das alles auf der Kodokan Seite zu finden ist.

KK
Jupp
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von Jupp »

Trotz aller rechtlichen und eventuell übersetzungstechnischen Bedenken hier der nächste Teil zu Kanos Ausführungen über die "Kodokan-kata". Ich finde die Texte außerordentlich spannend und erhellend, wie man vielleicht aus meinen Anmerkungen entnehmen kann.

Jupp

57. Die Judo Kata werden durch die Butokukai gebilligt
Als ich 1906 dabei war die Zusammenstellung der Katame no kata und der Kime no kata zu beenden, erhielt ich Ratschläge und Mitarbeit von ein Anzahl Jujutsumeister. Sie waren alle Mitglieder der Dai Nippon Butokukai (1), der zu dieser Zeit Viscount Kanetake Oura vorstand. Es war selbstverständlich klar, dass jeder spezielle Jujutsumeister die Ausübung der Katatechniken seiner eigenen Schule vorantreiben wollte. Die allgemeine Abmachung war, dass nur eine Gruppe von Judo Katas durch den Dai Nippon Butokukai gebilligt werden sollte. Nach Diskussionen mit diesen Lehrern und der kompetenten Unterstützung von Hidemi Totsuka von der Totsuka-ha Yoshin ryu und Kumon Hoshino von der Shiten ryu dachte ich mir Judo Katas aus, die auf Jujutsu Kunst basierten. Diese Judo Katas wurden, nach der Anerkennung durch ein Komitee von Jujutsu Meistern, schließlich durch die Butokukai für einen japanweiten Gebrauch zugelassen.
Später entwickelte ich eine grundlegende Shobu no kata, in die ich einige neue Techniken einbaute. Das Komitee aus Jujutsulehrern, das von Totsuka, Hoshino und mir geleitet wurde, beendete die acht Techniken im Sitz und die zwölf Standtechniken für die Kime no kata. Dies war, nebenbei bemerkt, die grundlegende Kata, von der aus die anderen Kodokan Katas entwickelt wurden. Aufbauend auf neu entwickelten Techniken und meinen eigenen vorangehenden Jujutsustudien, behauptete ich, dass die Kime no –kata nicht nur für die Praxis im Butokukai passend war, sondern auch für das Üben im Kodokan.
Meine ursprüngliche Katame no kata war ausgedacht für die Butokukai und umfasste 10 Techniken. Doch später fügte ich fünf weitere hinzu und diese überarbeitete Version erhielt schließlich die Zustimmung durch die Butokukai. Ich sah in der Katame no kata auch eine passende Übung für die Studenten des Kodokan. Nachdem die Nage no kata das Butokukai Komitee ohne jedwede Empfehlung für Änderungen passierte, wird sie heute in jeder Hinsicht als originale Kokokan Nage no kata betrachtet.

