focus online: Claudia Heill nimmt sich das Leben

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LenDa
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focus online: Claudia Heill nimmt sich das Leben

Beitrag von LenDa »

Heute bei focus online:
Österreichs Judosport trauert um Claudia Heill. Die 29-jährige Wienerin beging in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag Selbstmord.
Wie der Österreichische Judoverband (ÖJV) bestätigte, stürzte sich die Olympia-Zweite von Athen 2004 aus dem sechsten Stock eines Hauses im Wiener Gemeindebezirk Landstraße. Der Verband hob in einer Pressemitteilung hervor, dass „niemand diese Verzweiflungstat auch nur erahnen“ konnte.

„Claudia war ein lebensfroher Mensch, der viele Visionen hatte und ihr ganzes Leben dem Sport widmete. Unser Mitgefühl gilt ihrer Familie – Österreichs Judosport hat einen schweren Verlust erlitten. Eine Lücke, die nicht zu schließen ist. Wir werden Claudia stets in bester Erinnerung haben“, sagte ÖJV-Präsident Hans Paul Kutschera.

Trainerjob und Studium
Nach ihrer aktiven Karriere, die sie 2009 beendet hatte, betätigte Heill sich bis Ende Februar 2011 als Trainerin. In den vergangenen Monaten wollte sie sich ganz auf ihr Studium an der Fachhochschule für Sportwissenschaften in Wiener Neustadt konzentrieren. Während der EM 2010 in Wien war Heill noch als Sonderbotschafterin und im Marketing des Organisationskomitees im Einsatz.
Neben Olympia-Silber in Athen und einem fünften Platz vier Jahre später in Peking war Heill WM-Fünfte 2001 in München und fünfmalige EM-Medaillengewinnerin sowie Militär-Weltmeisterin.
http://www.focus.de/sport/mehrsport/jud ... 13920.html
Judo beim Post SV Düsseldorf www.judokas.net.
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Re: focus online: Claudia Heill nimmt sich das Leben

Beitrag von tutor! »

Ich habe es gerade auf der EJU-Seite gelesen.

Für mich persönlich ist das ein großer Schock. Ich habe Claudia bei vielen Gelegenheiten getroffen. Trotz des Wettkampfstresses - üblicherweise trafen wir uns im Rahmen von Meisterschaften - war sie immer sehr aufgeschlossen und freundlich. Die Nachricht erinnerte mich auch sofort an den Freitod von Barbara Claßen, Deutschlands erster Judo-Weltmeisterin (http://de.wikipedia.org/wiki/Barbara_Claßen).

Mein Mitgefühl gilt in diesen Stunden all jenen, die Claudia nahestanden und auch Claudia selbst für all das, was sie durchmachen musste, bevor sie diesen Schritt gegangen ist - was immer es auch war.
I founded a new system for physical culture and mental training as well as for winning contests. I called this "Kodokan Judo",(J. Kano 1898)
Techniques are only the words of the language judo (Cichorei Kano, 24.12.2008)
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judoka50
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Re: focus online: Claudia Heill nimmt sich das Leben

Beitrag von judoka50 »

Mir ist damals der Freitod von Barbara Claßen recht Nahe gegangen so wird man durch diese Nachricht wieder daran erinnert.
Mein Mitgefühl all denen die um sie trauern............

Über die Höhen und Tiefen, wie auch das evtl. Elend in welches erfolgreiche Sportler (wie auch andere Menschen) geraten können, sagen diese Beiden Berichte über Bahne Rabe sehr viel aus. Er hat zwar nicht direkt den Freitod gewählt, jedoch führte ihn sein Leidensweg auch dort hin.

Wer sich Gedanken über solche Vorfälle macht, den wird bestimmt dieser Artikel zum Tod des Schlagmannes im Deutschlandachter nachdenklich und sensibel für ähnliche Vorkommen in seinem Umfeld machen.

Ein Selbstmord auf Raten ......................

