Das Wörtchen "Sport" - eine geschichtliche Betrachtung

Hier geht es um die Geschichte und um Traditionen des Judo
tutor!
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Re: Das Wörtchen "Sport" - eine geschichtliche Betrachtung

Beitrag von tutor! »

Fritz hat geschrieben:Zum Thema Sportbegriff: Auf der einen Seite haben wir da die wissenschaftlichen Betrachtungen,
die tutor! sich zu eigen gemacht hat, auf der anderen Seite das, was
wir (also "das einfache Volk" ) darunter verstehen.
Nun ja - ich hab mir den Begriff nicht mit diesem Verständnis zu eigen gemacht, sondern nin mit ihm so aufgewachsen. Aber ich hab den Post gerade deshalb geschrieben, damit die begriffliche Basis klarer werden kann.
Fritz hat geschrieben:Und da gibt es halt im wesentlichen zwei Sichtweisen: "Fitness, Gesundheit u.ä." u. "Der beste sein".
Letztere ist die, die den Kindern mitgegeben/eingeredet wird (von wem und wozu auch immer),
die andere kommt dann meist etwas später zum Tragen, wenn es mit dem Gewinnen nicht so geklappt hat ;-)
Leider wird ja Judo immer mehr als "Kindersport" verunglimpft (sogar vom DJB selbst ;-) ),
welche Sichtweise da vorherrscht ist ja klar...
Dem Muss ich ein wenig widersprechen. Es gibt eine klare Aufgabenteilung zwischen den Bundesfachverbänden und den Landesfachverbänden. Diese gilt für alle Sportarten und ist Teil der Struktur unserer Sportorganisationen.

Ein Bundesverband ist danach für den Leistungssport zuständig, die Landesverbände für den sogenannten Breitensport (fürchterliches Wort!). Die ÜL/Trainer-Ausbildung auf der "C"-Stufe ist deshalb auch an die LVs delegiert, ebenso wie das Prüfungswesen. Für beide Bereiche definiert der DJB lediglich einen Rahmen, um halbwegs Einheitlichkeit herzustellen.

Du kannst mir glauben, dass die DJB-Spitze - namentlich Peter Frese - heilfroh darüber wäre, wenn die Landesverbände in ihrem Aufgabenbereich effektiver arbeiten und dem Judo in der Breite mehr Impulse geben würden. Vor allem im Erwachsenenbereich! Dem DJB vorzuwerfen, dass die Landesverbände zum Teil ihren Aufgaben nur sehr mäßig nachkommen, ist nicht fair.
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Hofi
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Re: Das Wörtchen "Sport" - eine geschichtliche Betrachtung

Beitrag von Hofi »

Hi!
Wettkampf sollte, zumindest in meinen Augen, in seiner Bedeutung nicht viel mehr sein, als eine gute Traningseinheit. Dass versuche ich meinen Jungs und Mädels auch immer beizubringen, dass mir nicht der Platz, sondern der Einsatz und die gezeigte Leistung wichtig ist. Wenn jemand, der sein bestes gegeben hat, und trotzdem letzter wird, bin ich auf den stolzer als auf einen, der sich mit einer für ihn miserablen Leistung doch noch ne Medaille geholt hat.
Dass man in einen Wettkampf natürlich nicht mit der Einstellung reingehen sollte, dann lass ich mich halt werfen, sondern der Wille zum Sieg da sein muss, ist klar, denn sonst bringt die Trainingseinheit nichts. Und dass ein Sieg mehr Spaß macht, als eine Niederlage ist auch klar, wobei der Lerneffekt aus Niederlagen potentiell höher ist.

Was nun die SV angeht, bin ich immer gespalten. Natürlich müssen und sollen wir diese Techniken trainieren, denn sie sind teil des Judo, dass wir alle schätzen. Aber sie als den (fast) einzigen und obersten Inhalt des Judo zu betrachten, taugt mir einfach nicht. Obwohl ich selbst einige Zeit auf Veranstaltungen als Ordner war, bin ich eigentlich nur einmal in eine Situation geraten, in der ich ernsthaft eingreifen musste, Angriffe gegen mich gab es einfach nie. Selbst wenn ich irgendwo nachts im Ausland (z.B. Mexiko) unterwegs war, bin ich nie in Schwierigkeiten geraten, so dass für mich einfach die "Gefahrenlage", die eine effektive SV als wichtigsten Punkt des Judo in der heutigen Zeit begründen würde, nicht da ist.
Bis dann
Hofi
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Heimat ist dort, wo man von der Dorfbevölkerung, die einen duzt, gelyncht wird.
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Fritz
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Re: Das Wörtchen "Sport" - eine geschichtliche Betrachtung