58. Ju no kata und Go no kata
Ju no kata ist keine repräsentative Kata des Butokukai sondern eine Kodokan Entwicklung, die sich sehr von den traditionellen Kata unterscheidet. Heute jedoch wird sie nicht nur im Kodokan geübt, sondern auch im Butokukai und an anderen Orten. Die Ju jo kata wurde um 1887 herum entwickelt. Durch das Üben dieser Kata kann man sehr viel Theorie des Judo lernen. Zum Beispiel lernt man die wirkliche Bedeutung der japanischen Weisheit „Judo yoku go o seisuru“ (Das Weiche und Nachgiebige überwindet das Harte und Starke). In der Frühzeit des Kodokan, als nur wenige Judo trainierten, konnte ich noch jeden Übenden während der Randori-Einheiten unterrichten, indem ich ihm an bestimmten Punkten Ratschläge gab, wie er seine Kraft am besten einsetzen sollte, um seinen Partner vorwärts, rückwärts oder wie auch immer zu bewegen. Weil aber die Anzahl der Übenden zunahm, wurde es bald zu einer unmöglichen Aufgabe für mich, jede einzelne Person zu betreuen. Als ein Ergebnis dieses Mangels an persönlicher Betreuung, stellte ich bald fest, dass eine zunehmend größer werdende Anzahl von Studenten unabsichtlich viel Energie damit verschwendeten, sich sowohl bei den Standtechniken als auch in Bodenkampfsituationen sinnlos zu verausgaben.
Um zu versuchen diese Tendenz abzustellen(2), entschied ich mich, Unterricht in der Theorie des Nachgebens (wörtl. Nicht-Widerstands) zu geben. Wenn mein Gegner mich drückt, gehe ich zurück; wenn ich gezogen werde, leiste ich keinen Widerstand, sondern gehe auf ihn zu. Indem ich dies mache, neutralisiere ich seine Kraft um ihn zu überwältigen und möglicherweise ihm gegenüber im Vorteil zu sein. Durch das Studium der Ju no kata durch meine Studenten war ich deswegen in der Lage, ihnen effektive Möglichkeiten aufzuzeigen, die offensiven Absichten des Gegners zu kontern. Darüber hinaus favorisierten oft diejenigen das Studium der Ju no kata, die aus welchen Gründen auch immer Randori zu anstrengend empfanden. Diese Kata ist geeignet, Studenten vorzuführen, wie man Gegner besiegt und ihre Arme und Beine ohne besondere Anstrengung bewegt. Durch das Üben der Ju no kata können solche Ziele erreicht werden. Dadurch werden harte und ermüdende Übungseinheiten vermieden und weil der Gegner nicht zu Boden geworfen wird ist auch das Üben auf einer Judomatte nicht notwendig. Daher kann man Ju no kata auch auf einem Holzfußboden oder sogar im Freien ausüben. Darüber hinaus muss der Ausübende auch nicht kräftig an Kragen oder Ärmel des Gegners ziehen, weswegen das Tragen eines Judoanzuges überflüssig wird. So kann man die Ju no kata trainieren, wenn man ganz gewöhnliche Alltagskleidung trägt, sogar in einem Businessanzug. Wenn der Gegner einen Schlag versucht, lernt man, wie man den Treffer am besten vermeidet. Sollte der Gegner ein Faust machen und angreifen, muss man dem Hieb zunächst ausweichen und dann den Arm des Angreifers in die Richtung seines Angriffs weiterführen, während man gleichzeitig die Gelegenheit nutzt, um volle Kontrolle über seinen Arm zu bekommen und ihn dadurch aus dem Gleichgewicht bringt. Durch die vollkommen entspannte Art der Ju no kata Ausführung lernt und übt man möglicherweise einiges aus der Kunst der Selbstverteidigung. (3)
Es gibt noch andere Vorteile, die möglicherweise erzielt werden. Nicht nur unter Judoexperten sondern auch bei der allgemeinen Bevölkerung wir die Ju no kata oft geübt. Viele sagen, dass sie körperliche Vorteile aus dem Üben für sich gewinnen. 1887 stellte ich nur 10 Ju no Kata Techniken zusammen, aber fügte später weitere fünf hinzu, so dass es schließlich 15 waren. Ergänzend zu der Ju no kata gibt es die Go no kata oder Go-Ju no kata, wie sie manchmal genannt wird. Dies ist eigentlich eine Kata, bei der man sich Kraft gegen Kraft kämpferisch ins Zeug legen muss, wonach einer der Übenden Nachgiebigkeit durch Kraft ersetzt, um zum abschließenden Erfolg über seinen Gegner zu kommen. Eine Zeit lang wurde diese Kata am Kodokan unterrichtet, aber da sie einige Techniken enthält, die derzeit als unbefriedigend beurteilt werden, wurde sie fallen gelassen. Ich glaube, es besteht Bedarf an einer grundlegenden Revision dieser Kata.(4)