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-20521514.html

Nachstehend einmal der Schlussabsatz aus dem Artikel.
Magersucht und Bulimie im Sport

Bis zu 25 Prozent aller Sportlerinnen, so eine Studie im Auftrag des Kölner Bundesinstituts für Sportwissenschaft, leiden unter Essstörungen. Betroffen sind vor allem Turnerinnen und Eiskunstläuferinnen, aber auch Langstreckenläuferinnen, Judo-Kämpferinnen und Ruderinnen. Einer der prominentesten Fälle in Deutschland ist die Eiskunstlaufmeisterin Eva-Maria Fitze, die Ende der neunziger Jahre ihre Karriere unterbrechen musste und wegen ihrer Krankheit in eine therapeutische Wohngemeinschaft aufgenommen wurde. Die USamerikanische Turnerin Christy Henrichs starb 1994 an Magersucht. Für Schlagzeilen sorgte jüngst die deutsche Golferin Martina Eberl: Nach einer Bulimie-Therapie im vergangenen Jahr wagte sie ihr Comeback - und wurde im September Europameisterin. Fälle von Essstörungen unter männlichen Sportlern sind kaum bekannt; vor allem Jockeys und Skispringer gelten als besonders gefährdet. Der Schweizer Skispringer Stefan Zünd gehört zu den wenigen, die sich öffentlich zu ihrer Krankheit bekannt haben.
Ebenso ergreifend und nachdenklich macht auch der Artikel aus der FAZ

Artikel von © Evi Simeoni, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15.11.2001

Versunken im Nichts
Das Schicksal der "Mensch-Maschine" Bahne Rabe und die Ohnmacht seiner Umwelt