Beitrag von Fritz »

tutor! hat geschrieben:Vor allem im Erwachsenenbereich! Dem DJB vorzuwerfen, dass die Landesverbände zum Teil ihren Aufgaben nur sehr mäßig nachkommen, ist nicht fair.
Ich hab in meinem Beitrag niemandem etwas vorgeworfen
(ausgenommen das "Verunglimpfen" des Judo als Kindersport),
ich habe nur meine Beobachtung bzgl. der "Allerwelts-Auffassung" des Sportbegriffes kundgetan.
Mit "welche Sichtweise da vorherrscht ist ja klar..." meinte ich die Sichtweise auf den Sportbegriff -
denn leider wird gerade im Kinderbereich oft versucht,
über "Gewinnen" und "Medaille/Pokal bekommen/auf dem Treppchen stehen" zu motivieren
- von wem habe ich offen gelassen...
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Re: Das Wörtchen "Sport" - eine geschichtliche Betrachtung

Beitrag von tutor! »

Fritz hat geschrieben:
tutor! hat geschrieben:Vor allem im Erwachsenenbereich! Dem DJB vorzuwerfen, dass die Landesverbände zum Teil ihren Aufgaben nur sehr mäßig nachkommen, ist nicht fair.
Ich hab in meinem Beitrag niemandem etwas vorgeworfen
(ausgenommen das "Verunglimpfen" des Judo als Kindersport),
ich habe nur meine Beobachtung bzgl. der "Allerwelts-Auffassung" des Sportbegriffes kundgetan.
Mit "welche Sichtweise da vorherrscht ist ja klar..." meinte ich die Sichtweise auf den Sportbegriff -
denn leider wird gerade im Kinderbereich oft versucht,
über "Gewinnen" und "Medaille/Pokal bekommen/auf dem Treppchen stehen" zu motivieren
- von wem habe ich offen gelassen...
Stimmt - da muss ich mich bei Dir entschuldigen. Wir stimmen aber sicher darin überein, dass derartige Vorwürfe häufiger erhoben werden, oder?
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Re: Das Wörtchen "Sport" - eine geschichtliche Betrachtung

Beitrag von Lin Chung »

Selbst wenn ich irgendwo nachts im Ausland (z.B. Mexiko) unterwegs war,
...hallo Hofi, jetzt nur mal so zum Spaß, wenn dein Avatar dir ähnlich sieht, würde man dich dort für einen der ihren halten. :D
Grüße
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Beitrag von HBt »

Tutor hat geschrieben: (..) Wir stimmen aber sicher darin überein, dass derartige Vorwürfe häufiger erhoben werden, oder?
Ja stimmen wir; sie sind besser auf Landesebene und den Untergliederungen, zu den Vereinen bis hin zu jedem Einzelnen, aufgehoben.
In der heute verbreiteten Praxis: ja! Im Sinne der Grundgedanken von Judo: NEIN!
Randori ist kein Kampf um das Ergebnis. Shiai schon.
Aber das Ergebnis alleine darf nicht das Ziel sein, sondern das Judo insgesamt (einschl. der Wettkampfergebnisse) muss in einen Prozess der Persönlichkeitsentwicklung eingebunden sein.
(..)
Aber die Lektionen, die ich aus dem Wettkampf gezogen habe, sind Teil meiner Persönlichkeit, z.B. in der Art und Weise, wie ich mich auf schwierige Aufgaben vorbereite.
(..)
vielleicht waren gerade auch Misserfolge Anlässe, die mich über eine besser Vorbereitung haben nachdenken lassen.
Wettkampf und seine Bedeutung wird heute genauso oft falsch verstanden, wie Randori. Leider!
Lieber Tutor,
wieder volle Zustimmung von meiner Seite; jetzt können wir auch abschließend zugeben, dass Kodokan Judo umfassender ist als es ein profaner Sport je sein könnte. Ein Teil ist Sport, aber nur ein sehr kleiner ... "in der Breite mehr Impulse geben"

Gruß
Helge
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Re: Fairness (die Ebene/n beachten)

Beitrag von tutor! »

HBt hat geschrieben:Lieber Tutor,
wieder volle Zustimmung von meiner Seite; jetzt können wir auch abschließend zugeben, dass Kodokan Judo umfassender ist als es ein profaner Sport je sein könnte. Ein Teil ist Sport, aber nur ein sehr kleiner ... "in der Breite mehr Impulse geben"

Gruß
Helge
Es ist wieder eine Frage, des Begriffsverständnisses: Haben wir ein enges Begriffsverständnis, dann hast Du vollkommen recht.