[i](1) Der Dai Nippon Butokukai war die 1895 in Kyoto gegründete „Großjapanische Vereinigung der kriegerischen Tugenden“, also ein Zusammenschluss der in Japan vertretenden Disziplin der klassischen Kampfkünste. Niehaus schreibt dazu (2003, S. 58, Anm. 151) u.a.: „Als quasi-staatliche und deutlich nationalistisch ausgerichtete Organisation verschrieb sie sich der Aufgabe, die japanischen Kampfkünste unter ihrem Dach zu einen und zu fördern.“ Weiter schreibt Niehaus (2003, S. 80): „Bereits 1906 versuchte die Butokukai drei eigene Formen einzuführen, ein Versuch jedoch, der auf Widerstand von Seiten der einzelnen Schulen stieß. Erst 1912 gelang es einem Komitee aus 25 der bekanntesten Fechter unter der Führung von Kanetake Oura (1850-1918) und Jigoro Kano sich auf zehn Formen (sieben Langschwert und drei Kurzschwert-Formen) zu einigen.“Auf S. 222 schreibt Niehaus: „Schon 1906 hatte die Butokukai die Aufgabe übernommen, die für Kendo und Jujutsu dringend nötigen Ausbilder und Lehrer für die Schulen auszubilden und das „Ausbildungszentrum für die kriegerischen Künste“ gegründet. Auch vom Kodokan wurden Ausbilder an diese Institution gesandt….“
(2)Hier erkennt man, dass Kano Zeit seines Lebens in erster Linie ein (praktisch denkender) Pädagoge war. Er erkennt eine Schwäche im Lernen (Studium) seiner Schüler und anstatt sich darüber zu beklagen, denkt er über praktische Lösungen nach, die das Lernen erleichtern bzw. verbessern können. Ein weitere Stärke Kanos erkennt man ebenfalls: bei ihm war der Judounterricht eben nicht nur auf das Üben von Kata und Randori beschränkt, es gehörten auch theoretische Unterweisungen (auch während des Trainings!!) dazu. Kano hatte schon in seinem berühmten Vortrag vor der Großjapanischen Gesellschaft für Erziehung (Dai Nihon kyoikukai) am 21. Mai 1889 davon gesprochen, dass neben dem Studium von Kata und Randori auch Theorie durch Mondo (Frage und Antwort) und Kogi (Vorträge) zum Vermitteln des Judo gehören. (vgl. dazu: Niehaus „Zum Erziehungsgedanken im Judo des Jigoro Kano am Beispiel seiner Rede „Über Judo im Allgemeinen sowie sein Wert für die Erziehung“)
(3) Auch hier erkennt man Kanos Absichten als Erzieher: seine Studenten lernen nicht direkt durch „harte Konfrontation“ sondern eher indirekt „durch die vollkommen entspannte Art der Ju no kata Ausführung“ und bleiben dadurch beim Judo!
(4) Dies Aussage von Kano stammt aus der Zeit um 1925, als Kano also 65 Jahre alt war, viel auf Reisen war und vor allem seine hochrangigen Schüler die praktische Seite des Kodokan-Judo vertraten.
Zuletzt geändert von Jupp am 21.09.2009, 16:13, insgesamt 1-mal geändert.
katana
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von katana »

Ich sah in der Nage no kata auch eine passende Übung für die Studenten des Kodokan.
Das heißt, es gab sie also schon vorher und war keine Entwicklung des Kodokan,
womit die bisher diskutierten Zeitangaben bezgl. erster und "originaler" Technikausführungen
wohl überdacht werden müssten.
Jupp
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von Jupp »

Katana hat geschrieben:Das heißt, es gab sie also schon vorher und war keine Entwicklung des Kodokan,
womit die bisher diskutierten Zeitangaben bezgl. erster und "originaler" Technikausführungen
wohl überdacht werden müssten.
Ich kann jetzt nicht nachvollziehen, wie Du zu dieser Annahme kommst?