Muskulöse Beine, die durch ihre Länge ein bißchen dünn wirkten. Schmale Hüften. Darüber ein mächtiger, trapezförmiger Oberkörper mit ausgeprägter Brust- und Halsmuskulatur. Arme wie Tarzan. Ein modellierter Hals, ein feingeschnittenes Gesicht mit Grübchen in den Wangen, graublaue Augen, blondes Haar. 2,03 Meter groß und 98 Kilo schwer, kein Gramm Fett. Ein schöner Mann. Ein Ruderer. So erinnern sich viele Menschen an Bahne Rabe, den Schlagmann des Deutschland-Achters, der bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul die Goldmedaille gewann. Als er am 5. August dieses Jahres, zwei Tage vor seinem 38. Geburtstag, in einem Kieler Krankenhaus starb, sah er aber anders aus. Er wog nur noch 60 Kilo. Sein geschwächter Körper konnte sich einer Lungenentzündung nicht mehr widersetzen und gab auf. Niemand hatte Rabe zur Umkehr bewegen können auf seinem unerbittlichen Weg in den Tod. Mit der Willenskraft eines Leistungssportlers zog er sein selbstzerstörerisches Vorhaben durch. Bahne Rabe starb, weil er aufgehört hatte zu essen.
Der Horror über diesen Tod hält an. Die Ruderer, mit denen er während mehr als zehn Jahren im Boot saß, fragen sich, was sie versäumt haben. War der Leistungssport an Rabes Untergang schuld? „Man konnte sich das Problem einfach nicht vorstellen, das er nicht selber in den Griff kriegt", sagt Armin Eichholz hilflos. Er ist noch einen Zentimeter größer als Rabe war, saß von 1987 bis 1992 mit ihm im Zweier und teilte mit ihm jahrelang im Trainingslager und auf Reisen ein Doppelzimmer. Eichholz hat nach seiner Sportkarriere das Maschinenbau-Studium beendet, seinen Doktor gemacht und ist mittlerweile Leiter des Kraftwerks Hamm-Uentrop. „Das Rudern hat mich gelehrt, mir Ziele zu setzen und auf diese hinzuarbeiten", erklärt er. Nun will ihm Bahne Rabes Ende nicht aus dem Kopf. Aus sieben Ruderern des Achters von 1988 ist etwas geworden. Aus einem nicht. Warum nur?
Bahne Rabe kam 1994, mit 21 Jahren, aus seiner Heimatstadt Lüneburg zum Ruderstützpunkt Dortmund, wo der Deutschland-Achter zu Hause ist. „Er war völlig weltfremd", erzählt Stützpunktleiter Klaus Walkenhorst. „Bei ihm zu Hause gab es kein Auto und keinen Fernseher, Alkohol und Rauchen waren tabu. Er kam in eine völlig neue Welt." Rabe, der durch Regatta-Erfolge im Zweier aufgefallen war, zog zunächst bei Trainer Manfred Beyer ein, später nahm er sich eine eigene Wohnung. Ralf Holtmeyer, der ihn 1986 als Trainer übernahm, erinnert sich aus der ersten Zeit an eine Szene auf dem winterlichen Kanal in Waltrop. Rabe saß im Zweier, Holtmeyer rief ihm über Megaphon wieder und wieder Anweisungen zu. Doch Rabe reagierte nicht. Später, unter der Dusche, fragte ihn Holtmeyer, warum. Er sagte: „Ich dachte, du bist für die Technik zuständig und ich fürs Ziehen." Holtmeyer verstand diesen vordergründig unsinnigen Satz. Rabe ging auf Distanz.
„Ich habe nie einen introvertierteren Menschen kennengelernt", sagt der Essener Ansgar Weßling, mit Rabe Olympiasieger 1988 und vier Jahre später Olympiadritter. „Physisch war er zugegen, emotional irgendwo außerhalb." Der zur Ironie neigende Weßling, heute Inhaber eines großen Geschäfts für Hörgeräte-Akustik, erzählt, wie er ihn während eines Trainingslagers „näher kennenlernte". Die beiden saßen einander in einer Pizzeria einen Abend lang gegenüber. „Er sagte kein Wort." Das sei aber nicht peinlich gewesen, Bahne habe nur seine Ruhe gewollt. „Er war körperlich präsent. Aber ansonsten ein Nobody." Ein No-Body?