Haben wir ein umfassenderes Begriffsverständnis müsste ich umformulieren:

"Keine andere Sportart deckt nach meiner Meinung mehr Sinndimensionen und ethisches Aspekte des (umfassend verstandenen) Sports ab, als Judo." Judo ist unter den Sportarten deshalb eine ganz besondere! Andere Sportarten lassen viel vermissen und ich hoffe, dass sich das Judo diesen Sportarten niemals annähern wird.

Aber ich habe nie etwas anderes behauptet, insofern ist nichts zuzugeben, sondern ich freue mich, dass wir uns verstehen.

Es mag sich vielleicht jetzt anhören wie Haarspalterei, ist es aber nicht. Ich glaube nämlich, dass vor allem aufgrund von unterschiedlichem Sprachverständnis in der Vergangenheit viele Leute aneinander vorbei geredet haben, obwohl sie eigentlich sehr ähnlicher Auffassung sind.

Insofern machen auch Begriffsschöpfungen wie Judosport oder Sportjudo keinen Sinn, weil ein bestimmtes - eingeschränktes - Sportverständnis impliziert ist und dieses Sportverständnis auf das Judoverständnis quasi übertragen wird. Hierdurch wird nur unnötig über Sprache polarisiert und der "Sportjudoka" als eingeschränkter Judoka dargestellt. Das einzige, was aber (nicht wertend gemeint) eingeschränkt ist, ist der Sportbegriff derer, die den Begriff "Sportjudo" im Sinne eines reduzierten Judo verwenden, denn der "Sportjudoka", der sich als "Sportler" fühlt, kann durchaus ein umfassenderes Verständnis von Sport im allgemeinen und Judo im Besonderen habe.

Ich kann aber auch Judoka sein und mich nicht als Sportler fühlen, weil für mich Sport in seiner historischen Begriffsbedeutung auf Leistung und Sieg reduziert ist und ich das Judo im Gegensatz dazu als Weg meiner Persönlichkeitsentwicklung betrachte. In diesem Sinn kann ich als Judoka ein leidenschaftlicher Sportkritiker sein (so wie das viele Sportpädagogen ja auch sind!)

Die Absicht dieses Threads war es in erster Linie, das Begriffsverständnis ein wenig abzugleichen und eine Brücke zu bauen. Wenn ich den Faden schließen könnte, würde ich es an dieser Stelle tun: Ziel erreicht :D
Zuletzt geändert von tutor! am 01.10.2008, 21:50, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Das Wörtchen "Sport" - eine geschichtliche Betrachtung

Beitrag von Lin Chung »

Randori ist kein Kampf um das Ergebnis. Shiai schon.
...um was geht es denn dann im Randori? Man will auch hier Ergebnisse sehen.
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Re: Das Wörtchen "Sport" - eine geschichtliche Betrachtung

Beitrag von tutor! »

Lin Chung hat geschrieben:
Randori ist kein Kampf um das Ergebnis. Shiai schon.
...um was geht es denn dann im Randori? Man will auch hier Ergebnisse sehen.
Wenn Du eine gelungene Aktion als Ergebnis betrachtest schon und in vielerlei anderer Hinsicht auch.

So habe ich es aber nicht gemeint. Ich meinte Ergebnis im Sinne von Sieg oder Niederlage.
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Schlusswort

Beitrag von Reaktivator »

tutor! hat geschrieben:Insofern machen auch Begriffsschöpfungen wie Judosport oder Sportjudo keinen Sinn, weil ein bestimmtes - eingeschränktes - Sportverständnis impliziert ist und dieses Sportverständnis auf das Judoverständnis quasi übertragen wird. Hierdurch wird nur unnötig über Sprache polarisiert und der "Sportjudoka" als eingeschränkter Judoka dargestellt. Das einzige, was aber (nicht wertend gemeint) eingeschränkt ist, ist der Sportbegriff derer, die den Begriff "Sportjudo" im Sinne eines reduzierten Judo verwenden, denn der "Sportjudoka", der sich als "Sportler" fühlt, kann durchaus ein umfassenderes Verständnis von Sport im allgemeinen und Judo im Besonderen habe.
@"tutor!": Ich glaube, damit hast Du vielen Forenteilnehmern aus der Seele gesprochen!
:danke
tutor! hat geschrieben:Die Absicht dieses Threads war es in erster Linie, das Begriffsverständnis ein wenig abzugleichen und eine Brücke zu bauen. Wenn ich den Faden schließen könnte, würde ich es an dieser Stelle tun
Sehe ich auch so. Eigentlich ein sehr gutes Schlusswort!
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Re: Das Wörtchen "Sport" - eine geschichtliche Betrachtung

Beitrag von Lin Chung »

Falls es hier auf den Begriff Kampfkunst abzielt:

Ein Kampfkünstler kann durchaus auch als Sportler gesehen werden, aber ein Sportler noch lange nicht als Kampfkünstler.
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Re: Das Wörtchen "Sport" - eine geschichtliche Betrachtung

Beitrag von tom herold »

... gutes Argument, Lin Chung!

