... gutes Argument, Lin Chung!
Nun stellen wir uns doch mal ganz dumm und fragen so: was gehört zum Jûdô?
Gehören Atemi-Waza zum Jûdô?
JA.
Gehören die Kyusho-Waza zum Jûdô?
JA.
Gehören die Buki-Waza zum Jûdô?
JA.
Gehören die Renko Ho zum Jûdô?
JA.
usw. usw. usw.
Und nun eine weitere Frage: welcher SPORT-Judoka (doch, doch, die gibt es!) hat in seiner Laufbahn schon mal ein Schwert in der Hand gehalten? Ich meine - nicht damit herumgefuchtelt, sondern sinnvoll trainiert, und zwar im Rahmen des Jûdôtrainings (und nicht beim Kendô!)?
Nun kann man ja behaupten, die Handhabung des Schwertes sei im Jûdô nicht wichtig oder komme gar nicht vor.
Ich lasse das mal unkommentiert.
Weitere Frage: welcher SPORT-Judoka hat sich ausführlich mit den Atemi-Waza des Jûdô befaßt (nein, nicht mit irgendwelchen Schlagtechniken anderer Stile), und zwar so gründlich, daß er sie anwenden kann, daß er sie lehren kann?
Es gibt zwar einige, die das behaupten, allein der Beweis steht nach wie vor aus ...
Und das ist sehr schade.
Da es nun aber so ist, daß SPORT-Judoka in der Regel außer Wurftechniken und Bodentechniken nichts weiter in ihrem Training praktizieren, sollte man doch mit Fug und Recht davon sprechen dürfen, daß sie ein eingeschränktes Jûdô betreiben.
Natürlich kratzt das am Selbstwertgefühl der Betroffenen, das steht außer Frage.
Das jedoch wegdiskutieren zu wollen, indem man jenen, die darauf hinweisen, ein "eingeschränktes Verständnis des Begriffs Sport" unterstellt, macht die Sache nicht besser.
Nochmal: ob "Breitensportler" oder "Top-Athlet", viele Lehrinhalte des Jûdô sind beiden Gruppen kaum noch oder gar nicht mehr bekannt und werden auch nicht im Training praktiziert.
Wie soll man das denn nennen, wenn man den Begriff "eingeschränkt" nicht verwenden darf?
Ich kann mich nicht erinnern, irgendwo in Deutschland jemals gesehen zu haben, daß eine beliebige Jûdô-Trainingsgruppe gezielt und kollektiv bspw. mit dem Jô übt.
Oder mit dem Hanbô.
Oder ... oder ...
Das sind Tatsachen, nicht etwa mein böser Wille.
Da aber offensichtlich die Absicht besteht, die Debatte zu beenden, möchte ich mir erlauben, dazu Kano zu zitieren.
Zur Frage, ob Jûdô ein Sport sei, sagt er:
„This question is put in various forms, but I will present the two extremes. There are those who attack competitive sports and say that since in Japan we have our martial arts (Bûjûtsu) which are excellent for either spiritual education or physical education, or both, so what necessity is there for all the problems which will be in becoming enthusastic to import sports ? If we practise our own indigenous Bûjûtsu arts, then we shall be encouraging the spirit of the Japanese people in a natural way, and it will also be a training in virtue. But the import of foreign sports will naturally affect the spirit too, and perhaps we should end up as foreigners. Then again there are others who point to the good aspects of sports and say that Jûdô itself should be popularized as a form of competitive sports, and that it must be completely reduced in its practice to a form of contest, like sports of other kinds. Neither of these ideas is correct, and one can suspect that each of the two sides has set out with some definite assumptions of what the relation between Jûdô and other sports ought to be. As I have often explained, Jûdô is a Way which has great universality. In the variety of its application, there are many different aspects from the point of view of martial arts, or physical education, or cultivation of intelligence and virtue, and also methods of application in daily life. Competitive sport is a kind of sport where it is a struggle for victory, and by that alone there is a natural training of the physical body. It is also a system of moral culture. If competitive sport is pursed correctly along these lines, it