Die Wurzeln von Magersucht, sagt ein Dortmunder Psychiater, der sich auch mit - sehr seltenen - männlichen Patienten beschäftigt hat, liegen in der frühen Kindheit. Niemand außer Rabes Eltern, von deren vier Kindern, nach Recherchen des „Spiegel" drei - zumindest zeitweilig - magersüchtig waren, kennt sie wohl. Der Schlüssel zu dieser Krankheit ist das Nichts. „Die Patienten erzeugen in sich selbst ein Nichts-Gefühl. Das Bedürfnis, sich in Nichts aufzulösen, ist dadurch bedingt, daß die Realität unerträglich ist." Oft sind emotional besonders begabte Kinder betroffen, die sich so stark in ihre Eltern hineinfühlen und so viel geben müssen, daß ein Gefühl des „Gefressenwerdens" entsteht. In der Pubertät, wenn eigentlich der Ablösungsprozeß von den Eltern stattfinden sollte, grenzen sie sich von ihnen ab, indem sie sich selbst „auffressen". Dem inneren Auslöschen, das jede seelische Regung, auch das Leiden, paralysiert, entspricht das äußerliche Auflösen durch ,die Magersucht. „Das Ziel ist es, völlig im Nichts zu versinken, und das ist der Tod. Gewünscht wird, lebendig tot zu sein", sagt der Psychiater.
So weit die an der Praxis ähnlicher Fälle geschulte Theorie. Bahne Rabe hat über seine Kindheit nicht gesprochen. „Ich bin wahrscheinlich derjenige, der am meisten über ihn weiß", sagt Eichholz, „aber ich weiß nichts über die Zeit vor 1984." Er beschreibt ihn als stillen, ruhigen Menschen. „Er hat niemals jemandem weh getan." Eichholz würde am liebsten auch jetzt noch Rabes Privatsphäre schützen, so, wie sein Freund das selbst immer getan hat. Aber mittlerweile haben Leute geredet, sogar Ruderer aus dem 88er Achter. So wurden Begebenheiten bekannt, die besonders im Rückblick erschütternd wirken. Immer war Alkohol im Spiel, wenn Rabe ausrastete. Zum Beispiel, als er am Abend nach dem Olympiasieg in der Athletenwohnung von Seoul plötzlich anfing, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen. Vier, fünf schwere Ruderer mußten sich auf ihn setzen, um ihn zu stoppen. Holtmeyer fragte ihn am nächsten Morgen, ob er sich denn nicht freuen könne. Er sagte: „Ich fühle mich so leer."
Oder als Rabe, wieder stockbetrunken, unbedingt mit der Goldmedaille auf der Brust ausgehen wollte. Drei Sportler hängten sich an ihn - der starke Rabe ging einfach zur Tür hinaus. Rabe trank in der Folge häufiger. „Er trank nicht immer, nur punktuell, aber dann ohne Grenze, bis es nicht mehr ging", sagt Weßling. In Kenia, im Club der Besten, wo die deutschen Medaillengewinner Urlaub machten schwamm er besoffen aufs Meer hinaus.' Er schlief in der Sonne ein und wachte eine Stunde später wieder auf, den Rücken voller Brandblasen. Er sprang mit Kleidern in den Pool und schwamm anderthalb Stunden lang auf und ab, bis Weßling und ein paar andere sämtliche Liegen des Hotels ins Wasser geworfen hatten. „Wir waren nicht erschrocken" sagt Weßling, „wir waren auch betrunken und wollten nur Quatsch machen " Holtmeyer bestätigt das. „Er wurde ja auch wieder normal. Und wenn sich der Schlae-mann vom Gold-Achter betrinkt, betrachten das manche Leute sogar als kultische Handlung."
Außerdem hatten sie alle einen Heidenrespekt vor ihm. „Er war nicht nur stark und konnte schnell rudern", erzählt Weß1mg, „er hat überhaupt kein Aufhebens ' darum gemacht." Im Boot machte nie- i mand Rabe etwas vor. Eichholz, der ihm seinen Olympiasieg und den Weltmeistertitel drei Jahre später im Vierer mit Steuermann verdankt, hält ihn für den besten Schlagmann, den es je gab. „Bahne war so virtuos", sagt er, „er hatte Kraft und Eleganz, eine Kombination, die sich eigentlich ausschließt." Zudem habe er eine genaue Vorstellung von dem Schlag gehabt den er verwirklichen wollte. Vom Rhythmus, vom Druckverlauf im Wasser, vom Verhältnis zwischen Durchzug und dem Nach-Vorne-Rollen. „Diese Merkmale muß der Schlagmann einer Mannschaft aufprägen wie ein Dirigent." Er sei in der Lage