Nun stellen wir uns doch mal ganz dumm und fragen so: was gehört zum Jûdô?
Gehören Atemi-Waza zum Jûdô?
JA.

Gehören die Kyusho-Waza zum Jûdô?
JA.

Gehören die Buki-Waza zum Jûdô?
JA.

Gehören die Renko Ho zum Jûdô?
JA.

usw. usw. usw.

Und nun eine weitere Frage: welcher SPORT-Judoka (doch, doch, die gibt es!) hat in seiner Laufbahn schon mal ein Schwert in der Hand gehalten? Ich meine - nicht damit herumgefuchtelt, sondern sinnvoll trainiert, und zwar im Rahmen des Jûdôtrainings (und nicht beim Kendô!)?
Nun kann man ja behaupten, die Handhabung des Schwertes sei im Jûdô nicht wichtig oder komme gar nicht vor.
Ich lasse das mal unkommentiert.

Weitere Frage: welcher SPORT-Judoka hat sich ausführlich mit den Atemi-Waza des Jûdô befaßt (nein, nicht mit irgendwelchen Schlagtechniken anderer Stile), und zwar so gründlich, daß er sie anwenden kann, daß er sie lehren kann?
Es gibt zwar einige, die das behaupten, allein der Beweis steht nach wie vor aus ...
Und das ist sehr schade.

Da es nun aber so ist, daß SPORT-Judoka in der Regel außer Wurftechniken und Bodentechniken nichts weiter in ihrem Training praktizieren, sollte man doch mit Fug und Recht davon sprechen dürfen, daß sie ein eingeschränktes Jûdô betreiben.
Natürlich kratzt das am Selbstwertgefühl der Betroffenen, das steht außer Frage.
Das jedoch wegdiskutieren zu wollen, indem man jenen, die darauf hinweisen, ein "eingeschränktes Verständnis des Begriffs Sport" unterstellt, macht die Sache nicht besser.

Nochmal: ob "Breitensportler" oder "Top-Athlet", viele Lehrinhalte des Jûdô sind beiden Gruppen kaum noch oder gar nicht mehr bekannt und werden auch nicht im Training praktiziert.
Wie soll man das denn nennen, wenn man den Begriff "eingeschränkt" nicht verwenden darf?
Ich kann mich nicht erinnern, irgendwo in Deutschland jemals gesehen zu haben, daß eine beliebige Jûdô-Trainingsgruppe gezielt und kollektiv bspw. mit dem Jô übt.
Oder mit dem Hanbô.
Oder ... oder ...

Das sind Tatsachen, nicht etwa mein böser Wille.

Da aber offensichtlich die Absicht besteht, die Debatte zu beenden, möchte ich mir erlauben, dazu Kano zu zitieren.
Zur Frage, ob Jûdô ein Sport sei, sagt er:
„This question is put in various forms, but I will present the two extremes. There are those who attack competitive sports and say that since in Japan we have our martial arts (Bûjûtsu) which are excellent for either spiritual education or physical education, or both, so what necessity is there for all the problems which will be in becoming enthusastic to import sports ? If we practise our own indigenous Bûjûtsu arts, then we shall be encouraging the spirit of the Japanese people in a natural way, and it will also be a training in virtue. But the import of foreign sports will naturally affect the spirit too, and perhaps we should end up as foreigners. Then again there are others who point to the good aspects of sports and say that Jûdô itself should be popularized as a form of competitive sports, and that it must be completely reduced in its practice to a form of contest, like sports of other kinds. Neither of these ideas is correct, and one can suspect that each of the two sides has set out with some definite assumptions of what the relation between Jûdô and other sports ought to be. As I have often explained, Jûdô is a Way which has great universality. In the variety of its application, there are many different aspects from the point of view of martial arts, or physical education, or cultivation of intelligence and virtue, and also methods of application in daily life. Competitive sport is a kind of sport where it is a struggle for victory, and by that alone there is a natural training of the physical body. It is also a system of moral culture. If competitive sport is pursed correctly along these lines, it does have a great effect in physical and psychological training, and there is no quarrel about this. But the object of competitive sport is a simple and narrow one, whereas the objective of Jûdô is complex and wide. Competitive sport pursues only one part of the objective of Jûdô. Of course, Jûdô can be treated simply as a competitive sport, and it may be all right to do so. but the ultimate objective of Jûdô cannot be attained in that way. So while we recognize that there is a demand these days to treat Jûdô on the lines of a competitive sport, on the other hand we must not forget what the real essence of Jûdô is and where it lies.“ (KANO Jigoro „What we learn from Jûdô“ in : Trevor Legget „The Spirit of Budô“ S. 99)
Vielleicht abschließend noch dies:
„Ich bin verschiedentlich gefragt worden, ob Jûdô möglicherweise in die Reihen der olympischen Disziplinen aufgenommen werden sollte. Ich würde es bevorzugen, mich dazu eher nicht zu äußern. Wenn einige Mitglieder (des IOC) dies wünschen, werde ich keine Einwände erheben. Ich fühle mich jedoch in keiner Weise veranlaßt, in dieser Hinsicht irgendwie aktiv zu werden. Zum einen ist Jûdô in Wahrheit alles andere als ein Sport oder ein Spiel. Ich schuf es als ein Lebensprinzip, als Wissenschaft, als Kunst. Es dient in der Tat der eigenen, auch kulturellen Vervollkommnung. Nur eine einzige Form des Jûdôtrainings, das Randori, könnte eventuell als eine Form des Sports angesehen werden.“ (KANO Jigoro in: „Budôkwai Bulletin“, veröffentlicht im April 1947)
Und zur Frage des Sports, der sich ja über einen künstlich geschaffenen Konflikt definiert, in dem es nur einen Sieger geben kann (Wettkampfgedanke):