Ich habe aus den Übersetzungen bisher eigentlich immer nur herausgelesen, dass die Nage no kata eine originäre Entwicklung des Kodokan/von Kano ist und ohne Einwände durch den Butokukai sanktioniert, d.h. genehmigt wurde.
Was also soll es vorher gegeben haben?
Vor was?
Welche Zeitangaben meinst Du?
Worin siehst Du den Unterschied zwischen erster und "originaler" Technikausführung?

fragt

Jupp
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von tutor! »

katana hat geschrieben:
Ich sah in der Nage no kata auch eine passende Übung für die Studenten des Kodokan.
Das heißt, es gab sie also schon vorher und war keine Entwicklung des Kodokan,
womit die bisher diskutierten Zeitangaben bezgl. erster und "originaler" Technikausführungen
wohl überdacht werden müssten.
Fehlerteufel! Bei Watson heißt es (S. 80):

I also considered Katame-no-Kata a suitable practice for Kodokan students.
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von katana »

Hi Jupp und Tutor,
ihr habt Recht, ich muß meine Provokation zurückziehen.
es handelt sich tatsächlich um einen Fehler.
Habe bei der Gelegenheit auch die Originalpassage nachgeguckt
und bin der Meinung, daß der darauffolgende Satz bzgl. der Nage No kata
genauer übersetzt heißen müßte:
"Seitdem Nage No Kata vom Butokukai Komitee ohne Empfehlungen für Änderungen,verabschiedet wurde , ist sie heute (noch) in jeder Hinsicht die originale Kodokan Kata.

Die etwas veränderte Übersetzung, in Zusammenhang mit dem vorherigen Fehler (Katame)
hatte bei mir ein anderes Bild verursacht.
Ich gebe zu, ich hätte vorher selbst nachlesen können.
Manchmal bin ich einfach zu vertrauensseelig. ;)
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von Syniad »

katana hat geschrieben: Habe bei der Gelegenheit auch die Originalpassage nachgeguckt
und bin der Meinung, daß der darauffolgende Satz bzgl. der Nage No kata
genauer übersetzt heißen müßte:
"Seitdem Nage No Kata vom Butokukai Komitee ohne Empfehlungen für Änderungen,verabschiedet wurde , ist sie heute (noch) in jeder Hinsicht die originale Kodokan Kata.
Ich habe den Text nicht vorliegen, daher nur kurz: Steht da "since"? Das kann kausal verwendet werden. Der Kontext lässt vermuten, dass das gemeint ist (also: "Da NNK..").
Ist aber nur eine Vermutung, die ich ohne Textvorlage nicht verifizieren kann, ich gebe das also nur zu bedenken.
"Begriffe - Fehlschlüssel"
(E. Benyoëtz)
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von Jupp »

Danke Syniad. Ich habe den Fehler korrigiert.
Zum zweiten Hinweis:
Ich habe übersetzt: "Since Nage no kata was passed by the Budokukai Commtee..." mit ". "Nachdem die Nage no kata das Butokukai Komitee ohne jedwede Empfehlung für Änderungen passierte, wird sie heute in jeder Hinsicht als originale Kokokan Nage no kata betrachtet."

Ich denke, dass kann man so stehen lassen - oder was sagen die Englisch-Fachleute mit Judo-History-Hintergrund dazu?

Das Problem bei einer solchen Übersetzung, wie ich sie mache, besteht eben darin, dass sie hohen und höchsten linguistischen Ansprüchen möglicherweise nicht standhält. Dennoch sollte sie richtig sein, in dem Sinne, dass nichts wirklich inhaltlich und geschichtlich Falsches herauskommt.

Jupp
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von Jupp »

Noch einmal zu Syniads Übersetzung. Deine Übersetzung drückt etwas anderes aus als meine.
Bei Dir würde ich als Hauptgedanken herauslesen: "Die Nage no kata ist nach wie vor unverändert."
Bei mir lag der gedankliche Schwerpunkt der Übersetzung darauf festzustellen, dass es sich um eine Kodokan-kata handelt und nicht um etwas, was die Butokukai entwickelt hatte.
Dieser Gedanke hatte sich mir während der Übersetzung als "Stimmung" des Textes aufgedrängt, nämlich, dass Kano zwar mit der Butokukai (aus politischen und vielleicht auch historischen Gründen) zusammenarbeitete (musste??), eigentlich aber lieber unabhängig gewesen wäre. Und daher besonders stolz darauf war, dass es eine im Kodokan entwickelte Kata geschafft hatte, ohne Änderungen die Butokukai zu durchlaufen. Daher habe ich versucht, dies bei der Übersetzung auch "durchklingen" zu lassen, ohne falsch zu übersetzen.