gewesen, den anderen seine Vorstellung unmißverständlich zu vermitteln. „Er konnte das verbalisieren." Normalerweise trugen die anderen ihre Rangordnungskämpfe durch Vielreden aus. Er schwieg. „Aber wenn Bahne den Mund aufgemacht hat zu dem einen oder anderen technischen Beitrag", sagt Weßling, „dann haben die Schwallbacken innegehalten und aufmerksam zugehört." Unter Bedrängnis, in der Krise, habe es Rabe wie kein anderer vermocht, die Mannschaft mitzureißen. „Jeder wartet, daß einer das Heft in die Hand nimmt", sagt Eichholz, „bei Bahne mußte man nicht warten." So wurde der Achter 1988 Olympiasieger -Rabe zog bei 1000 Metern den entscheidenden Spurt an. So wurde der Vierer mit Steuermann 1991 Weltmeister - Rabe sandte 500 Meter vor dem Ziel ein Signal in die Mannschaft. „Unsere letzten 500 Meter waren unwiderstehlich", schwärmt Eichholz. Die Rekordzeit von 5:58,96 Minuten gilt heute noch.
Bahne Rabe war ein Ruderer. Im Leistungssport scheint der Schweiger ein Mittel gefunden zu haben, sich auszudrücken. „Dort scheint er bestens aufgehoben gewesen zu sein", vermutet der Dortmunder Psychiater, der betont, daß umgekehrt der Leistungssport einen Menschen nicht so krank machen könne, wie Rabe es war. „Menschen, die in sich das Nichts erzeugen, sind Maschinen", sagt er, „meistens hochleistungsorientierte Menschen." Die Tendenz im Sport, ganz besonders auch im Rudern, „Maschinen-Menschen zu züchten", machte ihn zum passenden Aktionsfeld für Bahne Rabe. „Der Erfolg allerdings löst nichts aus", erklärt der Psychiater, „keine Freude, keinen Stolz, denn aus Nichts kommt nichts." Auch im Erfolg werde so die Seele weniger. „Auch eine Art Magersucht, und als das wegfiel, kam die richtige Magersucht." Das Nichts bedeute das Ablehnen jeder Eigenverantwortung. In der Mannschaft hingegen hatte Rabe seine stärksten Momente. „Er hatte eine psychische Überlegenheit", beschreibt Armin Eichholz. „Niemand mußte ihm im übrigen je sagen, er solle locker bleiben." Aber auf dem Heimweg vom Gewinn des Weltmeistertitels in Wien schlug Rabe mit der Faust eine Autoscheibe kaputt.
Wer sich nicht fühlen kann, will sich wenigstens spüren, und sei es im Schmerz. Rabe konnte sich im Training verausgaben wie kein anderer. „Und Ruder-Training", sagt Weßling, „das sind anderthalb Stunden Schweiß, Gestank und Wehtun." Rabe quälte sich im Kraftraum, er meißelte mit akribischer Eitelkeit seinen fettlosen Körper. „Körperfett konnte er noch nie leiden", sagt Eichholz. Als Rabe während eines Einzelzeitfahrens beim Rad-Trainingslager auf Mallorca ins Ziel kam, erschrak Holtmeyer. „Er hatte Schaum vor dem Mund, und seine Lippen zitterten vor Erschöpfung." Im Sport, wo der Hang zur Selbstquälerei als Tugend empfunden wird, fühlte Rabe sich richtig - soweit einer wie er das überhaupt kann. Es waren seine besten Jahre.
Ein schlechter Esser war er immer. Wenn er nicht trainierte, weil er erkältet war, setzte er während der Essenszeit einen Walkman auf und sah gleichzeitig fern. Sein Sport, bei dem man in der Stunde bis zu 1000 Kalorien verbrennt, erlaubte ihm, überhaupt zu essen, weil er das Essen schnell wieder los wurde. Er konnte die Nahrungsaufnahme funktionalisieren, ohne zu schmecken. Rabe aß zu Hause Ravioli kalt aus der Dose und erklärte, der Nährwert sei genauso groß wie bei warmen Ravioli, und so könne er Strom sparen. Er war geizig, heizte seine Wohnung kaum, ging mit in die Kneipe und bestellte nichts, weil er für den Preis von einem Glas Cola im Supermarkt gleich zwei Flaschen bekommen hätte.