Unter Wettkampf verstand KANO Jigoro bspw. etwas anderes als das, was dieser Begriff im westlichen Sinne beschreibt. Es ging ihm nicht vordergründig um Sieg oder Niederlage, vielmehr legte KANO besonderen Wert auf die Möglichkeit, durch den Sport die Ausbildung einer sittlichen Grundhaltung (Dotoku) zu befördern. Wettkämpfe, die nur darauf fokussiert waren, in einer bestimmten Disziplin den Sieger zu ermitteln, lehnte er ab:
„ ... folglich kommt den Wettkämpfen ein vergleichsweise geringer Wert zu, löst man sie von der Ausbildung der Sittlichkeit (Dokusei no kanyo).“ (KANO Jigoro in : „Das Ziel der Wettkämpfe und die Methode der Umsetzung“, Tokyo 1925)
Ich denke, daß damit die unterschiedlichen Standpunkte deutlich geworden sind.
Eine Angleichung scheint es dabei leider nicht geben zu können.
Das, was unter dem Begriff der "olympischen Disziplin Judo" verstanden wird, ist nun einmal etwas grundsätzlich anderes als das, was Kano unter dem Begriff "Jûdô" verstand.

Daher benutzen wir weitgehend die gleichen Begriffe, müssen aber immer wieder feststellen, daß sie einen unterschiedlichen Sinngehalt besitzen.
Von daher denke ich, daß es ein fruchtloses Unterfangen ist, die seriöse Kampfkunst Jûdô und die moderne Sportart Judo miteinander vergleichen zu wollen.
Es ist mir bewußt geworden, daß man sie nicht einmal gegeneinander aufwiegen kann, da es sich um gänzlich unterschiedliche Dinge handelt.
Letztlich muß jeder selbst entscheiden, ob er die Sportart Judo ausübt (mit allem was dazugehört und vor allem ohne das, was nicht dazugehört) oder ob er sich der Kampfkunst Jûdô in all ihren Aspekten widmet.

Ich persönlich bezweifle, daß man beides haben kann. Ich persönlich bezweifle auch, daß wir uns gegenseitig wirklich ZUHÖREN (ich schließe mich da nicht aus!).
Aber prinzipiell ist das nicht wichtig. Die ganze Streiterei hier ist von einer erschreckenden Belanglosigkeit ...
Ich werde mich nicht weiter daran beteiligen, ich wollte es mir nur nicht nehmen lassen, durch die von mir hier beigesteuerten Kano-Zitate den Standpunkt der "Ultra-Traditionalisten" noch einmal deutlich zu machen.
Mehr ist dazu nicht zu sagen.

Tom
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Re: Das Wörtchen "Sport" - eine geschichtliche Betrachtung

Beitrag von tutor! »

tom herold hat geschrieben:.But the object of competitive sport is a simple and narrow one, whereas the objective of Jûdô is complex and wide. Competitive sport pursues only one part of the objective of Jûdô. Of course, Jûdô can be treated simply as a competitive sport, and it may be all right to do so. but the ultimate objective of Jûdô cannot be attained in that way. So while we recognize that there is a demand these days to treat Jûdô on the lines of a competitive sport, on the other hand we must not forget what the real essence of Jûdô is and where it lies.“ (KANO Jigoro „What we learn from Jûdô“ in : Trevor Legget „The Spirit of Budô“ S. 99)
Ich muss mich dafür entschuldigen, dass Du offensichtlich nicht verstanden hast, was ich geschrieben habe.