Jupp
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Fritz
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von Fritz »

@Jupp: Siehst Du, genau das ist das Problem. Im englischen Text steht "since" - was mehrere Bedeutungen
hat, Du wählst Dir eine aus, weil sie _Deiner_ Interpretation entspricht.
Damit verfälscht Du möglicherweise die Originalaussage...
Bei korrekter Übersetzung sollte also an solchen Stellen eine Fußnote kommen
(kam ja dann sozusagen indirekt durch die Folgebeiträge),
welche auf solcherart "Unschärfe" hinweist
- ich hatte es, glaube ich, in syniads Lesart wahrgenommen, also im Sinne von "weil" ;-)

Nun ist natürlich die Frage, was im japanischen Originaltext steht?
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von tutor! »

Fritz hat geschrieben:Nun ist natürlich die Frage, was im japanischen Originaltext steht?
Richtig, wobei "nachdem", "weil" oder "da" durchaus auch synonym verstanden werden können. Eine andere Möglichkeit wäre auch "demzufolge". Wobei es einen subtilen Unterschied zwischen "nachdem" (Kausalzusammenhang) und "nach dem" (zeitliche Abfolge ohne Kausalität) gibt. Hier findet leider derzeit eine Verarmung der deutschen Sprache statt.....

Die Frage für mich ist aber grundsätzlicherer Natur: "Wie wörtlich dürfen wir derartige Texte verstehen?" Im Konkreten haben wir:
- eine mündliche Erzählung rund 2 Jahrzehnte nach den betreffenden Ereignissen
- eine japanische Verschriftlichung (mutmaßlich Bungo, also das ältere Japanisch)
- eine Transkription in modernes Japanisch
- eine Übersetzung ins Englische
- von dort ins Deutsche

Missverständnisse sind eigentlich nur dann wirklich zu verhindern, wenn jeder Beteiligte auf jeder Stufe genau unsere Fragestellungen im Blick hatte. Da dies aber eher unwahrscheinlich ist, plädiere ich für eine gewisse Gelassenheit gegenüber Einzelformulierungen bei übersetzten Texten.

Mir ist aber etwas anderes aufgefallen. Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber ich lese eine gewisse Betonung der Eigenständigkeit des Kodokan gegenüber der Butokukai heraus. Was wiederum genau in die Zeit Mitte/Ende der 1920er Jahre passt....
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von Reaktivator »

Fritz hat geschrieben:Nun ist natürlich die Frage, was im japanischen Originaltext steht?
@"Fritz": Ich glaube, das willst Du gar nicht wirklich wissen...

...denn aufgrund der o.a. Diskussion um diesen einen Satz habe ich mir nun auch dieses Kapitel (mit der Nr. 57 bei Watson) einmal angesehen - zuerst die "Jupp"sche Übersetzung, dann den Watson-Text, und dann das japanische Original.

Das Ergebnis ist niederschmetternd: "Jupp" hat das Englische zwar schön brav ins Deutsche übersetzt - aber der englische Text hat an manchen Stellen so gut wie gar nichts mehr mit dem Originaltext zu tun.

Da ist die o.a. Diskussion über ein eher temporal oder eher kausal zu verwendendes Wörtchen "since" vertane Energie auf einem absoluten Nebenkriegsschauplatz...

Aus Zeitgründen sehe ich mich im Moment nicht in der Lage, nun auch hier den englischen und japanischen Text abzuschreiben (und zu übersetzen) und gegenüberzustellen.

Aber ähnlich wie das oben erwähnte Holzschwert werden auch hier geflissentlich diverse Dinge einfach hinzugedichtet,
- angefangen mit irgendwelchen Studenten und irgendwelchen Übungen (für eben diese - eigentlich gar nicht vorhandenen - Studenten), über
- überhaupt nicht vorhandene zeitliche Zusammenhänge (Das "Später entwickelte ich eine grundlegende Shobu no kata" entpuppt sich als "Deshalb fertigte ich selbst einen Entwurf an".);
- aus einer "ursprünglichen" Kodokan-Kata wird eine "grundlegende" (E: "basic") Kata - dazu noch eine, "von der aus die anderen Kodokan Katas entwickelt wurden"!!?? Ein derartiger Blödsinn steht im Originaltext mit keiner Silbe.