Wegen Alkohols am Steuer verlor Rabe zweimal den Führerschein. Er galt als unkonstant, Sportkarriere und Ausbildung verliefen in Wellen. Das war wohl einer der Gründe, weshalb 1992 nicht mehr Rabe der Schlagmann des Deutschland-Achters war, sondern der Hannoveraner Roland Baar. „Ein Rabe in Bestform wäre Baar überlegen gewesen", sagt Holtmeyer. Rabe schwieg dazu. Er brach sein Physik-Studium ab und sattelte auf Informatik um. Er beendete zweimal seine Sportkarriere und fing zweimal wieder an. Nach einem gescheiterten Comeback-Versuch 1995 hörte er endgültig auf. Eichholz sieht es so: „Er kam kaputt in den Leistungssport und wurde dort abgelenkt. Er hat Pause gemacht. Später mußte er sich wieder seinen Problemen widmen."
Für Holtmeyer führte er „mit Ende Dreißig noch das Leben eines Zwanzigjährigen". Nun, da Rabe im Sport keinen Halt mehr fand, ließ er sich in den Strudel ziehen. Er aß nicht. Er trank. Kaffee, Tee, Alkohol. Er rauchte. Er tat, was einst in seiner Jugend verboten war. Mit der Arbeit als Programmierer war Rabe unzufrieden. Er verlor die Verbindung zu vielen seiner Weggefährten. „Ich bedauere unheimlich, daß ich den Kontakt mit ihm nicht gepflegt habe", sagt Eichholz. „Es war klar, daß er ihn von sich aus nicht aufnehmen würde."
Als im Februar dieses Jahres die einstigen Achter-Ruderer einander alarmierten, ging es Rabe schon sehr schlecht. Man hatte sich zwischendurch sporadisch getroffen, aber niemand hatte geglaubt, daß er so abbauen könnte. Holtmeyer hatte kurz vorher mit seinem einstigen Ruderer in einer Kneipe gesessen, wo er nichts aß. Anfang Februar, bei einer Feier zum Abschied von Gold-Ruderer Matthias Mellinghaus in Berlin, sah ihn Eichholz wieder und redete lange mit ihm. „Da wußte ich, daß es ihm schäbig ging." Drei Wochen später lag Rabe im Krankenhaus und wurde mit Hilfe eines Herzvenen-Katheters gegen seinen Willen ernährt. Man hatte ihn unter Betreuung gestellt. Holtmeyer besuchte ihn und war fassungslos: „Es sah aus, als hätte er in 14 Tagen 15 bis 20 Kilo abgenommen." Eichholz stand erschrocken vor seinem Bett: „Er hat mich kaum erkannt."
Eichholz war entschlossen, Rabe vom Weiterleben zu überzeugen. „Er war ein solcher Willensmensch. Er hätte die Krankheit besiegen können, wenn er gewollt hätte. Ich versuchte täglich, ihm klarzumachen, daß es sich lohnt. Aber ich konnte ihn nicht für das Leben begeistern." Die Ruderer engagierten sich nun. Sie erkundigten sich nach Möglichkeiten, ihm zu helfen, aber es gab keine. Rabe verließ noch einmal das Krankenhaus, kehrte aber im März wieder dorthin zurück. Ein Therapieversuch scheiterte, weil er nicht mitarbeiten wollte. Eichholz sagte: „Bahne, hier geht es nicht um die Goldmedaille. Hier geht es um dein Leben. Wenn du nicht selber ziehst, dann stirbst du." Rabe sagte: „Ich weiß." Mitte Mai 2001 verließ Bahne Rabe das Dortmunder Krankenhaus auf eigene Verantwortung und mit dem Einverständnis seiner Betreuerin. Bei einer Grillparty in Berlin sah er noch einmal einige seiner Kameraden wieder. Später fuhr er mit seinen Eltern in Urlaub nach Wyk auf Föhr, wo er sich eine schwere Lungenentzündung zuzog, an der er in einem Krankenhaus in Kiel schließlich starb. Seine Organe hat er gespendet. Am 10. August wurde Rabe in Lüneburg beerdigt. Weßling, der es bereut, daß er wegen seiner eigenen privaten Belastungen Rabe nicht im Krankenhaus besucht hat, brachte es nicht über sich, den aufgebahrten Leichnam in der Kapelle noch einmal anzusehen. Er wollte ihn als den starken Ruderer in Erinnerung behalten, der er immer für ihn war. „Das paßt nicht in mein Bild von ihm, daß er stirbt, weil er nichts ißt." Die Ratlosigkeit bleibt. „Wir waren alle deprimiert, daß uns das passiert ist", sagt der Erfolgsmensch Eichholz. „Ausgerechnet uns passiert es, daß er vor unseren Augen verreckt."
Viele Grüße
U d o
Panther1902