Wenn Kano über Sport schreibt, dann tut er das aus dem Begriffsverständnis seiner Zeit heraus. Wenn man dieses Begriffsverständnis zu Grunde legt, kann es keine unterschiedliche Meinung geben.

Der allgemeine Sprachgebrauch hat sich jedoch gewandelt und wir müssen heute feststellen, dass der Begriff "Sport" in weiten Kreisen:
- anders definiert ist als zu Kanos Zeit,
- häufig aber sehr schwammig und nicht abgegrenzt verstanden wird.

Von daher ergibt sich ein semantisches, kein inhaltliches Problem. Es gibt nun einmal Begriffe, mit denen schwierig umzugehen ist und Verständigung ist nur möglich, wenn man sich über die jeweils unterschiedlichen Bedeutungen bewusst ist. Der Begriff "Sport" gehört aufgrund seines historisch bedingten Bedeutungswandels dazu. Kanos Äußerungen sind einfach zu verstehen, weil er keinen Zweifel daran lässt, welches Begriffsverständnis seinen Äußerungen zu Grunde liegt.

UPDATE wegen zeitgleichem Posting (gekürzt):
tom herold hat geschrieben: ich wollte es mir nur nicht nehmen lassen, durch die von mir hier beigesteuerten Kano-Zitate den Standpunkt der "Ultra-Traditionalisten" noch einmal deutlich zu machen.
Apropos Kano Zitat: Das Zitiat, in dem er sich zu Judo als olympische Diszilpin äußert, habe ich erstmals in einer Judo-Revue gelesen. Redakteure Mahito Ohgo und Ulrich Klocke. Vielleicht kann Ulrich den genauen Beitrag, Datum und Verfasser herausfinden (ich habs nicht mehr). Es gibt an der Stelle keinen inhaltlichen Dissens!
Zuletzt geändert von tutor! am 02.10.2008, 10:52, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Das Wörtchen "Sport" - eine geschichtliche Betrachtung

Beitrag von tom herold »

... um das abzuschließen, lieber Tutor: wenn es um Jûdô geht, ist mir Kanos klares Verständnis des Begriffs "Sport" allemal lieber als jenes heutige, von dem du schreibst, es sei
... häufig aber sehr schwammig und nicht abgegrenzt ...
.

Der "allgemeine Sprachgebrauch" mag sich gewandelt haben (oder auch nicht).
Ich persönlich (Achtung: Meinung!) lehne es ab, Jûdô einem heutzutage eher beliebig gewordenen, unklaren, nicht abgegrenzten "Sportbegriff" zu unterwerfen.
Für mich gilt, was Kano dazu schrieb - und ich persönlich (Achtung: Meinung!) kann nicht erkennen, wo die Abgrenzung, die Kano in Bezug auf das Jûdô und den Sport vornahm, aufgehoben wäre.
Ansonsten bleibt es natürlich jedem selbst überlassen (ich sagte es bereits), das Jûdô, welches er ausübt, für das "richtige" zu halten.

Ich wiederhole, daß es mir persönlich nicht (mehr) sinnvoll erscheint, Jûdô als Kampfkunst und Sportjudo miteinander zu vergleichen.
Die Inhalte sind einfach zu unterschiedlich - unabhängig vom jeweiligen Verständnis des Begriffs "Sport".

Tom
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Re: Das Wörtchen "Sport" - eine geschichtliche Betrachtung

Beitrag von tutor! »

tom herold hat geschrieben: Für mich gilt, was Kano dazu schrieb - und ich persönlich (Achtung: Meinung!) kann nicht erkennen, wo die Abgrenzung, die Kano in Bezug auf das Jûdô und den Sport vornahm, aufgehoben wäre.
Ich auch nicht - und das ist das, was mich so bescheicht - ein semantisches und kein inhaltliches Problem. Wenn wir diese Diskussion aber unter Verwendung derselben Begrifflichkeiten in andere Kontexte mit anderem Begriffsverständnis übertragen, dann sind Missverständnisse und Missinterpretationen vorprogrammiert. Damit relativiert sich ein wenig meine letzte Ergänzung wegen erneuter Parallelität. Ich werde sie gleich wieder löschen.
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Re: Das Wörtchen "Sport" - eine geschichtliche Betrachtung

Beitrag von tom herold »

Lieber Tutor, vielleicht kommen wir doch ein wenig weiter als sonst - sollte mich freuen.

So weit ich das bis jetzt verstanden habe, ist es also durchaus möglich, daß wir bisher aneinander vorbeigeredet haben, weil beide Seiten nicht gut genug zugehört hatten.
Sollte das so sein, kann man es ja möglicherweise ändern.