does have a great effect in physical and psychological training, and there is no quarrel about this. But the object of competitive sport is a simple and narrow one, whereas the objective of Jûdô is complex and wide. Competitive sport pursues only one part of the objective of Jûdô. Of course, Jûdô can be treated simply as a competitive sport, and it may be all right to do so. but the ultimate objective of Jûdô cannot be attained in that way. So while we recognize that there is a demand these days to treat Jûdô on the lines of a competitive sport, on the other hand we must not forget what the real essence of Jûdô is and where it lies.“ (KANO Jigoro „What we learn from Jûdô“ in : Trevor Legget „The Spirit of Budô“ S. 99)
Vielleicht abschließend noch dies:
„Ich bin verschiedentlich gefragt worden, ob Jûdô möglicherweise in die Reihen der olympischen Disziplinen aufgenommen werden sollte. Ich würde es bevorzugen, mich dazu eher nicht zu äußern. Wenn einige Mitglieder (des IOC) dies wünschen, werde ich keine Einwände erheben. Ich fühle mich jedoch in keiner Weise veranlaßt, in dieser Hinsicht irgendwie aktiv zu werden. Zum einen ist Jûdô in Wahrheit alles andere als ein Sport oder ein Spiel. Ich schuf es als ein Lebensprinzip, als Wissenschaft, als Kunst. Es dient in der Tat der eigenen, auch kulturellen Vervollkommnung. Nur eine einzige Form des Jûdôtrainings, das Randori, könnte eventuell als eine Form des Sports angesehen werden.“ (KANO Jigoro in: „Budôkwai Bulletin“, veröffentlicht im April 1947)
Und zur Frage des Sports, der sich ja über einen künstlich geschaffenen Konflikt definiert, in dem es nur einen Sieger geben kann (Wettkampfgedanke):
Unter Wettkampf verstand KANO Jigoro bspw. etwas anderes als das, was dieser Begriff im westlichen Sinne beschreibt. Es ging ihm nicht vordergründig um Sieg oder Niederlage, vielmehr legte KANO besonderen Wert auf die Möglichkeit, durch den Sport die Ausbildung einer sittlichen Grundhaltung (Dotoku) zu befördern. Wettkämpfe, die nur darauf fokussiert waren, in einer bestimmten Disziplin den Sieger zu ermitteln, lehnte er ab:
„ ... folglich kommt den Wettkämpfen ein vergleichsweise geringer Wert zu, löst man sie von der Ausbildung der Sittlichkeit (Dokusei no kanyo).“ (KANO Jigoro in : „Das Ziel der Wettkämpfe und die Methode der Umsetzung“, Tokyo 1925)
Ich denke, daß damit die unterschiedlichen Standpunkte deutlich geworden sind.
Eine Angleichung scheint es dabei leider nicht geben zu können.
Das, was unter dem Begriff der "olympischen Disziplin Judo" verstanden wird, ist nun einmal etwas grundsätzlich anderes als das, was Kano unter dem Begriff "Jûdô" verstand.
Daher benutzen wir weitgehend die gleichen Begriffe, müssen aber immer wieder feststellen, daß sie einen unterschiedlichen Sinngehalt besitzen.
Von daher denke ich, daß es ein fruchtloses Unterfangen ist, die seriöse Kampfkunst Jûdô und die moderne Sportart Judo miteinander vergleichen zu wollen.
Es ist mir bewußt geworden, daß man sie nicht einmal gegeneinander aufwiegen kann, da es sich um gänzlich unterschiedliche Dinge handelt.
Letztlich muß jeder selbst entscheiden, ob er die Sportart Judo ausübt (mit allem was dazugehört und vor allem ohne das, was nicht dazugehört) oder ob er sich der Kampfkunst Jûdô in all ihren Aspekten widmet.
Ich persönlich bezweifle, daß man beides haben kann. Ich persönlich bezweifle auch, daß wir uns gegenseitig wirklich ZUHÖREN (ich schließe mich da nicht aus!).
Aber prinzipiell ist das nicht wichtig. Die ganze Streiterei hier ist von einer erschreckenden Belanglosigkeit ...
Ich werde mich nicht weiter daran beteiligen, ich wollte es mir nur nicht nehmen lassen, durch die von mir hier beigesteuerten Kano-Zitate den Standpunkt der "Ultra-Traditionalisten" noch einmal deutlich zu machen.
Mehr ist dazu nicht zu sagen.
Tom