Re: focus online: Claudia Heill nimmt sich das Leben

Beitrag von Panther1902 »

Hallo,

ich hatte selbst schon solche Gedanken und habe sie immerwieder, obwohl ich nie Leistungssportler war.

Mir kommt da immer der Panther von Rilke in den Sinn:
Der Panther
Im Jardin des Plantes, Paris

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.

Rainer Maria Rilke, 6.11.1902, Paris
"Judo ist sechsmal geworfen werden um siebenmal wieder aufzustehen."
Manchmal will man aber nichtmehr aufstehen, will liegenbleiben, nur dass es vorbei ist.
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Re: focus online: Claudia Heill nimmt sich das Leben

Beitrag von mcdüse »

Mein tiefstes Mitgefühl auch allen, die sie kannten.
Gruß

McDüse

Konzentriere Dich auf das Wesentliche!
Panther1902

Re: focus online: Claudia Heill nimmt sich das Leben

Beitrag von Panther1902 »

Hier die offizielle DJB- Meldung zu dem Fall:
Tragischer Tod von Claudia Heill
Eine der erfolgreichsten österreichischen Judoka ist tot. Die 29-jährige Wienerin Claudia Heill ist in der Nacht zum Donnerstag in ihrer Wohnung verstorben.

Die Olympia-Zweite (2004) und -Fünfte (2008) Claudia Heill bendete ihre aktive Karriere 2009, nachdem sie Militär-Weltmeisterin (2006), mehrfache EM-Medaillengewinnerin (2x Silber, 3x Bronze) und WM-Fünfte 2001 war.
Sie arbeitete anschließend als Trainerin und studierte Sportwissenschaften.

"Ich bedaure es sehr, so eine freundliche und liebenswerte Sportlerin zu verlieren", zeigt sich DJB-Präsident Peter Frese betroffen von dem plötzlichen Tod der Athletin.

Österreichs Judo-Sport hat einen schweren Verlust erlitten, Claudia Heill reißt eine große Lücke.

Der Deutsche Judo-Bund trauert um die Ausnahmeathletin unseres Nachbarlandes. Unsere Gedanken sind bei ihren Eltern, Freunden und Verwandten.

Im Namen des Deutschen Judo-Bundes

Peter Frese
Präsident
Warum verschweigt der DJB seinen Mitgliedern, dass es sich um Suizid handelt?
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Re: focus online: Claudia Heill nimmt sich das Leben

Beitrag von judoka50 »

@Panther 1902

Da hast Du recht, so etwas ist nicht an den Sport oder sonst etwas gebunden................
Über die Ursachen rätseln auch die Ärzte.
Meist gehen diese Gedanken mit Depression einher. In solchen Momenten hilft dann nur noch und das leider auf unbestimmte Zeit ein Gespräch mit "einem Arzt zu dem man Vertrauen hat" und Rückhalt und Verständnis bei wichtigen Menschen.
Dies ist allerdings für diese sehr schwer, da sie, wenn sie etwas erahnen, meinen helfen zu müssen und genau dort fängt dann der Teufelskreis für den Kranken und sein Umfeld an.
Ich hoffe, Du kannst darauf zurückgreifen und findest auch dadurch immer wieder Halt.
Ich lebe nun seit 6 Jahren in einer Co-Abhängigkeit da meine Frau seit dieser Zeit alle Facetten dieser rätselhaften Krankheit durchlebt und wir versuchen sie mit Hilfe der Ärzte und Kliniken in den Griff zu bekommen. Insofern bin ich für vieles in unserem Umfeld sensibler geworden.

Es gibt da zwei sehr schöne Bücher die das Verständnis für beide Seiten schildern:

http://www.amazon.de/Mein-schwarzer-Hun ... 561&sr=1-1

http://www.amazon.de/Mit-dem-schwarzen- ... 561&sr=1-2
Viele Grüße
U d o
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