Um meine Sicht der Dinge noch einmal zusammenzufassen: ich persönlich bin sehr dafür, Jûdô in all seinen Facetten zu praktizieren.
Ja, dazu gehört auch der (sportliche) Wettkampf.
Mir gefällt nur nicht, wie dieser heutzutage gewichtet ist. Denn diese Gewichtung verdrängt andere, aus meiner Sicht viel wichtigere Lehrinhalte des Jûdô beinahe völlig.

Ich dachte vor einigen Jahren, daß es für jeden Jûdôka von Interesse sein müßte, sich die weitgehend vergessenen Lehrinhalte des Jûdô (wieder) zu erschließen, und zwar gründlich. Ich hatte die Idee, andere an dem, was ich herausfinden konnte, teilhaben zu lassen.
Diese Idee wurde mir in diversen Debatten weitgehend ausgetrieben, so daß ich mich nunmehr auf jene beschränke, die von selbst zu mir finden.
Es irritiert mich dennoch, daß es viele gibt, die auf Wissen verzichten, nur weil ich persönlich ihnen möglicherweise unsympathisch bin ...

Ich stelle fest, daß deine Hartnäckigkeit offenbar erstmals einen Konsens möglich gemacht zu haben scheint.
Respekt.

Tom
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Re: Das Wörtchen "Sport" - eine geschichtliche Betrachtung

Beitrag von Fritz »

Tom Herold hat geschrieben:Um meine Sicht der Dinge noch einmal zusammenzufassen: ich persönlich bin sehr dafür, Jûdô in all seinen Facetten zu praktizieren.
Ja, dazu gehört auch der (sportliche) Wettkampf.
Mir gefällt nur nicht, wie dieser heutzutage gewichtet ist. Denn diese Gewichtung verdrängt andere, aus meiner Sicht viel wichtigere Lehrinhalte des Jûdô beinahe völlig.
Dabei sollte man aber auch nicht verdammen, wenn die Gewichtung der Facetten sich im Laufe
des "Judolebens" verschiebt.
Alles mehr oder weniger gleichzeitig zu erlernen, dafür hat man
in der Regel leider nicht die Zeit... Leider führt das aber auch dazu, daß es sehr viele Leute gibt,
die die offensichtlichen Facetten wie Wettkämpfe und neuerdings auch "Kata" ausüben
und nur sehr wenige, die sich mit dem (offensichtlich umfangreicheren) Rest auskennen...

Meiner Meinung nach wäre der DJB sehr gut beraten, die Leute, die diesen "Rest" halbwegs beherrschen, zusammenzusuchen
und über "offizielle" Lehrgänge (wie z.B. der Sommerschule) eine Plattform zu geben, um dieses rare Wissen
zu verbreiten, oder zumindest erst einmal das Bewußtsein zu schaffen, daß es außer Wettkämpfen noch
anderes gibt... (Da sollte man dann auch nicht unbedingt drauf schauen, ob eine aktuelle Beitragsmarke
in irgendeinem Paß klebt o.ä. ;-) )
- Auch Toms dreibändige Abhandlung zum Judo harrt ja noch ihrer Veröffentlichung ;-)

Zumindest, denke u. hoffe ich,
bewirken die Diskussionen in unserem Forum doch einen gewissen "Aufweck-Effekt" :-)

In diesem Zusammenhang möchte ich auch thematisch recht ähnliche Fäden
aus dem Forum auf http://www.judoinfo.com allen ans Herz legen, die halbwegs Englisch lesen können,
insbesondere die Abhandlungen im Kata-Bereich dort sind sehr aufschlußreich/ernüchternd bis erschreckend...
Mit freundlichem Gruß

Fritz
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Re: Das Wörtchen "Sport" - eine geschichtliche Betrachtung

Beitrag von Reaktivator »

tom herold hat geschrieben:Um meine Sicht der Dinge noch einmal zusammenzufassen: ich persönlich bin sehr dafür, Jûdô in all seinen Facetten zu praktizieren.
Ja, dazu gehört auch der (sportliche) Wettkampf.
Dann sind sich ja eigentlich fast alle einig - denn genau das ist es doch, was meine Wenigkeit und andere schon seit Jahr und Tag auch hier in diesem Forum zu vermitteln versuchen: Judo ist sehr vielseitig!
tom herold hat geschrieben:Mir gefällt nur nicht, wie dieser heutzutage gewichtet ist.
Die Frage ist doch, wie man selber es gewichtet - und da hat jeder seine individuellen Spielräume, ganz unabhängig von irgendwelchen Vereins- oder Verbandsstrukturen.
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tutor!
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Re: Das Wörtchen "Sport" - eine geschichtliche Betrachtung

Beitrag von tutor! »

tom herold hat geschrieben:Lieber Tutor, vielleicht kommen wir doch ein wenig weiter als sonst - sollte mich freuen.