Die Liste ließe sich fortsetzen - indes: mir fehlt die Zeit (s.o.).
Und deshalb habe ich mir das folgende Kapitel (mit der Watsonschen Nr. 58) auch erst gar nicht angesehen...
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von Reaktivator »

.
Kleiner Nachtrag noch:

Auf der Suche, ob nicht zufällig schon irgendwo eine Übersetzung besagter Passage existiert, hatte ich übrigens auch kurz einen Blick in die Dissertation von Niehaus geworfen ...

... bloß um dann feststellen zu müssen, daß er in dem Kapitel über die Kata die Festlegung der Kime no kata ins Jahr 1907 legt, die der Nage no kata und Katame no kata hingegen jeweils beide in 1884/1885.
Daß er dann auch noch im gleichen Abschnitt auf der gleichen Seite (S. 243) aus dem bekannten Judo-Historiker Maruyama einen gewissen Murayama macht, gibt noch zusätzlich zu denken...

Und was folgern wir daraus?

Ich möchte keineswegs Niehaus' Dissertation schlecht machen. Ebenso wenig wie ich per se Watsons Buch diskreditieren möchte (Ich habe ja bislang nur besagte zwei kleine Abschnitte mit dem Originaltext verglichen.)

Ich möchte aber davor warnen, jedes einzelne Wort auf die Goldwaage zu legen.

"tutor!" hat ja bereits oben einige Gedanken zur grundsätzlichen Übersetzungsproblematik geäußert. Hinzu kommt, daß man sich natürlich auch immer die Frage stellen muß, an welchen Leserkreis sich eine Publikation richtet und welche Hauptintention damit verfolgt wird.
(So spielt ja z.B. die genaue Jahreszahl der Festlegung einzelner Kata für die von Niehaus untersuchte Fragestellung überhaupt keine Rolle, und folgerichtig handelt es sich bei besagter Passage auch nur um eine Marginalie ohne Bedeutung für den Gesamtkontext. Und "Murayama" statt "Maruyama" wird nur ein simpler Tippfehler sein, wie er uns allen leider immer wieder unterläuft und wogegen man auch durch doppeltes Korrekturlesen nicht gefeit ist...)

Wenn man also nicht mit der Lupe nach der Stecknadel im Heuhaufen sucht, sondern die Bücher so liest, wie sie gedacht sind, wird man auf alle Fälle Gewinn daraus ziehen können - aus Niehaus' Buch genauso wie sicherlich auch aus Watsons.
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Re: Judo Memoirs of Jigoro Kano by Brian N. Watson

Beitrag von Syniad »

Jupp hat geschrieben: Ich habe übersetzt: "Since Nage no kata was passed by the Budokukai Commtee..." mit ". "Nachdem die Nage no kata das Butokukai Komitee ohne jedwede Empfehlung für Änderungen passierte, wird sie heute in jeder Hinsicht als originale Kokokan Nage no kata betrachtet."

Ich denke, dass kann man so stehen lassen - oder was sagen die Englisch-Fachleute mit Judo-History-Hintergrund dazu?
Auch wenn es nur ein Nebenschauplatz ist, beantworte ich die Frage noch aus Sicht einer cand. phil., allerdings ohne großes Hintergrundwissen und leider auch ohne den Text vorliegen zu haben, also mit einem kräftigen Caveat: Im Englischen ist in dem Satz, so wie er da steht, die kausale Tendenz vorrangig. Man würde bei dieser Zeitform den temporalen Aspekt ansonsten eher hervorheben, z. B. über "Ever since". Katanas "Seitdem"-Übersetzung passt daher nicht.
Mit dem "nachdem" kann ich prima leben :D , da ich das -wie tutor!- als durchaus mit einem kausalen Beiklang versehen betrachte.

Gruß,
Sonja
"Begriffe - Fehlschlüssel"
(E. Benyoëtz)
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