So weit ich das bis jetzt verstanden habe, ist es also durchaus möglich, daß wir bisher aneinander vorbeigeredet haben, weil beide Seiten nicht gut genug zugehört hatten. Sollte das so sein, kann man es ja möglicherweise ändern.
Genau mit dieser Absicht habe ich den Faden eröffnet - die Saat scheint also ein wenig aufzugehen. Allerdings muss ich dazu sagen, dass ich mit einigen Traditionalisten in regem Austausch bin und über die Jahre sehr unterschiedliche Sichtweisen kennen und schätzen gelernt habe. Deshalb finde ich es besonders schade, wenn Diskussionen aneinander vorbei gehen, Stimmungen aufgeheizt werden und Vorurteile entstehen bzw. sich erhärten. Diesen gordischen Knoten zu durchschlagen, war mein Ziel.
tom herold hat geschrieben:Um meine Sicht der Dinge noch einmal zusammenzufassen: ich persönlich bin sehr dafür, Jûdô in all seinen Facetten zu praktizieren. Ja, dazu gehört auch der (sportliche) Wettkampf. Mir gefällt nur nicht, wie dieser heutzutage gewichtet ist. Denn diese Gewichtung verdrängt andere, aus meiner Sicht viel wichtigere Lehrinhalte des Jûdô beinahe völlig.
Dass Du hier eine Schieflage siehst, kann ich gut nachvollziehen. Wenn ich mir aber hier in unserer Gegend anschaue, wieviele Vereine es gibt und wie viele Mitglieder sie haben und andererseits die Teilnehmerzahlen bei Wettkämpfen sehe, dann kann ich Deine Einschätzung nicht teilen. Rund die Hälfte aller Vereine ist so gut wie nie bei irgendwelchen Wettkämpfen vertreten. Auf jeden Fall stimme ich aber jeder Kritik zu, die in die Richtung geht, dass von Seiten der Verbände die Arbeit in diesen Vereinen zu wenig Impulse erhält.
tom herold hat geschrieben:Ich dachte vor einigen Jahren, daß es für jeden Jûdôka von Interesse sein müßte, sich die weitgehend vergessenen Lehrinhalte des Jûdô (wieder) zu erschließen, und zwar gründlich. Ich hatte die Idee, andere an dem, was ich herausfinden konnte, teilhaben zu lassen. Diese Idee wurde mir in diversen Debatten weitgehend ausgetrieben, so daß ich mich nunmehr auf jene beschränke, die von selbst zu mir finden. Es irritiert mich dennoch, daß es viele gibt, die auf Wissen verzichten, nur weil ich persönlich ihnen möglicherweise unsympathisch bin ...
Wenn man mal ganz realistisch ist, wollen viele selbst Hochgraduierte nicht wirklich etwas dazu lernen. Die setzen dann ein "Ich-weiß-das-sowieso-schon-alles-Lächeln" auf und hoffen, dass keiner merkt, dass sie selbst noch Lernende sind (und oftmals ziemlich weit am Anfang stehen)

Was die Selbstverteidigung betrifft, haben diejenigen, die sich dafür interessieren, vor einigen Jahren und Jahrzehnten die anderen Verbände gegründet und sind jetzt in unabhängigeren Positionen und oft höher graduiert, als sie es im Judo je hätten sein können. Naja, man kann das auch anders ausdrücken, aber ich denke, dass jeder weiß, was gemeint ist. Ich selbst habe mich früher mit SV beschäftigt, fleißig trainiert und "komme ganz gut zu recht". Auch für mich gibt es noch mehr zu trainieren und zu verbessern, aber die Zeit ist begrenzt und ich bevorzuge für mich andere Facetten des Judo.
tom herold hat geschrieben:Ich stelle fest, daß deine Hartnäckigkeit offenbar erstmals einen Konsens möglich gemacht zu haben scheint.
Respekt.

Tom
Dann trink ich heute mein Bier mit einem besonderen Vergnügen!
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
Lin Chung
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Re: Das Wörtchen "Sport" - eine geschichtliche Betrachtung

Beitrag von Lin Chung »

Wenn man mal ganz realistisch ist, wollen viele selbst Hochgraduierte nicht wirklich etwas dazu lernen. Die setzen dann ein "Ich-weiß-das-sowieso-schon-alles-Lächeln" auf und hoffen, dass keiner merkt, dass sie selbst noch Lernende sind (und oftmals ziemlich weit am Anfang stehen)
...genau das stört mich eigentlich auch und freut mich, dass du es aussprichst.
Wenn man zusätzlich eine andere KKst erlernt, erkennt man meist, wie wenig man wirklich weiss.
Grüße
Norbert Bosse
ボッセ・ノルベルト

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